# taz.de -- Wann kommst du zurück? | |
> Theater In Potsdam entwickelte Maxi Obexer ein Stück mit Geflüchteten | |
> über das Fortgehen und die Beziehungen zu den Gebliebenen | |
Alaa ist in seiner Unterkunft in Luckenwalde, er trägt eine Augenklappe und | |
übt für ein Skypegespräch mit seinem Bruder. Er richtet die Livecam auf | |
sich und sagt: „Ich hab beschlossen, von jetzt an einäugig zu sein. So wie | |
du. Ist eh viel besser. Ein Mund, eine Nase, ein Auge, the full screen.“ | |
Sein Bruder war im Krieg in Syrien und verlor dabei ein Auge. Alaas | |
humorvolle Versuche der Anteilnahme verwandeln sich in Vorwürfe: „Warum | |
hast du gewartet, bis dich die Armee holt, anstatt abzuhauen? Und warum | |
bist du sechs Scheißjahre dabeigeblieben, bis dich diese Kugel erwischt | |
hat?“ | |
Das Recherche-Theaterstück „Gehen und Bleiben“ entstand am Hans Otto | |
Theater in Potsdam auf der Grundlage von Gesprächen mit den zwölf | |
SpielerInnen. Sie alle sind aus ihrer Heimat geflohen oder ausgewandert | |
und leben nun in Deutschland. Aus dem Material baute die Autorin Maxi | |
Obexer einen Text und entwickelte die Inszenierung mit dem Regisseur | |
Clemens Bechtel. | |
Außerordentlich gelungen ist der Umgang mit den AkteurInnen und ihren | |
persönlichen Erlebnissen. Keine Sensationsgier nach krassen | |
Fluchtgeschichten ist zu spüren. Das Stück geht generell um die Erfahrung, | |
seine Heimat zu verlassen und in der Fremde ein neues Leben anzufangen. | |
Angeschaut werden die Beziehungen zwischen denen, die gegangen sind, und | |
denen, die geblieben sind. | |
Beeindruckend sind der Mut und auch die Leichtigkeit, mit denen die | |
DarstellerInnen von ihren Ängsten, Sorgen und Hoffnungen erzählen. Sie | |
blicken unterschiedlich auf ihr Herkunftsland. Die meisten kommen aus | |
Syrien, andere aus Israel, Mazedonien, Frankreich, Russland und Iran. Viele | |
der DarstellerInnen haben in ihrer Heimat Schauspiel studiert. Auf der | |
Bühne wird meistens Deutsch gesprochen, manchmal Englisch, Arabisch und | |
Russisch (alles deutsch übertitelt). | |
Besonders witzig sind die Dialoge zwischen dem 43-jährigen Sheval Minahi | |
und seiner Mutter in Mazedonien. Immer wieder fragt sie ihren Sohn, der | |
während der Jugoslawienkriege geflohen ist, wann er nach Hause komme und | |
sich um das Haus kümmere. Er müsse langsam wissen, wo er hingehöre. „Ich | |
weiß, wo ich hingehöre!“, erwidert Sheval. – „Dann ist ja gut. Wann kom… | |
du zurück?“ | |
Dramaturgisch sind die Geschichten fließend ineinander verwoben, das Stück | |
entwickelt eine spannende Dynamik. Schön sind auch die Livemusikeinlagen, | |
bestehend aus Gesang, Lauten- und Cajónmusik. Nur am Ende schwächelt die | |
Inszenierung und findet keinen runden Abschluss. Schade ist auch, dass die | |
Bühne zu überladen ist: eine Landschaft aus Podesten mit Betten, Türen, | |
Pflanzen. Ein schlichteres Bühnenbild hätte den aussagekräftigen Texten | |
mehr Raum geboten. | |
Wunderbar frei geht die Gruppe mit Erzählperspektiven um. So erzählen die | |
Beteiligten nicht nur von ihren eigenen Erfahrungen, sondern sie schlüpfen | |
auch in andere Rollen, vor allem in heftigen Szenen. Von den | |
Foltererfahrungen, die Jalal Mando in Assads Militärgefängnis gemacht hat, | |
berichten sie gemeinsam. In der Skypeszene mit seinem Bruder wird Alaa Al | |
Haidar von seinem Kollegen Jalal Mando gespielt. Der erzählt an dessen | |
Stelle vom Horrortrip übers Meer und von der Scham darüber, sein Kind einer | |
solchen Gefahr ausgesetzt zu haben. Alaa Al Haidar selbst spielt seinen | |
Bruder, der antwortet: „Warum hörst du nicht auf, auf mich einzureden? Wenn | |
du dich schämst, wegen deines Kindes, dann tu es. Wenn du dich schuldig | |
fühlst, weil du gegangen bist, dann fühl dich schuldig.“ | |
Julika Bickel | |
Wieder im Hans-Otto-Theater Potsdam am 23. 3., 18 Uhr (anschl. | |
Publikumsgespräch), am 2., 8., 11., 12. und 13. April | |
23 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Julika Bickel | |
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