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# taz.de -- Warburg-Haus öffnet sich für Laien: Wissen im Verborgenen
> Das Warburg-Haus möchte sich auch für ein nicht wissenschaftliches
> Publikum öffnen. Den Auftakt macht ein auf den ersten Blick
> unzugängliches Thema: Latenz
Bild: Latenz im Foto, aus der Serie „Bushaltestellen, Armenien“ von Corneli…
Wenn von latenten Krankheiten und anderen latenten Bedrohungen wie latentem
Rassismus oder Antisemitismus die Rede ist, dann ahnt man, was gemeint ist
– aber irgendwie bleibt das Wissen, nun ja, latent: irgendwo es ist es da,
aber wirklich manifest auch wieder nicht. Latenz jedenfalls ist erst einmal
alles andere als selbsterklärend: Was passiert mit künstlerischen,
politischen oder kulturellen Prozessen, die vermeintlich verschwunden oder
noch nicht aufgetaucht sind?
Oder wie es im Programm des Warburg-Hauses formuliert wird: „Was ist mit
dem, was vorher war“? Denn dort, im interdisziplinären Forum für Kunst- und
Kulturwissenschaften im einst dem Kulturwissenschaftler und Kunsthistoriker
Aby Warburg gehörenden Haus in der Eppendorfer Heilwigstraße, ist Latenz
das Schwerpunktthema für die Jahre 2017 und 2018.
„Dinge verschwinden, sind aber vielleicht noch da“, so bringt Cornelia
Zumbusch vom Direktorium des Warburg-Hauses Latenz als kulturelles Modell
auf den Punkt. „Wenn man zurück auf die Antike geht, ist Latenz zunächst
ein räumliches Konzept, das auf das lateinische Wort „latere“ – verberge…
zurückgeht“, erklärt sie.
Ovid habe dem Begriff mit dem Prinzip der „dissimulatio artis“ – wenn sie
verborgen ist, nützt die Kunst – eine künstlerische Dimension verliehen;
Cicero wiederum gab ihm eine politische Dimension: Er bezeichne mit Latenz
das Staatsgeheimnis, alles, was die Öffentlichkeit nicht sehen und wissen
soll, damit der Staatsapparat funktioniert. Auch Zumbusch und ihre
wissenschaftliche Koordinatorin Katharina Hoins interessiert vor allem das
Zusammenspiel von Kunst und Politik bei der Auseinandersetzung mit dem
Latenzbegriff.
Mit den neu angesetzten Schwerpunktthemen hat sich das Warburg-Haus
vorgenommen, seine Forschungen stärker in die Stadt zu tragen und die
Themen in Kooperation mit kulturellen Institutionen auch für ein
nicht-wissenschaftliches Publikum zu öffnen. Und so gibt es neben der
wissenschaftlichen Tagung „Latente Spannungen. Figuren des Äquilibriums“
vom 22. bis 24. Juni und Vorträgen über Passantinnen bei Charles
Baudelaire, Sigmund Freud und Aby Warburg auch ein umfangreiches
Kooperationsprogramm mit der „Warten“-Ausstellung in der Kunsthalle, der
mobilen Kinoreihe „Flexibles Flimmern“, dem Museum für Völkerkunde oder d…
Hamburger Kommunikationswissenschaftlerin Elke Grittmann.
„Es war ein unglaublicher Zufall, dass Brigitte Kölle in der Kunsthalle
genau dieses Jahr eine Ausstellung zum Warten macht“, sagt Hoins. Am
morgigen Sonntag wird sie dort mit Ursula Schulz-Dornburg über Fotos
sprechen, die die Fotografin von Menschen gemacht hat, die an
Bushaltestellen von Armenien bis Saudi-Arabien warten.
Am 18. Juni dann gibt es eine Dialogführung in der Kunsthalle und einen
Themennachmittag im Warburg-Haus mit Vorträgen und einer Podiumsdiskussion
zum Warten in der Literatur, in kreativen Prozessen und in aktuellen
Serienformaten. „Warten ist ein Beispiel für Latenz im Alltag sowie für
ihre künstlerische und politische Bedeutung“, sagt Zumbusch: „Da kann es um
die Frage gehen, inwiefern Warten kreative Energie freisetzt, aber auch,
inwiefern Warten als Machtmittel benutzt wird.“
Die Kunst habe dabei die Freiheit, das Verborgene an die Oberfläche zu
holen wie im Dokumentarfilm „Abendland“ von Nikolaus Geyrhalter, der vom
Krankenhaus bis zum Vergnügungstempel eine Schattenwelt zeigt, die im
Alltag nicht sichtbar ist oder bewusst möglichst unsichtbar gehalten werden
soll.
„Eine grundsätzliche Schwierigkeit der Latenz liegt darin, dass man immer
erst weiß, dass etwas latent war, wenn es manifest geworden ist“, sagt
Zumbusch. Deswegen sei Latenz oft ein nachträgliches Zuschreibungsphänomen.
Eine „größere Latenzsensibilität“ sei darum erstrebenswert: „eine grö…
Hellhörigkeit für Zwischen- und Untertöne – damit man die nicht erst zu
spät bemerkt“. Und Hoins ergänzt, dass der Brexit oder die Wahl Trumps
aktuelle Beispiele seien, wie latente Spannungen an die Oberfläche geraten.
Wie das Programm im kommenden Jahr fortgeführt werden soll, ist noch
unklar: „Ich habe ein paar Namen auf der Liste, will aber auch sehen, was
sich hier an Diskussionen verdichtet und welche Fragen offen bleiben“, sagt
Zumbusch: Das Haus will möchte sich die Freiheit nehmen zu sehen, welche
Latenzen manifest werden.
So viel ist dann aber doch schon ganz manifest: Eingeladen wird die
Kulturwissenschaftlerin Eva Horn, die sich mit Geheimdiensten und
Geheimhaltung in Kriegen auseinandersetzt. Denn „die Dialektik, dass
einerseits unfassbar viele Daten gesammelt werden und Dinge dadurch
überhaupt erst eine gewisse Öffentlichkeit bekommen können, aber
andererseits geheimgehalten werden“, auch sie ist ein aktuelles Beispiel
für die Relevanz der Frage nach der Latenz: Das Zeitalter der totalen
Überwachung sei eben kein Zeitalter, in dem Latenz gar nicht mehr möglich
sei. „Im Gegenteil: je mehr Daten, desto mehr Latenz.“
4 Apr 2017
## AUTOREN
Hanna Klimpe
## TAGS
Kunsthalle Hamburg
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