# taz.de -- PROZESSION Der katholische Gemeindeverband gedenkt des Wunders von … | |
Bild: Fromm und politisch: Fátima-Prozessionen | |
von Hendrik Gerlach und Benno Schirrmeister | |
Mit einer Lichterprozession durch Walle am Sonnabend gedenkt der | |
Katholische Gemeindeverband (KGV) Bremen der sogenannten „Geheimnisse von | |
Fátima“. Am Sonntag soll dann eine weitere Prozession durch den | |
Arbeiterstadtteil ziehen, um den 100. Jahrestag der angeblichen | |
Marienerscheinung zu zelebrieren: Am 13. Mai 1917 nämlich soll sich die | |
Gottesmutter in jenem Dorf im zentralportugiesischen Bezirk Ourém drei | |
Hirtenkindern gezeigt haben. | |
Das ist nicht nur ein Fest für Fromme, sondern ein hochpolitisches | |
Ereignis. Denn die Erscheinung wird zum Fundament eines, wie | |
Kulturwissenschaftlerin Monique Scheer in ihrem Buch „Rosenkranz und | |
Kriegsvisionen“ (2006) schreibt, „antikommunistischen Marienkults“. Schon | |
bald nämlich machten sich die reaktionären Kräfte der damals säkularen | |
Republik Portugal die Wundererzählung zunutze. Oder, um es mit den Worten | |
des norddeutschen Dogmatikers Konrad Algermissen zu sagen: „Das | |
portugiesische Volk wurde durch die Ereignisse von Fátima so erschüttert, | |
daß schon wenige Wochen später, gegen Ende des Jahres 1917 der konservative | |
Führer Sidonio Pais seinen Staatsstreich wagen konnte.“ Er paraphrasiert | |
damit 1947 eine Rundfunkansprache, die Papst Leo XII. 1942 zum selben Thema | |
gehalten hatte. | |
Genau wie der mitten im Krieg, sieht Algermissen die antidemokratische, | |
prokatholische Tendenz fünf Jahre nach Kriegsende zu voller Blüte gelangt | |
im Faschismus, verkörpert durch die „hervorragende Arbeit des | |
Ministerpräsidenten Oliveira Salazar“. Der regierte Portugal bis 1970 mit | |
eiserner Hand. Sein Aufstieg eine Folge Fátimas? Der KGV zeigt sich an der | |
politischen Dimension nicht interessiert. Dabei ist sie auch inhaltlich | |
zentral: Denn während sie von Mai bis Oktober 1917 einmal monatlich die | |
Hirtenkinder besuchte, soll sie, so die Legende, ihnen Botschaften | |
übermittelt haben, die gar nicht so viel mit der christlichen Lehre, dafür | |
umso mehr mit dem Weltgeschehen zu tun hatten: So prophezeite sie das | |
baldige Ende des ersten Weltkriegs, warnte aber vor einem schlimmeren | |
Krieg, sollte das kommunistische Russland nicht christlich werden. | |
Zwei Prophezeiungen, zweimal ins Schwarze getroffen – könnte man denken. | |
Der Haken: Bis zu ihrer endlichen Niederschrift 1941 waren die angeblichen | |
Vorhersagen eher vage gehalten. Ihre Autorin, Lucia dos Santos, Zeugin des | |
Wunders, war Nonne geworden. Ihr Cousin und ihre Cousine waren tot. Der | |
Zweite Weltkrieg tobte seit zwei Jahren. Die Judenvernichtung hatte | |
begonnen. Und für den Vatikan war wichtig, sich zu positionieren. In Benito | |
Mussolini, in Francisco Franco und in Salazar sah der Kirchenstaat | |
Verbündete im Kampf gegen den Staatsatheismus. Fátima hatte schon im | |
Spanischen Bürgerkrieg dazu gedient, diesen Kampf zu popularisieren – und | |
damit eine katholische Apologetik für die Einsätze der Legion Condor Futter | |
gegeben. So heißt es in Der Fátima Bote, einer ganz dem portugiesischen | |
Wunder und seiner Verbreitung gewidmeten deutschen Zeitschrift im Oktober | |
1936, Fátima sei „ein Schulbeispiel dafür, wie man den Höllengeist aller | |
Art, Bolschewismus, Anarchie, Freimaurertum, Egoismus Mammonismus, | |
Unglaube, und wie sie alle heißen, bekämpft“. | |
KGV-Sprecherin Martina Höhns bestreitet das: „Das Fátima-Wunder ist kein | |
Aufruf, sich gegen irgendetwas oder irgendjemanden zu wenden“, sagt sie auf | |
Nachfrage der taz. „Diese These höre ich zum ersten Mal“, sagt sie. | |
Allerdings: Dagegen steht der Text der Prophezeiungen. Denn durch die Hand | |
der Nonne Lucia, tut die Gottesmutter kund, um Krieg und Hunger und | |
Misshandlungen zu verhüten, werde sie „kommen, um die Weihe Russlands an | |
mein unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen des | |
Monats zu verlangen“. Erst wenn Russland sich bekehren werde, werde Friede | |
sein. „Wenn nicht“, so die Prophezeiung weiter, „wird es seine Irrlehren | |
über die Welt verbreiten, wird Kriege und Kirchenverfolgungen | |
heraufbeschwören. Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird | |
viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet werden.“ | |
So steht es auf der deutschsprachigen Website des Vatikans: Weder der | |
Inhalt noch die historische Bedeutung der Vision und ihre | |
antikommunistische Ausrichtung sind in der Forschung umstritten. Wenn dem | |
KGV das neu und unbekannt ist, fragt sich doch sehr, warum er meint, dieses | |
Wochenende durch die Straßen Walles prozessieren zu sollen. | |
13 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Hendrik Gerlach | |
Benno Schirrmeister | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |