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# taz.de -- Akustische Spurensuche
> KINO Der Tonfilm erschloss die Stimme als filmisches Ausdrucksmittel. Das
> Arsenal widmet dem Sprechen eine Filmreihe
Bild: In „Hamburger Lektionen“ (Romuald Karmakar, D 2006, 2. & 11. 5.) trä…
von Thomas Groh
Die menschliche Stimme war für den größten Teil der Geschichte strikt an
die Anwesenheit eines Körpers gebunden: Wo Stimme, da Präsenz. Doch zwei
Erfindungen der 1870er Jahre haben diese Bindung aufgebrochen: Über Graham
Bells Telefon treten nicht mehr nur Scharlatane und psychisch Kranke
tagtäglich mit Geisterstimmen in Kontakt, sofern man unter Geisterstimmen
entkörperlichte Präsenzen versteht. Als Thomas Alva Edison wenig später
seinen Phonographen entwickelte und damit neben der Entkörperlichung der
Stimme schließlich auch deren Reproduktion gestattete, dachte der
geschäftstüchtige Ingenieur nicht an Popmusik, um damit Geld zu machen.
Sondern er legte den Käufern nahe, der Nachwelt eine akustische Spur über
das eigene Ableben hinaus zu überlassen.
Seitdem ist nicht mehr nur denkbar, sondern auch hör- und erlebbar, dass
Tote aus dem Jenseits sprechen. Wie in Billy Wilders Film Noir, „Sunset
Boulevard“ (1950), mit dem das Kino Arsenal am 1. Mai eine Reihe über
Stimme und Sprechen im Film beginnt. Im noirtypischen Voice-over erzählt
der glücklose Drehbuchautor Joe Gillis (William Holden) darin, wie es dazu
kam, dass er bereits zu Beginn des Films erschossen im Pool einer
Hollywoodvilla schwimmt.
Der Weg dorthin führt über die vom Business längst vergessene Stummfilmdiva
Norma Desmond (Gloria Swanson): Während ihr Ruhm einst von stimmlosen
Körperbildern zehrte, bleibt von Gillis nur eine körperlose Stimme –
während sie wie ein Gespenst, gefangen in ihrer eigenen Vergangenheit,
durch ihre Gothicvilla zieht, handelt der Film davon, wie Gillis
seinerseits zum Gespenst wird. Eine böse Ironie, der ein i-Tüpfelchen noch
dadurch aufgesetzt wird, dass Desmonds erster Auftritt tatsächlich auf der
Tonspur erfolgt.
Für viele Schauspieler bedeutete der Siegeszug des Tonfilms das Ende ihrer
Karriere – ihre Stimmen taugten nicht fürs Kino. Eine tragische Fußnote der
Filmgeschichte, die sich „Sunset Boulevard“ zunutze macht. Doch umgekehrt
erschloss der Tonfilm Stimme und Sprache auch als filmisches
Ausdrucksmittel. Dialekt, Milieusprache oder die Textur unebenen
Stimmschnarrens fanden zuvor kaum Eingang in die allgemeine ästhetische
Produktion – in den Tonfilmen Karl Valentins (V wie F gesprochen,
bitteschön!) wurden sie zum zentralen Gestaltungselement. Gemeinsam mit
seiner Partnerin, der begnadeten Liesl Karlstadt, erweiterte der
Bühnenklassiker sein im Stummfilm noch auf surreal-dadaistische
Situationskomik setzendes Filmrepertoire um eine dezidiert akustische
Komponente: In absurden Kurzfilmen wie „Im Schallplattenladen“ oder „Der
verhexte Scheinwerfer“ (beide 1934) setzte er nicht nur der spezifischen
Komik der bayerischen Borniertheit ein Denkmal, sondern auch dem Klang des
Münchner Idioms.
Vergleichbares leistet auch Pasolinis 1961 im römischen Elendsviertel
spielende Passionsgeschichte „Accattone“: Wie Dante in der „Divina
Commedia“ einst das mittelalterliche Volksitalienisch der Schriftsprache
zuführte und bewahrte, bewahrt auch Pasolini in seinem mit Laien gedrehten
Film die Lebensweise des italienischen Lumpenproletariats und die
spezifische Anmutung ihrer gesprochenen Sprache.
Auch Jean Eustache interessiert sich leidenschaftlich dafür, wie Leute
eines Milieus miteinander sprechen: In „La Maman et la Putain“ (1973)
kreist die Pariser Bohème nach der gescheiterten Revolte von 1968 in
endlosen Gesprächen um sich selbst.
Solchen Auswuchtungen des Sprachklangs stehen ästhetische Konzeptionen
gegenüber, die auf Nüchternheit abzielen. In „Katzelmacher“ (1968) seziert
Fassbinder den schwelenden Rassismus einer Gruppe junger Vorstadtmünchner
durch lähmend-zähe Dialogruinen, in denen der Münchner Dialekt nurmehr als
Schwundform seiner rustikalen Qualität vorkommt. In Romuald Karmakars
Essayfilm „Hamburger Lektionen“ kontrastiert Manfred Zapatkas nüchterne
Rezitation zweier Hasspredigten aus der Hamburger Al-Quds-Moschee mit deren
aufpeitschenden Inhalt.
Es lohnt sich, vom Primat des Visuellen im Kino einmal buchstäblich
abzusehen. Die spannende Filmreihe des Kinos Arsenal demonstriert, dass
auch Stimme und Sprache einen ganz eigenen Resonanzraum historischer
Erfahrungen bieten.
Magical History Tour: Stimme, Sprache, Sprechen im Film: Kino Arsenal,
Potsdamer Straße 2, 1.–31. 5., [1][www.arsenal-berlin.de]
27 Apr 2017
## LINKS
[1] http://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm/einzelansicht/article/66…
## AUTOREN
Thomas Groh
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