# taz.de -- Die kuratierte Lücke | |
> Audiowalk Das Schauspiel Leipzig schickt sein Publikum zur Premiere von | |
> „Kampf Club Ost“ durch städtische Transitorte | |
Bild: Eine Station während des Audioparcours „Kampf Club Ost“ | |
VON Kornelius Friz | |
Regel Nummer eins: „Verliert kein Wort über den Kampf Club Ost!“ Das sagt | |
die einzige Figur, die in diesem Stück einen Körper hat. Mit dieser | |
Instruktion begeben sich gut vierzig junge LeipzigerInnen auf den Weg durch | |
Reudnitz im Leipziger Osten. Was nun folgt, geht ins Ohr: Über Kopfhörer | |
werden die ZuschauerInnen in den Lene-Voigt-Park geschickt, wo früher ein | |
Bahnhof war. Zugleich erfahren wir, wie sich Roberta King im verschollenen, | |
aber legendären DDR-Epos „Kampf Club Ost“ ihre Stadt aneignet. | |
Gemeinsam mit Jörg Albrecht und Steffen Klewar des Berliner | |
Theaterkollektivs copy & waste schickt das Schauspiel Leipzig sein Publikum | |
zur Premiere von „Kampf Club Ost“ durch städtische Transitorte. Auf | |
mehreren Ebenen thematisiert der Audiowalk den Stadtteil Reudnitz als | |
Schmelztiegel zwischen Immobilienhaien, Rennradhipster und institutionellen | |
Hegemonen. | |
„Es gibt nicht nur einen Osten. Wir sind nicht allein“, sagt Roberta King. | |
Neben Ostdeutschland und dem Leipziger Osten öffnet der „Kampf Club Ost“ | |
noch einen dritten Osten: Die akustische Reise beginnt in Teheran, wo ein | |
Theaterstück aufgrund staatlicher Repressionen in mehreren Autos | |
aufgeführt wird. Das dortige Publikum ist über Telefon mit den in anderen | |
Fahrzeugen spielenden Schauspielern verbunden. Der letzte Akt in der | |
iranischen Wüste steigt, als wir das Beachvolleyballfeld im Lene-Voigt-Park | |
durchqueren. Parallel dazu erzählt King von ihrer DDR-Straße, die zum | |
Rumhängen da war und zum Schlafen. Sie schwärmt von Punkkonzerten, von | |
verspäteten Beatniks, jemand singt den Gassenhauer „Unsere Heimat, das sind | |
nicht nur die Städte und Dörfer“. „Wir werden die Wüste nicht sehen“, … | |
eine Freundin von Roberta, „Wir werden so viel nicht sehen.“ Genau das, die | |
kuratierte Lücke, macht den Reiz des Audioparcours aus: Nicht alle | |
Eindrücke können rechtzeitig eingeordnet werden. Bald schon teilt sich das | |
Publikum in Gruppen von fünf SpaziergängerInnen. Hier zeigt sich, wie | |
gründlich die dramaturgische Komposition ist, wie sich die vermeintlich | |
bekannte Stadt verändert, wenn man geleitet wird von längst vergessenen | |
Stimmen aus dem Iran, der DDR oder den Fiktionen von copy & waste. | |
Schon 2012 prägte der Autor André Herrmann den Begriff „Hypezig“ für die | |
Heldenstadt, deren Selbst- und Fremdwahrnehmung besser ist als ihre | |
Realität. Auf einem Blog versammelt er Medienberichte, die Leipzig zum | |
neuen Berlin oder deutschen Detroit stilisieren. Der Citymanager im | |
Kopfhörer erklärt uns dies als Downtownsyndrom: Alle ziehen weg, der | |
Stadtteil verkommt. Und schon wollen die jungen Leute wieder hin, das | |
Viertel boomt. Copy & waste, die bereits die Entwicklung einiger Städte | |
performativ bearbeitet haben, greifen die rasanten Einwohner- und | |
Mietpreisentwicklungen Leipzigs in der Reihe „Ceci n’est pas un HYPE“ auf, | |
die bis Juni 2018 drei weitere Premieren am Schauspiel Leipzig feiern wird. | |
In der Anlehnung an René Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“ wird klar, | |
dass keines der Formate, egal ob in Reudnitz oder im Theater, mehr ist als | |
ein Abbild einer sich transformierenden Stadt. | |
Während des knapp zweistündigen Parcours „Kampf Club Ost“, der mit 36 | |
Stimmen realisiert wurde, ergeben sich einige Längen. Auch wenn es gelingt, | |
den Aufforderungen („Versammelt euch bei der Ampel!“, „Gebt acht | |
aufeinander!“) Folge zu leisten, ist es unmöglich, allen Erzählsträngen zu | |
folgen. Erst beim Showdown, wenn im erleuchteten Gang eines Einkaufcenters | |
zwei Scharen aufeinander zugehen, schließt sich der Bogen. Wir werden | |
aufgefordert, uns als Gruppe zu formieren und in Zeitlupe zu gehen, | |
aufrecht, um den anderen Angst zu machen. Zugleich schneiden die Kopfhörer | |
uns voneinander ab – der Audiowalk bleibt eine einsame Angelegenheit. | |
Dennoch werden die Kämpfe greifbar: Der Kampf um das Bestehen der Häuser, | |
der Kampf gegen „die Vopos“, der Kampf um ein Altern in Würde, der Kampf um | |
Territorien. | |
Dabei hieß es eben „Ost steht für offene Stadt“, und gemeinsam mit unseren | |
Weggefährten haben wir die Brücke, die Tankstelle, den Dönerladen erobert. | |
Ob der Polizeiwagen, der Flaschensammler oder die Punker mit Boombox | |
inszeniert sind oder zum Theater der Stadt gehören, bleibt in der Schwebe. | |
Wir aber gehören zueinander, sagt die Stimme. Vor allem in der | |
Fischhandlung, wo wir, fünf blonde Mittdreißiger und Intendant Enrico | |
Lübbe, uns an den Händen fassen, ausgelassen um ein Aquarium tanzen und uns | |
dabei gegenseitig … | |
Aber nicht doch! Die Stimme hat uns eingeschworen: „Schweig über das, was | |
hier geschah!“ | |
21 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Kornelius Luther | |
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