# taz.de -- Nur die Hoffnung bleibt | |
> DOKUMENTATION Die „NSU-Monologe“ der Bühne für Menschenrechte geben den | |
> Hinterbliebenen der Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ eine | |
> Stimme | |
Bild: Wollen den Opfern ein Gesicht geben: Michael Rufs „NSU-Monologe“ | |
von Tom Mustroph | |
Zu Beginn hatte sie noch Vertrauen zur Kanzlerin. „Merkel hat ein | |
Versprechen abgegeben. Ich habe die Hoffnung, sie steht zu ihrem | |
Versprechen“, sagt Adile Şimşek, Nebenklägerin im NSU-Prozess – und bezi… | |
sich dabei auf das Versprechen vollumfänglicher Aufklärung der NSU-Morde, | |
das Merkel bei einem Empfang der Hinterbliebenen der Opfer gegeben hatte. | |
„Als Bundeskanzlerin verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde | |
aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle | |
Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen | |
Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck“ – so lautete die | |
Originalaussage von Merkel seinerzeit. Auch diese Worte sind in den | |
„NSU-Monologen“ der Berliner Bühne für Menschenrechte wieder zu hören. | |
Nicht aus dem Mund von Merkel, sondern aus dem der Schauspielerin Meri | |
Koivisto. | |
Wie auch Adile Şimşeks Worte nicht von Şimşek selbst gesagt werden, sondern | |
von Elisabeth Pleß. Aber Pleß verschmilzt im Laufe des gut zweistündigen | |
Stücks derart mit der Figur der Unternehmersfrau Şimşek, die ihren Mann und | |
ihre Tochter durch die Morde verloren hat, dass für alle, die die Witwe des | |
Blumenhändlers Enver Şimşek nicht persönlich kennen, die Schauspielerin | |
irgendwann schlicht Şimşek ist. | |
## NachgezeichneteFamiliengeschichten | |
Dabei sehen sich Pleß und Şimşek nicht einmal ähnlich. Aber die | |
Schauspielerin zeichnet Şimşeks Gemütsbewegungen – die Trauer, den Zorn, | |
die Gefühle des Verlassenssein und auch die verklärten Erinnerungen – so | |
überzeugend nach, dass man sich an diesem Theaterabend eben doch der Frau | |
des Mordopfers gegenüber wähnt. | |
Das gilt auch für Selin Kavak, die als Elif Kubaşık über den gemeinsamen | |
Ausreißversuch mit ihrem Mehmet erzählt. Beide flüchteten aus dem | |
heimatlichen Dorf, ein paar Freunde halfen, warfen Bierflaschen aus dem | |
Auto, um die Verfolger mit Scherben aufzuhalten. Später erfuhren sie, dass | |
zum gleichen Zeitpunkt in der gleichen Gegend ein anderes Liebespaar auch | |
auf der Flucht war. Auch Kavak nimmt man die Geschichte ohne Abstriche als | |
selbst erlebt ab. | |
‚Gut gemacht‘, frohlockt man da – und hat doch nur deshalb Kenntnis von d… | |
Sache, weil Jahre später Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk von den | |
Rechtsradikalen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen wurde. Nur deshalb | |
wird man ja überhaupt zum Voyeur dieser Familiengeschichten. | |
## Rufmord an den Opfern | |
Natürlich handelt es sich auch um Voyeurismus. Und Michael Ruf, der | |
Regisseur der „NSU-Monologe“, der sich in den Jahren zuvor schon mit den | |
„Asyl-Monologen“ und -„Dialogen“ einen Namen als sensibler | |
Theaterdokumentarist gemacht hat, gibt offen zu, dass es ein längerer | |
Prozess gewesen ist, die Familien der Opfer für das Projekt zu gewinnen. | |
Gut, dass sie es schließlich doch taten; neben Kubaşık und Şimşek | |
beteiligte sich noch die Familie von Halit Yozgat, dem in Kassel | |
erschossenen Betreiber eines Internetcafés, am Projekt und gab den | |
Theatermachern lange Interviews. Denn man erfährt in den „NSU-Monologen“ �… | |
ein irreführender Titel, es monologisieren ja nicht nicht posthum Mundlos, | |
Böhnhardt oder die in München angeklagte Beate Zschäpe – nicht nur aus der | |
Perspektive der Angehörigen der Ermordeten von den Taten. Der | |
Theaterbesucher ist auch mit dem Rufmord nach dem Mord konfrontiert; mit | |
den Verdächtigungen, dass die Täter aus dem Familienumfeld kommen könnten; | |
dass die Opferfamilien in kriminelle Milieus verwickelt seien. | |
## Verlangen nachEntschuldigungen | |
Man wünscht sich, dass sich wenigstens einzelne Ermittler für die | |
Vorverurteilungen entschuldigt hätten. Oder dass sich bei | |
Journalistenkollegen Berufsehre und persönlicher Anstand zu einer Bitte um | |
Verzeihung verdichtet hätten. Und egal wie man politisch zu Angela Merkel | |
steht, wünschte man auch, dass Adile Şimşek von erfüllter Hoffnung in eine | |
Exekutive sprechen könnte. Ihr Fazit aber lautet: „Also Merkel hat bis | |
jetzt noch nichts aufgedeckt.“ Der „Hochdruck“ der „zuständigen Behör… | |
Bund und Ländern“, er gilt offenbar eher dem Zudecken. | |
Aber solange immer noch von einer „Zelle“ dreier durchgeknallter | |
ideologisierter Krimineller die Rede ist und nicht von einem teils von | |
V-Männern durchsetzten Netzwerk, in dem Einzelne auch finanziell | |
profitierten – das belegen Danksagungen rechter Blätter an die Bank | |
raubenden Geldspender des NSU – bleibt das Vertrauen in den Staat | |
erschüttert. Das wird an diesem berührenden Theaterabend ganz besonders | |
deutlich. | |
Aufführung am Fr, 5. Mai, 19.30 Uhr im Rahmen der Tagung des Netzwerks | |
kritische Migrations- und Grenzregimeforschung, Haus der Jugend Osnabrück, | |
Große Gildewart 6-9 | |
Weitere Aufführung am So, 28. Mai im Rahmen der „Kulturellen Landpartie“ im | |
Wendland, Kommune Güstritz, Im Rundling 14 | |
29 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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