# taz.de -- Die Saubermacher aus der Nr. 93 | |
> Die Gebrüder Davcik betreiben seit Jahren eine Reinigung im Berliner | |
> Bergmannkiez. Familienbetriebe wie ihre drohen dort zu verschwinden | |
Bild: Die zwei Davciks, Anfang 2017 | |
von Gabriele Goettle | |
Die Bergmannstraße bildet die zentrale Achse des Bergmannkiezes, der sich | |
vom Mehringdamm bis zum Südstern erstreckt. Restaurierte Gründerzeithäuser | |
mit Hinterhöfen und Seitenflügeln reihen sich aneinander. Daran, dass man | |
hier einstmals von der „Wiege bis zur Bahre“ lebte, erinnert ein riesiges | |
Friedhofsgelände. Zum Südstern hin begrenzt eine circa 600 Meter lange | |
Friedhofsmauer aus rotem Backstein den nördlichen Teil eines 21 Hektar | |
großen, alten Friedhofsareals, bestehend aus vier miteinander verbundenen | |
Friedhöfen, darunter den ältesten Gemeindefriedhof Berlins, den alten | |
Luisenstädtischen Friedhof. Hier liegen unter anderem Gustav Stresemann und | |
Tobias Christoph Feilner, der Erfinder des Berliner Kachelofens, begraben. | |
Die Friedhöfe liegen auf einem ehemaligen Weinberg und wurden um die Mitte | |
des 18. Jahrhunderts angelegt. Das Zentrum des Bergmannkiezes aber bildet | |
die 1892 eröffnete, im Zweiten Weltkrieg abgebrannte und später wieder | |
aufgebaute Marheineke-Markthalle. 2007 wurde sie modernisiert und zeigt | |
sich nun so, wie es inzwischen angesagt ist: Essstände mit Speisen aus fast | |
aller Herren Länder reihen sich aneinander, dazwischen ein schmales Angebot | |
an klassischer Marktware. | |
In der angrenzenden Bergmannstraße bietet sich dasselbe Bild; sie ist von | |
der Markthalle bis zum Mehringdamm nur etwa 500 Meter lang, aber diese 500 | |
Meter sind ein hart umkämpftes Areal. Die Dynamik am Immobilienmarkt zeigt | |
deutliche Spuren. Kaum noch etwas erinnert an den morbiden Charme aus den | |
Hausbesetzertagen der achtziger Jahre, an einen Kiez für die | |
„Schlechterverdienenden“. | |
## Einen Berg Hemdenzur Reinigung | |
Selbst den Sprayern sind die Hände erlahmt. Hier hat der Hedonismus des | |
modernen Stadtbewohners mit ordentlicher Kaufkraft Einzug gehalten. Es gibt | |
zahlreiche internationale Restaurants und Cafés, mit WLAN-Angebot und | |
Coffee-to-Go-Service. Fast verschwunden sind die Trödler aus den Basements, | |
die kleinen Lädchen und Fachgeschäfte. Einige Buchläden, türkische | |
Lebensmittelgeschäfte und asiatische Imbisse haben die Mietsteigerungen | |
überlebt. | |
Auch die Vollreinigung der Gerüder Davcik in der Nr. 93 hat überlebt. | |
Lediglich durch Vermittlung einer Freundin und alten Kundin des Ladens war | |
Herr Davcik bereit zu einem Porträt. Er sagte selbstbewusst: „Normalerweise | |
machen wir solche Interviews gar nicht. Interessiert uns nicht!“ | |
Wir sind verabredet an einem Samstagnachmittag bei vollem Geschäftsbetrieb. | |
Eigentlich brauche ich Ruhe für solche Gespräche, aber die ist hier rar und | |
so gut wie nie vorhanden. Dennoch werde ich ohne Nervosität sehr freundlich | |
empfangen und begrüßt. Herr Davcik unterbricht dazu das Gespräch mit einem | |
älteren Herrn und wendet sich ihm dann wieder zu. Der Kunde hat einen Berg | |
Hemden zur Reinigung mitgebracht und trägt auf dem Arm an die zehn Hemden, | |
frisch gewaschen und gebügelt. Herr Davcik fragt: „Donnerstag im Laufe des | |
Tages? Die Hemden gelegt, oder wieder auf dem Bügel? Das Legen kostet 30 | |
Cent mehr.“ Der Kunde, dem es zwar aufs Geld nicht anzukommen scheint, sagt | |
dennoch ohne zu zögern: „Auf dem Bügel reicht.“ | |
Er bekommt seinen Abschnitt, wird herzlich verabschiedet und verlässt | |
grüßend das Geschäft. Herr Davcik sagt: „Ja, die Männer müssen zu uns | |
kommen, denn heute dürfen sie die Frauen gar nicht mehr danach fragen, ob | |
sie ihnen mal das Hemd waschen und bügeln. Das war früher keine Frage. Ich | |
selbst habe das noch gelernt, das Hemdenbügeln. Meine Mutter genauso.“ | |
Herr Davcik spricht sehr leidenschaftlich, mitreißend. Er holt eine Karte | |
des ehemaligen Jugoslawien, breitet sie auf dem Verkaufstisch aus und zeigt | |
mit dem Finger auf einen Punkt. „Da bin ich 1964 geboren und katholisch | |
getauft. Das ist heute Serbien, gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts noch zu | |
Österreich-Ungarn und Kroatien. Diese Leute hier, bis Novi Sad (zeigt auf | |
die Karte), die waren katholisch und nicht orthodox. Viele der Männer sind | |
mit ungarischen Frauen verheiratet. Und die Serben, die beginnen erst hier | |
(zeigt auf die Karte), das Blaue ist die Donau, es gibt hier eine große | |
Brücke, wenn man die überquert, fängt jenseits Serbien an und da beginnt | |
auch der orthodoxe Glaube. | |
Meine Mutter kommt aus Belgrad. Meine Eltern haben 1958 geheiratet, zuerst | |
zog meine Mutter zu meinem Vater, wie es damals üblich war. Dann, nach | |
meiner Geburt, sind meine Eltern hierhin, in die Nähe von Belgrad gezogen. | |
Da ist dann mein Bruder zur Welt gekommen. Deshalb ist mein Bruder orthodox | |
getauft. Mein Bruder und ich, wir sind ja noch in den altmodischen Zeiten | |
groß geworden und halten die Tradition einigermaßen aufrecht, so wie wir | |
sie damals noch mitgekriegt haben von Oma und Opa, Tanten, Onkels und so | |
wie unsere Eltern es noch gemacht haben. Wundern Sie sich nicht, dass | |
draußen vor unserem Geschäft noch immer der Weihnachtsbaum steht, heute ist | |
nämlich nach dem julianischen Kalender Neujahrsbeginn. | |
## Das Gastarbeiterabkommen mit Jugoslawien | |
Mein Vater ist 1968 nach Deutschland gekommen, weil die Bundesrepublik | |
Gastarbeiter brauchte. Deshalb hat damals die BRD mit Josip Broz Tito, also | |
mit dem ehemaligen Jugoslawien, Verträge abgeschlossen.“ (Im Dezember 1955 | |
gab es das erste Anwerbeabkommen für die Entsendung von Gastarbeitern in | |
die BRD. Grund war der Ausgleich des Leistungsbilanzdefizits der | |
Entsendeländer gegenüber der Bundesrepublik. Zuerst kamen Italiener, Anfang | |
der 60er folgten Spanier, Griechen und Türken, 1968 folgte das Abkommen | |
zwischen der BRD und Jugoslawien, von Willy Brandt 1973 wegen der Ölkrise | |
gestoppt, Anm. d. A.) | |
„Mein Vater war Metalldreher von Beruf, und er hat in Frankfurt bei Siemens | |
angefangen zu arbeiten, dann ist er aber nach Berlin gekommen, weil in | |
Berlin ein bisschen besser bezahlt wurde damals, Ende der 60er Jahre. Nach | |
Berlin wollten die Westdeutschen nicht; wer die Geschichte noch kennt, der | |
weiß, die Stadt war vollkommen eingeklammert und wie eine Insel. Zuerst | |
aber kam er nach Frankfurt. Und er kam alleine nach Deutschland. Aber meine | |
Mutter hat gesagt, das wird nicht gutgehen, das sind 1.600 Kilometer! Wegen | |
der Ehe und der Kinder hat der Vater uns dann nachkommen lassen. Und das | |
war richtig, unsere Eltern sind bis zum letzten Tag zusammengeblieben.“ | |
Eine Kundin kommt, gibt einen Mantel ab und wird herzlich verabschiedet. | |
Herr Davcik schweigt einen Moment und schreibt etwas auf. Ringsum brummen | |
die Maschinen, die Lüftung macht ein gleichmäßiges Geräusch, die Luft ist | |
überraschend gut. | |
Dann erzählt er weiter: „Wir sind jetzt die zweite Generation der damaligen | |
jugoslawischen Gastarbeiter, zum Teil sind sie schon in der vierten | |
Generation, die Italiener kamen ja als Erste und sind anfangs vor allem in | |
Bayern gewesen. Was wir Gastarbeiter gemeinsam haben, ist, dass nur die | |
wenigsten zurückgegangen sind. Wenn die Kinder heiraten und nicht | |
zurückwollen, wenn Enkel entstehen, dann möchte man bei ihnen bleiben. Für | |
uns Ausländer ist die Familie das A und O! Mein Bruder und ich, wir sind ja | |
jetzt übrig geblieben, wir beide. Und wir müssen hier zusammenarbeiten, | |
notgedrungen, ich bin zwar der Ältere, aber wir machen das sehr | |
diplomatisch. Wir haben es so geregelt, dass er angestellt ist bei mir, | |
denn zwei Eigentümer in einem kleinen Laden, das machte keinen Sinn. Wir | |
haben damals, 1989, eine chemische Reinigung in der Zossener Straße | |
übernommen und sie gemeinsam als Familie betrieben. Meine Mutter hat | |
nebenbei noch als Putzfrau gearbeitet, bei dieser großen Reinigungsfirma, | |
wie heißt die doch gleich … na … jetzt fällt mir der Name nicht ein!“ I… | |
schlage vor: „Gegenbauer?“ Er ruft aus: „Ja, genau, so heißt sie! Das war | |
in den Siebzigern gewesen. Die waren ja clever, sie haben das | |
Reinigungspersonal eingestellt und überall in der Stadt bei Firmen putzen | |
lassen. Meine Mutter hat in der ganz großen Bank in der Kantstraße geputzt. | |
Dort jahrelang sauber gemacht, bis ihre eigene Mutter erkrankte – also | |
meine Oma, die ja nicht mitgekommen war nach Deutschland. Da musste unsere | |
Mutter zurück nach Serbien und hat sie ein paar Jahre gepflegt, bis sie | |
gestorben ist. | |
## Zwangsversteigerung des Hauses | |
Also unser Geschäft, unsere chemische Reinigung, die hieß Davcik GbR, das | |
bedeutet, Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Und die beiden Gesellschafter, | |
das waren mein Vater und ich. Sie war in der Zossener Straße 26. Der Laden | |
dort hatte 60 Quadratmeter, hier haben wir nur 40. Wir hatten das andere | |
Geschäft durchgehend von 1989 bis 2008. In dieser Zeit haben plötzlich die | |
Hausbesitzer gewechselt, 2007 war das Haus verkauft worden bei einer | |
Zwangsversteigerung. Die Familie, die das Haus erworben hatte, war uns | |
eigentlich schon jahrelang bekannt, aber wenn es dann ums Eingemachte geht, | |
ums Geld, dann hört jede Freundschaft und jede gute Bekanntschaft auf. Hier | |
war es auch so. | |
Wir hatten dort 1.000 Euro Miete zu zahlen. Das war gerade noch bezahlbar. | |
Als wir anfingen, da waren es nur 1.500 Mark. Und mit der Einführung des | |
Euro stiegen dann ja überall die Preise, und das geht immer weiter! Dem | |
Bürger erzählt man irgendwas. Wenn ich höre, dass wir jetzt im Februar eine | |
Inflationsrate von 2,2 Prozent haben, dann ärgere ich mich. Es werden Leute | |
wie Herr Ackermann und der ehemalige Daimler-Chef Schrempp – und wie sie | |
alle heißen mögen – einfach in einen Topf geschmissen mit einem Rentner, | |
der vielleicht nur 600 Euro Rente hat. Oder mit einem wie unserem Vater, | |
der nach 35 harten Arbeitsjahren hier in Deutschland nur 800 Euro Rente | |
bekommen hat. | |
## Den Laden aufzugeben fiel ihnen schwer | |
Jedenfalls bekamen wir damals eine Mieterhöhung. Auf einmal waren es fast | |
3.000 Euro, und dazu kommen ja auch noch andere Kosten. Vom Gesetzlichen | |
her geht das alles, die Gewerbemieten sind ja ‚frei verhandelbar‘, und wenn | |
ein Vertrag ausläuft, der ja nur für eine bestimmte Zeit abgeschlossen | |
wird, dann wird neu verhandelt. Der hätte auch 10.000 verlangen können. | |
Entweder, du bist bereit, das zu bezahlen, oder nicht. Wenn nicht, dann | |
musst du raus. Aber ich sag’s mal so: Drogen, Waffen, Frauen verkaufen wir | |
keine. Wir leben nur vom Saubermachen, vom Reinigen, das ist unsere Arbeit, | |
und damit war diese Miete nicht mehr zu erwirtschaften. Also mussten wir | |
raus. | |
Es ging dann ziemlich lange hin und her, zuletzt dann auch vor Gericht, wo | |
wir uns leider auch nicht gütlich einigen konnten. Er wollte dann sogar | |
noch eine Entschädigung, weil wir den Vertrag nicht angenommen haben und | |
mit unseren ganzen Maschinen und allem ein halbes Jahr später erst | |
ausziehen konnten. Er behauptete, er hätte dadurch einen Nachmieter | |
verloren. Der sei abgesprungen und dadurch hätte er 80.000 Euro verloren. | |
Er wollte als Schadenersatz 50.000 Euro von uns, das Gericht fand das aber | |
kurios. Und dann wurde damals auch noch unser Vater krank. Mein Bruder vor | |
allem und auch ich haben uns um ihn gekümmert. Das hätten wir nicht | |
gekonnt, wenn wir weiter zwei Läden gehabt hätten. So hat sich das alles | |
ereignet. | |
Den Laden aufzugeben fiel uns sehr schwer. Wenn man18 Jahre in so einem | |
Geschäft ist, Tag für Tag, dann ist es fast wie ein Kind. Wir hatten feste | |
Kundschaft, alles! Sie ist mit uns hier rübergegangen. Die, die in den 90er | |
Jahren zu uns gekommen sind, das waren vor allem ältere Leute, also der | |
30er und 40er Jahrgang. Davon haben wir nur noch ganz wenige, der Rest ist | |
zugezogene, neue Kundschaft. Aber die beiden Geschäfte, das in der Zossener | |
– heute ist da ein Friseur drin – und das hier, das waren beides lang | |
eingesessene Reinigungen, die seit 40, 50 Jahren existierten, sie haben | |
viele ihrer Kunden überlebt. | |
Wissen Sie, was ich getan habe, damals? Ich war 25, ich bin hier | |
rübergegangen und habe zum Besitzer gesagt: Ich will mich einfach mal | |
vorstellen, weil ich der neue Eigentümer bin in der Zossener Straße. Und | |
ich habe ihm auch meine Hilfe angeboten, falls seine Maschinen mal | |
kaputtgehen, dass er dann seine Sachen bei uns reintun kann. Und er war | |
sehr erfreut darüber, denn mit dem Voreigentümer unseres Ladens ist er gar | |
nicht gut ausgekommen. Für die gab’s nur eins: Konkurrenz! Feind! | |
Für uns hat sich das gute Verhältnis später positiv ausgewirkt. Als er | |
seinen Laden hier eines Tages verkaufen wollte, da ist er rüber gekommen | |
und hat gesagt: Hast du Interesse, den Laden zu übernehmen? | |
## Vattern war noch rüstig | |
Das war 1994, also noch lange bevor wir rausmussten drüben. Ich habe mich | |
dann abends mit der Familie zusammengesetzt, um zu beraten, ob wir den | |
Laden übernehmen wollen, also zusätzlich. Das ist dann zwar ein größerer | |
Aufwand an Arbeit und Geld, aber man muss ja auch ein bisschen | |
geschäftsmäßig denken. Und dann haben wir uns dafür entschieden. Wir | |
mussten zur Bank für einen Kredit, aber das war damals alles noch | |
einfacher. Sie haben uns das Geld gegeben und wir haben den Laden | |
übernommen. Wir haben es unter uns Brüdern dann so gemanagt, dass einer | |
hier war und der andere drüben. Ich blieb drüben. Vattern war ja auch noch | |
vollkommen rüstig und Muttern auch. Wir haben einander geholfen, wo was zu | |
helfen war. Es war einfach ein richtiger Familienbetrieb – das ist es in | |
gewissem Sinn immer noch. Dass das ein solcher Glücksgriff sein würde, das | |
haben wir uns damals noch nicht gedacht. | |
Und dann kam es eben zu diesem Desaster 2008. Bis dahin war alles gut | |
gelaufen, aber dann mussten wir den Laden räumen, weil wir die krasse | |
Mieterhöhung nicht zahlen konnten. Der Mietvertrag lief im März 2008 aus. | |
Ja, es ist zwar jetzt fast zehn Jahre her, aber es schmerzt immer noch. Und | |
wenn wir damals den zweiten Laden hier nicht gehabt hätten, dann wäre es | |
vorbei gewesen mit uns – so wie es heute einigen geht, die aufgeben müssen | |
in so einer Situation. Wir hätten die ganzen Gerätschaften und alles | |
verkaufen oder verschrotten müssen. Letzten Endes sind wir mit einem blauen | |
Auge davongekommen. Wir hatten viel Stress mit dem Gericht, mit Anwälten, | |
wir waren zum Glück rechtsschutzversichert. Die Kosten musste die | |
Gegenseite tragen. | |
Und dann haben wir uns also hier zusammengetan, mein Bruder und ich. Hier | |
ist natürlich alles teurer, das ist ja schließlich die Bergmannstraße. Aber | |
wir können uns immer noch glücklich schätzen, wenn man jetzt hört, was die | |
Geschäfte in der Straße hier so bezahlen müssen. Das sind zum Teil horrende | |
Mieten, 45 Euro für den Quadratmeter gilt als normal, aber ich höre auch | |
Forderungen von Hauseigentümern, die 70 Euro oder 80 Euro haben wollen. Da | |
laufen gerade Verhandlungen. Es nimmt gar kein Ende mit den immer höher | |
werdenden Forderungen. Aber es scheint so, dass es immer Leute gibt, die | |
diese hohen Mieten zahlen. Was die dann für ein Gewerbe ausüben, wie sie | |
das Geld erwirtschaften, das interessiert keinen Hausbesitzer. Hauptsache, | |
er hat seine Einnahmen gesteigert. | |
Nur wir, wir können unsere Einnahmen nicht steigern. Wir haben unsere | |
Preise und unsere Kunden. Ich werde jetzt gerade mal 53. Zum Glück sind wir | |
rüstig und können die viele Arbeit noch bewältigen, sind noch in der Lage, | |
den ganzen Tag hier zu stehen. Soll ich Ihnen meine Füße und Beine mal | |
zeigen, wie die aussehen? Die Venen sind angeschwollen … Man könnte sich | |
zwar manchmal auch hinsetzen, aber wenn die Leute raus- und reingehen, hat | |
man keine Ruhe. Wir haben ja kaum Zeit, mal rüberzugehen in die Markthalle | |
und was zu essen. Wir müssen jede Sekunde ausnutzen. Die Geschäfte gehen | |
nicht in jedem Monat gleich gut. Heute ist Samstag, da ist immer mehr los. | |
## Anwälte, Manager, Immobilienmakler | |
Und wir müssen ja auch sehen, unsere Hauptkundschaft, das ist nicht mehr | |
das Arbeitervolk. Dieses Arbeitervolk ist ausgestorben! Leider. Wir haben | |
jetzt nur noch Anwälte, Manager, Immobilienmakler. Die Kundschaft, die wir | |
in den achtziger Jahren hier hatten, die gibt es nicht mehr. Und auch die | |
Kleidung gibt’s nicht mehr. Damals hatten wir viel C&A-Sachen oder welche | |
von Woolworth und Arbeitskleidung. Davon haben wir jetzt kaum noch was. Wir | |
könnten ja auch keine Maurerhose mit einem Armani- oder Hugo-Boss-Anzug | |
(lacht) in die Maschine hineintun. Den Maurer würde es nicht stören, aber | |
den Besitzer der Anzüge vielleicht schon. | |
Heute geht es nur noch darum, gut auszusehen. Ein Anwalt, Immobilienmakler | |
oder Manager muss auf sein Äußeres Wert legen. Anzug, Krawatte und Hemd | |
sind die Berufskleidung. Sie können nicht hier in Kreuzberg eine Wohnung | |
verkaufen als Immobilienmakler für eine halbe oder für eine Million Euro | |
und dazu so freizeitmäßig gekleidet sein, wie ich es hier bin. Denn die | |
Klientel, die so eine teure Wohnung kauft, das ist die gehobene | |
Gesellschaft. Die haben das Geld vielleicht geerbt, jedenfalls haben sie es | |
nicht erarbeitet. Die haben eine ganz andere Einstellung. Ja diese ganze | |
neue Ordnung, die zeigt sich eben auch in den Sachen, die die Leute hier zu | |
uns bringen. Sehnse mal, hier auf den ganzen Bügeln, das da ist ein Anzug, | |
hier noch mehr Anzüge, das sind alles Hemden. Überall, wo Hemden sind, sind | |
auch Anzüge. | |
Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht mehr real ist. Junge Türken | |
hier, von 18, 19 Jahren, fahren einen Mercedes, der 100.000 Euro und mehr | |
kostet. Mein erstes Auto, das ich damals hatte, nachdem ich mit 18 den | |
Führerschein gemacht hatte, das hat mir mein Vater gekauft, es war ein Ford | |
Escort, 500 Mark. Das ist schon ein großer Unterschied. Und wenn ich nun | |
höre, dass hier in der Straße Verhandlungen laufen zwischen einem | |
Eigentümer und einem Geschäftsinhaber über die neue Mietforderung, dann | |
frage ich mich, wo das hinführen soll. Der Eigentümer will für einen Raum | |
von 130 Quadratmetern 60 Euro pro Quadratmeter haben, das ist eine | |
Kaltmiete von monatlich 7.800 Euro! Das kann keiner erwirtschaften, | |
vielleicht eine Bank. Und dann müssen eben alteingesessene Läden weichen.“ | |
Herr Davcik wird vorne bei den Kunden verlangt und muss das Gespräch | |
unterbrechen. | |
## „Gastronomen machen die Preise kaputt“ | |
Sein Bruder, Herr Dragan Davcik, ein Jahr jünger als er, übernimmt die | |
Rolle des Erzählers: „Die Veränderungen in der Bergmannstraße? Also wenn | |
ich jetzt in meiner Erinnerung die letzten 20 Jahre zurückgehe, die Straße | |
rauf und runter, dann muss man sagen, es ist viel passiert, ein einziges | |
Rein und Raus. Es gibt vielleicht noch sechs, sieben, acht Gewerbetreibende | |
aus der Zeit von früher. Und der Tourismus hat stark zugenommen. Ich muss | |
sagen, die Gastronomie macht viel kaputt. Der Gastronom ist 7 Tage die | |
Woche hier, macht vielleicht um 11 Uhr auf und nach Mitternacht erst zu, da | |
kann er mehr Geld verdienen als ein normaler Gewerbetreibender. Die | |
Besitzer vermieten deshalb gern an die Gastronomie. Früher waren in der | |
Straße zwei Cafés, das Barcomi’s und das Café Atlantic. Mehr gab es nicht, | |
und jetzt schaun Sie mal die Straße rauf und runter, das sind jetzt sieben, | |
acht Cafés. Ja, es ist natürlich schön, da draußen auf der Straße zu sitzen | |
und das Treiben der Anwohner und Touristen anzuschauen. Auch ich sitze da | |
zwischendurch mal gerne und trinke meinen Kaffee. Aber die Leute hier | |
brauchen nicht nur Cafés, die Menschen, die hier wohnen, möchten hier auch | |
einkaufen gehen und ihre Erledigungen machen. Es sind hier viele Geschäfte | |
vertrieben worden, ganz einfach über die Mieten. Und die Gastronomen | |
machen die Preise kaputt, zahlen jede Miete. Inzwischen haben wir hier vier | |
asiatische Restaurants, früher gab es nur eines, die Pagode, thailändische | |
Küche mit Selbstbedienung. Die hat 1994 aufgemacht, sich halten können. Die | |
kämpfen sich durch. Auf kleinstem Raum wird alles gemacht, wie bei uns | |
auch. Und so geht es immer weiter. | |
Hier zu leben, etwas zu mieten im privaten Bereich, kostet ja inzwischen | |
auch viel Geld. So werden die normalen Wohnungsmieter allmählich | |
vertrieben, weil sie einfach nicht mehr in der Lage sind, die Mieten zu | |
bezahlen. Es werden laufend Häuser verkauft. Alle Mieter müssen raus, dann | |
wird’s modernisiert und wieder für viel Geld verkauft oder vermietet. Da | |
kann der Eigentümer dann die doppelte oder dreifache Miete verlangen. Und | |
die, die das dann zahlen können, das sind meist Leute, die aus | |
Westdeutschland kommen, viele aus der Gegend von Stuttgart, aus | |
Süddeutschland.“ | |
Vorn im kleinen Verkaufsraum verabschiedet der ältere Bruder die | |
Kundschaft: „Danke. Schönes Wochenende, bis Donnerstag, Wiedersehen, | |
tschüs!“ Danach schließt er die Ladentür ab und kommt zu uns, in den | |
schmalen Raum nach hinten, in dem auch gebügelt, aufgehängt und eingepackt | |
wird. Hier wird jeder Zentimeter genutzt. Er sagt seufzend: Also Samstag | |
ist immer viel los … Sehn Sie, schon wieder rüttelt jemand an der Tür, aber | |
wir haben ab 16 Uhr geschlossen. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder | |
einen Schnaps? Nein? | |
Wir sagen immer, Samstag ist nur ein halber Tag, aber dann wird es doch | |
immer 18 oder19 Uhr, bis ich zu Hause bin, und dann bin ich geschafft von | |
der Woche. Wir haben nie zu, so wie der Friseur, die Kosten laufen ja | |
weiter und die Tage rennen verdammt schnell. So, jetzt müssen wir aber | |
allmählich anfangen, die Maschinen sauber zu machen. Die Hemden werden ja | |
in einer normalen Waschmaschine gewaschen, und die große Maschine hier, das | |
ist die Reinigungsmaschine, die arbeitet auf Chemiebasis. Da haben wir ein | |
geschlossenes System, aus der Waschmaschine fließt das Lösungsmittel in | |
einen Sammelbehälter, der regelmäßig von einer Spezialfirma abgeholt und | |
aufgearbeitet wird. | |
Und sagen Sie, wenn Sie jetzt hier so im Laden sitzen, die ganze Zeit, | |
fühlen Sie sich da von irgendwelchen Chemikalien belästigt? Nein? Sehn Sie! | |
Das kommt dadurch, dass wir – im Gegensatz zu den meisten anderen | |
chemischen Reinigungen – sehr darauf achten, dass die Ware, wenn sie aus | |
der Maschine kommt, ganz durchgetrocknet ist. Das ist zwar ein | |
Kostenfaktor, verbraucht mehr Energie, hat aber den Vorteil, das die Ware | |
nicht ausdünstet und dadurch der ganze Laden unglaublich nach Chemikalien | |
riecht. Nach diesem Perchloräthylen. Zurzeit gibt es kein effektiveres | |
Reinigungsmittel, aber es riecht eben sehr stark. | |
## Stehkragen, Faltkragen, alles kein Problem | |
Wir haben ja im Laufe der langen Zeit sehr viel Fachwissen gesammelt in | |
Beziehung auf Reinigung und Textilien. Ja, die Menschen bringen uns ihre | |
schmutzigen Kleidungsstücke. Dafür sind wir ja vor Ort. Wir erwarten diesen | |
‚Schmutz‘ und wir beseitigen ihn zuverlässig und schonend. Wir waschen sehr | |
ordentlich und bügeln sehr ordentlich. Gehen auch auf spezielle | |
Kundenwünsche ein, zum Beispiel von links bügeln, Falten ausbügeln oder | |
reinbügeln. Stehkragen, Faltkragen. Nein, einen Bügelautomaten haben wir | |
nicht. Hier wird alles noch per Hand gebügelt. Die Qualität ist so besser, | |
es ist schonender für die Ware. Besonders bei den Hemden, da stärken wir | |
auch, denn durch die Stärke gleitet das Eisen besser über den Stoff, der | |
Kalk aus dem Wasser macht ja die Ware stumpf.“ | |
Herr Davcik der Ältere wippt nervös mit den Beinen. Ich frage, ob es eilt | |
und er das Gespräch jetzt beenden will. Er lacht und sagt gut gelaunt: „Ich | |
zapple nur so. Mein Bruder regt sich auch immer darüber auf. Aber wenn ich | |
sitze, bewegt sich bei mir irgendwie alles, die Nerven arbeiten. Das | |
Zappeln ist eine Entlastung für mich und hat nichts damit zu tun, dass ich | |
Signale gebe, dass jetzt endlich Schluss sein soll oder so, nein … Aber | |
wenn Sie mit uns fertig sind, dann bin ich auch nicht traurig … Weil die | |
Maschinen müssten jetzt sauber gemacht werden …“ | |
27 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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