# taz.de -- Hamburger Dokfilmwoche: Der Zauber des analogen Kinos | |
> Bei der 14. Hamburger Dokfilmwoche laufen die Produktionen „Deportation | |
> Class“ und „66 Kinos“: Darin geht es um Flüchtlinge und ambitionierte | |
> Lichtspielhäuser. | |
Bild: Aussterbender Beruf: Filmvorführerin bei der Arbeit | |
Da steht ein kleiner Mann nachts im Schlafanzug in seiner Wohnung. | |
Fassungslos sieht er, wie der Flur voller Polizisten ist, von denen einer | |
ihm erklärt, dass er und seine Familie in wenigen Minuten in einen Bus | |
verfrachtet und zu einem Flugzeug gebracht werden, das sie zurück in ihr | |
Heimatland Albanien bringen wird. | |
Diese Szene der absoluten Machtlosigkeit ist schwer zu ertragen, und es | |
stellt sich die Frage, ob es nicht unanständig ist, sie zu zeigen. Sie ist | |
nur zu rechtfertigen, wenn die Geschichte auch aus der Perspektive dieses | |
Mannes und seiner Familie erzählt wird. Und genau dies ist den Filmemachern | |
Carsten Rau und Hauke Wendler in ihrer Dokumentation „Deportation Class“ | |
gelungen, die am Samstag, den 22. April, um 18.30 Uhr im Metropolis in | |
Hamburg gezeigt. | |
Der Film wird während der 14. Hamburger Dokumentarfilmwoche in der Sektion | |
Dokland Hamburg gezeigt. Zwischen dem 19. und 23. April laufen in 32 | |
Vorführungen Filme aus zwölf Ländern in den Spielorten Metropolis, B-Movie, | |
Lichtmess und Gängeviertel. | |
In „Deportation Class“ zeigen Rau und Wendler sachlich und präzise, wie | |
eine der Abschiebungen abläuft, die im Amtsdeutsch „aufenthaltsbeendende | |
Maßnahmen“ genannt werden, was man auch aus ihrem Film erfahren kann. Das | |
Filmteam durfte in Mecklenburg-Vorpommern mit der Kamera eine | |
Sammelabschiebung begleiten. | |
Die Filmemacher zeigen den zuständigen Beamten, der gründlich an seinem | |
Schreibtisch den Einsatz plant; wie die Polizisten nachts ihren Einsatz | |
durchführen; wie einer der „Rückzuführenden“ von ihnen daran gehindert | |
wird, mit seiner Anwältin zu telefonieren und wie diese später sichtlich | |
erschüttert auf die plötzliche Abschiebung reagiert. | |
Von Anfang an zeigt der Film auch, wie verheerend die Abschiebung für die | |
Deportierten ist. Dafür folgt er zwei Familien erst bis ans Flugzeug, mit | |
dem sie ausgeflogen werden und dann nach Albanien, wo sie in ihren neuen, | |
armseligen Lebensumständen gezeigt werden und davon erzählen, wie | |
traumatisch diese Erfahrung für sie ist. | |
So schildert eine zwölfjährige Tochter, die gut integriert auf eine | |
deutsche Schule ging, dass all ihre Hoffnungen und Träume durch die | |
Deportation zerstört wurden. Die andere Familie war nach Deutschland | |
gekommen, weil die jungen Söhne in Albanien wegen einer Blutrache um ihr | |
Leben fürchten müssen. Dennoch wurden sie zurückgeschickt und niemand | |
traute sich dort, ihnen zu helfen, sodass sie im letzten Bild des Films mit | |
ihren paar Habseligkeiten auf einem Schotterweg ins unausweichliche Elend | |
zu gehen scheinen. | |
Ein ganz anderes Thema behandelt der Regisseur Philipp Hartmann in seinem | |
Film „66 Kinos“. Der Hamburger vermischte darin einfallsreich die | |
Arbeitsphasen eines Filmprojekts – vom Entwurf über das Drehen bis zur | |
Vermarktung – indem er gleichzeitig sein jüngstes Werk präsentierte und ein | |
neues drehte. | |
Hartmann war in den Jahren 2014/15 mit seiner Dokumentation „Die Zeit | |
vergeht wie ein brüllender Löwe“ durch das Land getingelt, um sie jeweils | |
persönlich in Kinos vorzustellen. Auf dieser Tournee nahm er eine kleine, | |
digitale Kamera mit und machte damit in den 66 Kinos, die er besuchte, | |
mindestens eine Aufnahme. Viele porträtierte er ausführlicher, wie etwa das | |
Alpirsbacher Klosterkino mit seinen 18 Sitzplätzen in Mauern, die über 500 | |
Jahre alt sind. Denn in den Hunderten formatierten Kinos, die alle die | |
gleichen Filme zeigen, seien es nun Blockbuster oder Arthausproduktionen, | |
wurde sein Film ja nicht gezeigt. | |
Nur in speziellen Spielstätten, in denen eigenwillige Betreiber für nur | |
eine Vorstellung einen Film ins Programm nahmen, von dem sie wussten, dass | |
er das Kino nicht füllen würde, hatte er eine Chance. Und so individuell | |
wie die Programmauswahl waren auch die Spielstätten, sodass Hartmann mit | |
seinem Reiseplan ohne jede Recherche eine Auswahl der interessantesten | |
Kinos des Landes in Händen hatte. | |
Hartmann war im Meldorfer Verzehrkino, dem Münchner Werkstatt-Kino, das von | |
Liebhabern betrieben wird, die ihr Geld woanders verdienen, aber auch in | |
einigen wenigen Multiplexen, deren Besitzer sich den Luxus eines | |
unkommerziellen Nischenprogramms leisteten. | |
Die Digitalisierung und wie sie die Kinos veränderte, war ein wichtiges | |
Thema in den Gesprächen, die Hartmann mit den Kinomachern führte. Er feiert | |
das alte, analoge Kino, wenn er etwa Carsten Knoop im Hamburger | |
Lichtmess-Kino seinen Experimentalfilm „Miezen“ vorführen lässt. | |
Darin hat Knoop die Testbilder für die Filmprojektion aneinander montiert, | |
die normalerweise nur die Filmvorführer sehen und auf denen immer Frauen in | |
die Kamera lächeln. Und im Hamburger B-Movie zeigt Hartmann eine der | |
Geschäftsführerinnen, die stolz vorführt, wie der 35-Millimeter-Film vom | |
Projektor durch ein Loch im Boden in den Keller läuft, weil der Vorführraum | |
zu klein für die Filmspulen ist. | |
So ist „66 Kinos“ zwar eine Bestandsaufnahme der deutschen Kinolandschaft, | |
die erstaunlich reich und vielfältig zu sein scheint. Aber er ist auch ein | |
Abgesang auf eine sterbende Kinokultur in der Tradition von Wim Wenders „Im | |
Laufe der Zeiten“, den Hartmann auch einmal unübersehbar zitiert. | |
Auf den gelehrten, aber auch drögen Vortrag des Leiters der Kurzfilmtage | |
Oberhausen, Lars Henrik Gass, über die Zukunft des Kinos hätte er dagegen | |
gut verzichten können. Aber die meisten seiner Gesprächspartner erzählen | |
interessante Geschichten in denen deutlich wird, wie intensiv sie ihre | |
Kinos und das Kino lieben. | |
„66 Kinos“ ist auch deshalb ein ausgefuchstes Filmprojekt, weil es eine | |
eingebaute Buchungsgarantie hat. Denn natürlich werden die Programmmacher | |
der 66 Kinos begierig sein, diesen Film zu zeigen, in dem sie ja selber | |
vorkommen. Wenn er etwa am 22. April um 20.30 Uhr im Metropolis laufen | |
wird, dann ist eben dieses Kino auch im Film zu sehen. | |
13 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sammelabschiebung nach Afghanistan: Abgeschobene in Kabul gelandet | |
Mehrere abgelehnte Asylbewerber sind von Düsseldorf aus abgeschoben worden. | |
MenschenrechtsaktivistInnen haben am Flughafen protestiert. |