# taz.de -- Wut und Zahnschmerz | |
> Postpunk Lärmend, dissonant und kühl: In der schwäbischen Provinz hat | |
> alles angefangen, mittlerweile entsteht die „niedrigschwellige“ Musik von | |
> Karies in Berlin – heute spielen sie im West Germany | |
Bild: Spielen gern einfach drauflos: das schwäbisch-berlinerische Quartett von… | |
vonTabea Köbler | |
„Mich nervt, dass heute in der Musik immer alles auf einer ironischen | |
Schiene läuft“, sagt Max Nosek von Karies. „Da ist immer diese | |
Abständigkeit.“ In den Texten der Band geht es oft um Isolation und | |
Entfremdung. Die Musik klingt dagegen fast wie der Versuch, diese Distanz | |
zu durchbrechen: emotional, motorisch-treibend, dunkel und lärmend, | |
gleichzeitig minimalistisch, stoisch, dissonant und kühl. | |
Karies sind zu viert: Max spielt Bass, Benjamin Schröter und Jan Rumpela | |
Gitarre. Seit Jahresbeginn sitzt wieder Kevin Kuhn hinterm Schlagzeug, der | |
auch bei Die Nerven spielt und deshalb wegen Zeitmangel einige Male | |
abgelöst werden musste. Benjamin, Max und Jan trafen sich schon vor acht, | |
neun Jahren in einem Proberaumkomplex in der schwäbischen Provinz. | |
2012 lernte Benjamin Kevin kennen, der gerade in einem ausrangierten | |
Bahnwaggon in Stuttgart eine Veranstaltungsreihe mit dem programmatischen | |
Namen „Trashivals“ organisierte. Dahinter stand die Idee | |
„niedrigschwelliger Konzerte“. Das heißt: Statt lange im Proberaum zu | |
tüfteln, sollten alle frei drauflosspielen. So fand auch das erste Konzert | |
von Karies statt. | |
„Diese Waggons sind als Zwischennutzung im Rahmen von Stuttgart 21 | |
entstanden“, erzählt Max. „Man konnte einfach hingehen und sagen, dass man | |
spielen will, und dann lief das.“ Es war ein „eigenes Biotop“, der wohl | |
wichtigste Ort der letzten Jahre für laute, abseitige Musik in Stuttgart – | |
einer Stadt, in der Subkultur nicht allzu viel Platz hat. Hier trafen sich | |
neben Karies auch Die Nerven oder Human Abfall. | |
Die Waggons gibt es nicht mehr, und die Szene, die sich dort formierte, hat | |
sich etwas verstreut. Max und Kevin von Karies wohnen mittlerweile in | |
Berlin. Die Art und Weise, wie sie ihre Stücke schreiben, hat sich dadurch | |
auch verändert. Jeder nimmt zu Hause Demos auf, bei den Proben werden sie | |
gemeinsam umgesetzt. Die Dynamik des unmittelbaren Zusammenspiels ist aber | |
immer noch extrem wichtig. Als sie für ihr zweites Album, „Es geht sich | |
aus“, mit Max Rieger und Ralv Milberg ins Studio gingen, waren einige | |
Stücke noch rudimentäre Skizzen. „Die haben wir während der Aufnahmen noch | |
weiter rausgejamt“, erklärt Max. So entstand etwa der markante, tänzelnde | |
„Polka-Basslauf“ von „Ostalb“: „Wir waren alle, wie es halt so ist, s… | |
so ein bisschen im Tee. Manchmal ist das gar nicht gut, weil dann jeder | |
völlig autistisch spielt. Irgendwann kam mir dieser Basslauf, der erst mal | |
gar nicht gepasst hat. Ich habe ihn einfach stoisch weitergespielt und | |
plötzlich kamen die anderen Elemente dazu“, lacht Max. „Alleine zu Hause | |
hätte ich bei dem Riff gedacht: Was ist das für ein Quatsch.“ | |
Die Texte schreibt derjenige, der singt – damit wechseln Benjamin und Max | |
sich ab. Meist entsteht die Musik zuerst. „Ich assoziiere dann einfach | |
frei. Manchmal bleiben irgendwelche Bilder hängen, oder ich fange so einen | |
komischen rumsummenden Gesang an. Dabei schälen sich einzelne Buchstaben | |
und Wörter raus“, erklärt Max. Agitierende und parolenhafte Texte mag er | |
nicht, stattdessen sucht er nach einem „diffusen Raum“, in dem mehrere, | |
auch widersprüchliche Lesarten möglich sind. | |
Karies werden meist als Post-Punkband mit Bezug auf die 80er Jahre | |
beschrieben. Stilistische Konzepte und Referenzen liegen ihnen aber | |
eigentlich fern. Max lacht: „Postpunk und Wave aus den 80ern, das kannte | |
ich alles gar nicht, bevor wir mit der Band angefangen haben.“ Wie die | |
Klangästhetik dann entstanden ist? „Ich bin auf jeden Fall ein wütender | |
Mensch“, sagt er und überlegt. „Aus einer gelösten, heiter freudigen | |
Stimmung heraus kommt mir nicht viel. Ich bekomme es nicht so richtig hin, | |
ein Lied über Glück zu schreiben.“ Ihre Musik sieht er als natürliches | |
Ergebnis ihres Miteinanders als Band, die sich mit ihnen weiterentwickeln | |
und verändern wird. „Es hätte auch sein können, dass ich ganz andere Leute | |
kennenlerne. Dann würde ich jetzt vielleicht HipHop machen.“ | |
Heute, 29. März, 20 Uhr, West Germany | |
29 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Tabea Köbler | |
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