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# taz.de -- Die Saubermacher aus der Nr. 93
> Die Gebrüder Davcik betreiben seit Jahren eine Reinigung im Berliner
> Bergmannkiez. Familienbetriebe wie ihre drohen dort zu verschwinden
Bild: Die zwei Davciks, Anfang 2017
von Gabriele Goettle
Die Bergmannstraße bildet die zentrale Achse des Bergmannkiezes, der sich
vom Mehringdamm bis zum Südstern erstreckt. Restaurierte Gründerzeithäuser
mit Hinterhöfen und Seitenflügeln reihen sich aneinander. Daran, dass man
hier einstmals von der „Wiege bis zur Bahre“ lebte, erinnert ein riesiges
Friedhofsgelände. Zum Südstern hin begrenzt eine circa 600 Meter lange
Friedhofsmauer aus rotem Backstein den nördlichen Teil eines 21 Hektar
großen, alten Friedhofsareals, bestehend aus vier miteinander verbundenen
Friedhöfen, darunter den ältesten Gemeindefriedhof Berlins, den alten
Luisenstädtischen Friedhof. Hier liegen unter anderem Gustav Stresemann und
Tobias Christoph Feilner, der Erfinder des Berliner Kachelofens, begraben.
Die Friedhöfe liegen auf einem ehemaligen Weinberg und wurden um die Mitte
des 18. Jahrhunderts angelegt. Das Zentrum des Bergmannkiezes aber bildet
die 1892 eröffnete, im Zweiten Weltkrieg abgebrannte und später wieder
aufgebaute Marheineke-Markthalle. 2007 wurde sie modernisiert und zeigt
sich nun so, wie es inzwischen angesagt ist: Essstände mit Speisen aus fast
aller Herren Länder reihen sich aneinander, dazwischen ein schmales Angebot
an klassischer Marktware.
In der angrenzenden Bergmannstraße bietet sich dasselbe Bild; sie ist von
der Markthalle bis zum Mehringdamm nur etwa 500 Meter lang, aber diese 500
Meter sind ein hart umkämpftes Areal. Die Dynamik am Immobilienmarkt zeigt
deutliche Spuren. Kaum noch etwas erinnert an den morbiden Charme aus den
Hausbesetzertagen der achtziger Jahre, an einen Kiez für die
„Schlechterverdienenden“.
## Einen Berg Hemdenzur Reinigung
Selbst den Sprayern sind die Hände erlahmt. Hier hat der Hedonismus des
modernen Stadtbewohners mit ordentlicher Kaufkraft Einzug gehalten. Es gibt
zahlreiche internationale Restaurants und Cafés, mit WLAN-Angebot und
Coffee-to-Go-Service. Fast verschwunden sind die Trödler aus den Basements,
die kleinen Lädchen und Fachgeschäfte. Einige Buchläden, türkische
Lebensmittelgeschäfte und asiatische Imbisse haben die Mietsteigerungen
überlebt.
Auch die Vollreinigung der Gerüder Davcik in der Nr. 93 hat überlebt.
Lediglich durch Vermittlung einer Freundin und alten Kundin des Ladens war
Herr Davcik bereit zu einem Porträt. Er sagte selbstbewusst: „Normalerweise
machen wir solche Interviews gar nicht. Interessiert uns nicht!“
Wir sind verabredet an einem Samstagnachmittag bei vollem Geschäftsbetrieb.
Eigentlich brauche ich Ruhe für solche Gespräche, aber die ist hier rar und
so gut wie nie vorhanden. Dennoch werde ich ohne Nervosität sehr freundlich
empfangen und begrüßt. Herr Davcik unterbricht dazu das Gespräch mit einem
älteren Herrn und wendet sich ihm dann wieder zu. Der Kunde hat einen Berg
Hemden zur Reinigung mitgebracht und trägt auf dem Arm an die zehn Hemden,
frisch gewaschen und gebügelt. Herr Davcik fragt: „Donnerstag im Laufe des
Tages? Die Hemden gelegt, oder wieder auf dem Bügel? Das Legen kostet 30
Cent mehr.“ Der Kunde, dem es zwar aufs Geld nicht anzukommen scheint, sagt
dennoch ohne zu zögern: „Auf dem Bügel reicht.“
Er bekommt seinen Abschnitt, wird herzlich verabschiedet und verlässt
grüßend das Geschäft. Herr Davcik sagt: „Ja, die Männer müssen zu uns
kommen, denn heute dürfen sie die Frauen gar nicht mehr danach fragen, ob
sie ihnen mal das Hemd waschen und bügeln. Das war früher keine Frage. Ich
selbst habe das noch gelernt, das Hemdenbügeln. Meine Mutter genauso.“
Herr Davcik spricht sehr leidenschaftlich, mitreißend. Er holt eine Karte
des ehemaligen Jugoslawien, breitet sie auf dem Verkaufstisch aus und zeigt
mit dem Finger auf einen Punkt. „Da bin ich 1964 geboren und katholisch
getauft. Das ist heute Serbien, gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts noch zu
Österreich-Ungarn und Kroatien. Diese Leute hier, bis Novi Sad (zeigt auf
die Karte), die waren katholisch und nicht orthodox. Viele der Männer sind
mit ungarischen Frauen verheiratet. Und die Serben, die beginnen erst hier
(zeigt auf die Karte), das Blaue ist die Donau, es gibt hier eine große
Brücke, wenn man die überquert, fängt jenseits Serbien an und da beginnt
auch der orthodoxe Glaube.
Meine Mutter kommt aus Belgrad. Meine Eltern haben 1958 geheiratet, zuerst
zog meine Mutter zu meinem Vater, wie es damals üblich war. Dann, nach
meiner Geburt, sind meine Eltern hierhin, in die Nähe von Belgrad gezogen.
Da ist dann mein Bruder zur Welt gekommen. Deshalb ist mein Bruder orthodox
getauft. Mein Bruder und ich, wir sind ja noch in den altmodischen Zeiten
groß geworden und halten die Tradition einigermaßen aufrecht, so wie wir
sie damals noch mitgekriegt haben von Oma und Opa, Tanten, Onkels und so
wie unsere Eltern es noch gemacht haben. Wundern Sie sich nicht, dass
draußen vor unserem Geschäft noch immer der Weihnachtsbaum steht, heute ist
nämlich nach dem julianischen Kalender Neujahrsbeginn.
## Das Gastarbeiterabkommen mit Jugoslawien
Mein Vater ist 1968 nach Deutschland gekommen, weil die Bundesrepublik
Gastarbeiter brauchte. Deshalb hat damals die BRD mit Josip Broz Tito, also
mit dem ehemaligen Jugoslawien, Verträge abgeschlossen.“ (Im Dezember 1955
gab es das erste Anwerbeabkommen für die Entsendung von Gastarbeitern in
die BRD. Grund war der Ausgleich des Leistungsbilanzdefizits der
Entsendeländer gegenüber der Bundesrepublik. Zuerst kamen Italiener, Anfang
der 60er folgten Spanier, Griechen und Türken, 1968 folgte das Abkommen
zwischen der BRD und Jugoslawien, von Willy Brandt 1973 wegen der Ölkrise
gestoppt, Anm. d. A.)
„Mein Vater war Metalldreher von Beruf, und er hat in Frankfurt bei Siemens
angefangen zu arbeiten, dann ist er aber nach Berlin gekommen, weil in
Berlin ein bisschen besser bezahlt wurde damals, Ende der 60er Jahre. Nach
Berlin wollten die Westdeutschen nicht; wer die Geschichte noch kennt, der
weiß, die Stadt war vollkommen eingeklammert und wie eine Insel. Zuerst
aber kam er nach Frankfurt. Und er kam alleine nach Deutschland. Aber meine
Mutter hat gesagt, das wird nicht gutgehen, das sind 1.600 Kilometer! Wegen
der Ehe und der Kinder hat der Vater uns dann nachkommen lassen. Und das
war richtig, unsere Eltern sind bis zum letzten Tag zusammengeblieben.“
Eine Kundin kommt, gibt einen Mantel ab und wird herzlich verabschiedet.
Herr Davcik schweigt einen Moment und schreibt etwas auf. Ringsum brummen
die Maschinen, die Lüftung macht ein gleichmäßiges Geräusch, die Luft ist
überraschend gut.
Dann erzählt er weiter: „Wir sind jetzt die zweite Generation der damaligen
jugoslawischen Gastarbeiter, zum Teil sind sie schon in der vierten
Generation, die Italiener kamen ja als Erste und sind anfangs vor allem in
Bayern gewesen. Was wir Gastarbeiter gemeinsam haben, ist, dass nur die
wenigsten zurückgegangen sind. Wenn die Kinder heiraten und nicht
zurückwollen, wenn Enkel entstehen, dann möchte man bei ihnen bleiben. Für
uns Ausländer ist die Familie das A und O! Mein Bruder und ich, wir sind ja
jetzt übrig geblieben, wir beide. Und wir müssen hier zusammenarbeiten,
notgedrungen, ich bin zwar der Ältere, aber wir machen das sehr
diplomatisch. Wir haben es so geregelt, dass er angestellt ist bei mir,
denn zwei Eigentümer in einem kleinen Laden, das machte keinen Sinn. Wir
haben damals, 1989, eine chemische Reinigung in der Zossener Straße
übernommen und sie gemeinsam als Familie betrieben. Meine Mutter hat
nebenbei noch als Putzfrau gearbeitet, bei dieser großen Reinigungsfirma,
wie heißt die doch gleich … na … jetzt fällt mir der Name nicht ein!“ I…
schlage vor: „Gegenbauer?“ Er ruft aus: „Ja, genau, so heißt sie! Das war
in den Siebzigern gewesen. Die waren ja clever, sie haben das
Reinigungspersonal eingestellt und überall in der Stadt bei Firmen putzen
lassen. Meine Mutter hat in der ganz großen Bank in der Kantstraße geputzt.
Dort jahrelang sauber gemacht, bis ihre eigene Mutter erkrankte – also
meine Oma, die ja nicht mitgekommen war nach Deutschland. Da musste unsere
Mutter zurück nach Serbien und hat sie ein paar Jahre gepflegt, bis sie
gestorben ist.
## Zwangsversteigerung des Hauses
Also unser Geschäft, unsere chemische Reinigung, die hieß Davcik GbR, das
bedeutet, Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Und die beiden Gesellschafter,
das waren mein Vater und ich. Sie war in der Zossener Straße 26. Der Laden
dort hatte 60 Quadratmeter, hier haben wir nur 40. Wir hatten das andere
Geschäft durchgehend von 1989 bis 2008. In dieser Zeit haben plötzlich die
Hausbesitzer gewechselt, 2007 war das Haus verkauft worden bei einer
Zwangsversteigerung. Die Familie, die das Haus erworben hatte, war uns
eigentlich schon jahrelang bekannt, aber wenn es dann ums Eingemachte geht,
ums Geld, dann hört jede Freundschaft und jede gute Bekanntschaft auf. Hier
war es auch so.
Wir hatten dort 1.000 Euro Miete zu zahlen. Das war gerade noch bezahlbar.
Als wir anfingen, da waren es nur 1.500 Mark. Und mit der Einführung des
Euro stiegen dann ja überall die Preise, und das geht immer weiter! Dem
Bürger erzählt man irgendwas. Wenn ich höre, dass wir jetzt im Februar eine
Inflationsrate von 2,2 Prozent haben, dann ärgere ich mich. Es werden Leute
wie Herr Ackermann und der ehemalige Daimler-Chef Schrempp – und wie sie
alle heißen mögen – einfach in einen Topf geschmissen mit einem Rentner,
der vielleicht nur 600 Euro Rente hat. Oder mit einem wie unserem Vater,
der nach 35 harten Arbeitsjahren hier in Deutschland nur 800 Euro Rente
bekommen hat.
## Den Laden aufzugeben fiel ihnen schwer
Jedenfalls bekamen wir damals eine Mieterhöhung. Auf einmal waren es fast
3.000 Euro, und dazu kommen ja auch noch andere Kosten. Vom Gesetzlichen
her geht das alles, die Gewerbemieten sind ja ‚frei verhandelbar‘, und wenn
ein Vertrag ausläuft, der ja nur für eine bestimmte Zeit abgeschlossen
wird, dann wird neu verhandelt. Der hätte auch 10.000 verlangen können.
Entweder, du bist bereit, das zu bezahlen, oder nicht. Wenn nicht, dann
musst du raus. Aber ich sag’s mal so: Drogen, Waffen, Frauen verkaufen wir
keine. Wir leben nur vom Saubermachen, vom Reinigen, das ist unsere Arbeit,
und damit war diese Miete nicht mehr zu erwirtschaften. Also mussten wir
raus.
Es ging dann ziemlich lange hin und her, zuletzt dann auch vor Gericht, wo
wir uns leider auch nicht gütlich einigen konnten. Er wollte dann sogar
noch eine Entschädigung, weil wir den Vertrag nicht angenommen haben und
mit unseren ganzen Maschinen und allem ein halbes Jahr später erst
ausziehen konnten. Er behauptete, er hätte dadurch einen Nachmieter
verloren. Der sei abgesprungen und dadurch hätte er 80.000 Euro verloren.
Er wollte als Schadenersatz 50.000 Euro von uns, das Gericht fand das aber
kurios. Und dann wurde damals auch noch unser Vater krank. Mein Bruder vor
allem und auch ich haben uns um ihn gekümmert. Das hätten wir nicht
gekonnt, wenn wir weiter zwei Läden gehabt hätten. So hat sich das alles
ereignet.
Den Laden aufzugeben fiel uns sehr schwer. Wenn man18 Jahre in so einem
Geschäft ist, Tag für Tag, dann ist es fast wie ein Kind. Wir hatten feste
Kundschaft, alles! Sie ist mit uns hier rübergegangen. Die, die in den 90er
Jahren zu uns gekommen sind, das waren vor allem ältere Leute, also der
30er und 40er Jahrgang. Davon haben wir nur noch ganz wenige, der Rest ist
zugezogene, neue Kundschaft. Aber die beiden Geschäfte, das in der Zossener
– heute ist da ein Friseur drin – und das hier, das waren beides lang
eingesessene Reinigungen, die seit 40, 50 Jahren existierten, sie haben
viele ihrer Kunden überlebt.
Wissen Sie, was ich getan habe, damals? Ich war 25, ich bin hier
rübergegangen und habe zum Besitzer gesagt: Ich will mich einfach mal
vorstellen, weil ich der neue Eigentümer bin in der Zossener Straße. Und
ich habe ihm auch meine Hilfe angeboten, falls seine Maschinen mal
kaputtgehen, dass er dann seine Sachen bei uns reintun kann. Und er war
sehr erfreut darüber, denn mit dem Voreigentümer unseres Ladens ist er gar
nicht gut ausgekommen. Für die gab’s nur eins: Konkurrenz! Feind!
Für uns hat sich das gute Verhältnis später positiv ausgewirkt. Als er
seinen Laden hier eines Tages verkaufen wollte, da ist er rüber gekommen
und hat gesagt: Hast du Interesse, den Laden zu übernehmen?
## Vattern war noch rüstig
Das war 1994, also noch lange bevor wir rausmussten drüben. Ich habe mich
dann abends mit der Familie zusammengesetzt, um zu beraten, ob wir den
Laden übernehmen wollen, also zusätzlich. Das ist dann zwar ein größerer
Aufwand an Arbeit und Geld, aber man muss ja auch ein bisschen
geschäftsmäßig denken. Und dann haben wir uns dafür entschieden. Wir
mussten zur Bank für einen Kredit, aber das war damals alles noch
einfacher. Sie haben uns das Geld gegeben und wir haben den Laden
übernommen. Wir haben es unter uns Brüdern dann so gemanagt, dass einer
hier war und der andere drüben. Ich blieb drüben. Vattern war ja auch noch
vollkommen rüstig und Muttern auch. Wir haben einander geholfen, wo was zu
helfen war. Es war einfach ein richtiger Familienbetrieb – das ist es in
gewissem Sinn immer noch. Dass das ein solcher Glücksgriff sein würde, das
haben wir uns damals noch nicht gedacht.
Und dann kam es eben zu diesem Desaster 2008. Bis dahin war alles gut
gelaufen, aber dann mussten wir den Laden räumen, weil wir die krasse
Mieterhöhung nicht zahlen konnten. Der Mietvertrag lief im März 2008 aus.
Ja, es ist zwar jetzt fast zehn Jahre her, aber es schmerzt immer noch. Und
wenn wir damals den zweiten Laden hier nicht gehabt hätten, dann wäre es
vorbei gewesen mit uns – so wie es heute einigen geht, die aufgeben müssen
in so einer Situation. Wir hätten die ganzen Gerätschaften und alles
verkaufen oder verschrotten müssen. Letzten Endes sind wir mit einem blauen
Auge davongekommen. Wir hatten viel Stress mit dem Gericht, mit Anwälten,
wir waren zum Glück rechtsschutzversichert. Die Kosten musste die
Gegenseite tragen.
Und dann haben wir uns also hier zusammengetan, mein Bruder und ich. Hier
ist natürlich alles teurer, das ist ja schließlich die Bergmannstraße. Aber
wir können uns immer noch glücklich schätzen, wenn man jetzt hört, was die
Geschäfte in der Straße hier so bezahlen müssen. Das sind zum Teil horrende
Mieten, 45 Euro für den Quadratmeter gilt als normal, aber ich höre auch
Forderungen von Hauseigentümern, die 70 Euro oder 80 Euro haben wollen. Da
laufen gerade Verhandlungen. Es nimmt gar kein Ende mit den immer höher
werdenden Forderungen. Aber es scheint so, dass es immer Leute gibt, die
diese hohen Mieten zahlen. Was die dann für ein Gewerbe ausüben, wie sie
das Geld erwirtschaften, das interessiert keinen Hausbesitzer. Hauptsache,
er hat seine Einnahmen gesteigert.
Nur wir, wir können unsere Einnahmen nicht steigern. Wir haben unsere
Preise und unsere Kunden. Ich werde jetzt gerade mal 53. Zum Glück sind wir
rüstig und können die viele Arbeit noch bewältigen, sind noch in der Lage,
den ganzen Tag hier zu stehen. Soll ich Ihnen meine Füße und Beine mal
zeigen, wie die aussehen? Die Venen sind angeschwollen … Man könnte sich
zwar manchmal auch hinsetzen, aber wenn die Leute raus- und reingehen, hat
man keine Ruhe. Wir haben ja kaum Zeit, mal rüberzugehen in die Markthalle
und was zu essen. Wir müssen jede Sekunde ausnutzen. Die Geschäfte gehen
nicht in jedem Monat gleich gut. Heute ist Samstag, da ist immer mehr los.
## Anwälte, Manager, Immobilienmakler
Und wir müssen ja auch sehen, unsere Hauptkundschaft, das ist nicht mehr
das Arbeitervolk. Dieses Arbeitervolk ist ausgestorben! Leider. Wir haben
jetzt nur noch Anwälte, Manager, Immobilienmakler. Die Kundschaft, die wir
in den achtziger Jahren hier hatten, die gibt es nicht mehr. Und auch die
Kleidung gibt’s nicht mehr. Damals hatten wir viel C&A-Sachen oder welche
von Woolworth und Arbeitskleidung. Davon haben wir jetzt kaum noch was. Wir
könnten ja auch keine Maurerhose mit einem Armani- oder Hugo-Boss-Anzug
(lacht) in die Maschine hineintun. Den Maurer würde es nicht stören, aber
den Besitzer der Anzüge vielleicht schon.
Heute geht es nur noch darum, gut auszusehen. Ein Anwalt, Immobilienmakler
oder Manager muss auf sein Äußeres Wert legen. Anzug, Krawatte und Hemd
sind die Berufskleidung. Sie können nicht hier in Kreuzberg eine Wohnung
verkaufen als Immobilienmakler für eine halbe oder für eine Million Euro
und dazu so freizeitmäßig gekleidet sein, wie ich es hier bin. Denn die
Klientel, die so eine teure Wohnung kauft, das ist die gehobene
Gesellschaft. Die haben das Geld vielleicht geerbt, jedenfalls haben sie es
nicht erarbeitet. Die haben eine ganz andere Einstellung. Ja diese ganze
neue Ordnung, die zeigt sich eben auch in den Sachen, die die Leute hier zu
uns bringen. Sehnse mal, hier auf den ganzen Bügeln, das da ist ein Anzug,
hier noch mehr Anzüge, das sind alles Hemden. Überall, wo Hemden sind, sind
auch Anzüge.
Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht mehr real ist. Junge Türken
hier, von 18, 19 Jahren, fahren einen Mercedes, der 100.000 Euro und mehr
kostet. Mein erstes Auto, das ich damals hatte, nachdem ich mit 18 den
Führerschein gemacht hatte, das hat mir mein Vater gekauft, es war ein Ford
Escort, 500 Mark. Das ist schon ein großer Unterschied. Und wenn ich nun
höre, dass hier in der Straße Verhandlungen laufen zwischen einem
Eigentümer und einem Geschäftsinhaber über die neue Mietforderung, dann
frage ich mich, wo das hinführen soll. Der Eigentümer will für einen Raum
von 130 Quadratmetern 60 Euro pro Quadratmeter haben, das ist eine
Kaltmiete von monatlich 7.800 Euro! Das kann keiner erwirtschaften,
vielleicht eine Bank. Und dann müssen eben alteingesessene Läden weichen.“
Herr Davcik wird vorne bei den Kunden verlangt und muss das Gespräch
unterbrechen.
## „Gastronomen machen die Preise kaputt“
Sein Bruder, Herr Dragan Davcik, ein Jahr jünger als er, übernimmt die
Rolle des Erzählers: „Die Veränderungen in der Bergmannstraße? Also wenn
ich jetzt in meiner Erinnerung die letzten 20 Jahre zurückgehe, die Straße
rauf und runter, dann muss man sagen, es ist viel passiert, ein einziges
Rein und Raus. Es gibt vielleicht noch sechs, sieben, acht Gewerbetreibende
aus der Zeit von früher. Und der Tourismus hat stark zugenommen. Ich muss
sagen, die Gastronomie macht viel kaputt. Der Gastronom ist 7 Tage die
Woche hier, macht vielleicht um 11 Uhr auf und nach Mitternacht erst zu, da
kann er mehr Geld verdienen als ein normaler Gewerbetreibender. Die
Besitzer vermieten deshalb gern an die Gastronomie. Früher waren in der
Straße zwei Cafés, das Barcomi’s und das Café Atlantic. Mehr gab es nicht,
und jetzt schaun Sie mal die Straße rauf und runter, das sind jetzt sieben,
acht Cafés. Ja, es ist natürlich schön, da draußen auf der Straße zu sitzen
und das Treiben der Anwohner und Touristen anzuschauen. Auch ich sitze da
zwischendurch mal gerne und trinke meinen Kaffee. Aber die Leute hier
brauchen nicht nur Cafés, die Menschen, die hier wohnen, möchten hier auch
einkaufen gehen und ihre Erledigungen machen. Es sind hier viele Geschäfte
vertrieben worden, ganz einfach über die Mieten. Und die Gastronomen
machen die Preise kaputt, zahlen jede Miete. Inzwischen haben wir hier vier
asiatische Restaurants, früher gab es nur eines, die Pagode, thailändische
Küche mit Selbstbedienung. Die hat 1994 aufgemacht, sich halten können. Die
kämpfen sich durch. Auf kleinstem Raum wird alles gemacht, wie bei uns
auch. Und so geht es immer weiter.
Hier zu leben, etwas zu mieten im privaten Bereich, kostet ja inzwischen
auch viel Geld. So werden die normalen Wohnungsmieter allmählich
vertrieben, weil sie einfach nicht mehr in der Lage sind, die Mieten zu
bezahlen. Es werden laufend Häuser verkauft. Alle Mieter müssen raus, dann
wird’s modernisiert und wieder für viel Geld verkauft oder vermietet. Da
kann der Eigentümer dann die doppelte oder dreifache Miete verlangen. Und
die, die das dann zahlen können, das sind meist Leute, die aus
Westdeutschland kommen, viele aus der Gegend von Stuttgart, aus
Süddeutschland.“
Vorn im kleinen Verkaufsraum verabschiedet der ältere Bruder die
Kundschaft: „Danke. Schönes Wochenende, bis Donnerstag, Wiedersehen,
tschüs!“ Danach schließt er die Ladentür ab und kommt zu uns, in den
schmalen Raum nach hinten, in dem auch gebügelt, aufgehängt und eingepackt
wird. Hier wird jeder Zentimeter genutzt. Er sagt seufzend: Also Samstag
ist immer viel los … Sehn Sie, schon wieder rüttelt jemand an der Tür, aber
wir haben ab 16 Uhr geschlossen. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder
einen Schnaps? Nein?
Wir sagen immer, Samstag ist nur ein halber Tag, aber dann wird es doch
immer 18 oder19 Uhr, bis ich zu Hause bin, und dann bin ich geschafft von
der Woche. Wir haben nie zu, so wie der Friseur, die Kosten laufen ja
weiter und die Tage rennen verdammt schnell. So, jetzt müssen wir aber
allmählich anfangen, die Maschinen sauber zu machen. Die Hemden werden ja
in einer normalen Waschmaschine gewaschen, und die große Maschine hier, das
ist die Reinigungsmaschine, die arbeitet auf Chemiebasis. Da haben wir ein
geschlossenes System, aus der Waschmaschine fließt das Lösungsmittel in
einen Sammelbehälter, der regelmäßig von einer Spezialfirma abgeholt und
aufgearbeitet wird.
Und sagen Sie, wenn Sie jetzt hier so im Laden sitzen, die ganze Zeit,
fühlen Sie sich da von irgendwelchen Chemikalien belästigt? Nein? Sehn Sie!
Das kommt dadurch, dass wir – im Gegensatz zu den meisten anderen
chemischen Reinigungen – sehr darauf achten, dass die Ware, wenn sie aus
der Maschine kommt, ganz durchgetrocknet ist. Das ist zwar ein
Kostenfaktor, verbraucht mehr Energie, hat aber den Vorteil, das die Ware
nicht ausdünstet und dadurch der ganze Laden unglaublich nach Chemikalien
riecht. Nach diesem Perchloräthylen. Zurzeit gibt es kein effektiveres
Reinigungsmittel, aber es riecht eben sehr stark.
## Stehkragen, Faltkragen, alles kein Problem
Wir haben ja im Laufe der langen Zeit sehr viel Fachwissen gesammelt in
Beziehung auf Reinigung und Textilien. Ja, die Menschen bringen uns ihre
schmutzigen Kleidungsstücke. Dafür sind wir ja vor Ort. Wir erwarten diesen
‚Schmutz‘ und wir beseitigen ihn zuverlässig und schonend. Wir waschen sehr
ordentlich und bügeln sehr ordentlich. Gehen auch auf spezielle
Kundenwünsche ein, zum Beispiel von links bügeln, Falten ausbügeln oder
reinbügeln. Stehkragen, Faltkragen. Nein, einen Bügelautomaten haben wir
nicht. Hier wird alles noch per Hand gebügelt. Die Qualität ist so besser,
es ist schonender für die Ware. Besonders bei den Hemden, da stärken wir
auch, denn durch die Stärke gleitet das Eisen besser über den Stoff, der
Kalk aus dem Wasser macht ja die Ware stumpf.“
Herr Davcik der Ältere wippt nervös mit den Beinen. Ich frage, ob es eilt
und er das Gespräch jetzt beenden will. Er lacht und sagt gut gelaunt: „Ich
zapple nur so. Mein Bruder regt sich auch immer darüber auf. Aber wenn ich
sitze, bewegt sich bei mir irgendwie alles, die Nerven arbeiten. Das
Zappeln ist eine Entlastung für mich und hat nichts damit zu tun, dass ich
Signale gebe, dass jetzt endlich Schluss sein soll oder so, nein … Aber
wenn Sie mit uns fertig sind, dann bin ich auch nicht traurig … Weil die
Maschinen müssten jetzt sauber gemacht werden …“
27 Mar 2017
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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