# taz.de -- Sie packt alle Küchenmesser in den Rucksack | |
> THEATER Um radikalisierte Jugendliche geht es in Sasha Marianna Salzmanns | |
> „Zucken“. Sebastian Nübling inszeniert es am Gorki | |
Stillhalten wollen die sieben Heranwachsenden nicht, nein. Gemächlich | |
klingt nur der Schweizer Dialekt des Mädchens, das mit einem Gotteskrieger | |
chattet und ihrem Frust auf Eltern, Schule, Staat wortreich Luft macht. Die | |
Wut steigert sich, als der arabische Anwerber online nicht mehr erreichbar | |
ist: „Ich zerfleische dich, ich werde dich einholen in deinen Träumen.“ | |
Kämpfen will sie nun, für ihn und gegen ihn, für die Welt und gegen die | |
Welt. Hauptsache, etwas tun. | |
Aufstehen und kämpfen, das ist die Botschaft der Jugendclique auf der Bühne | |
des Maxim Gorki Theaters. Ihre Sprache radikalisiert sich im Laufe des | |
Abends. Noch stärker geraten die Körper in Bewegung: Oberkörper zucken zu | |
Elektro-Beats, man sieht immer wieder Sprünge, Körper, die sich hart auf | |
Sofas fallen lassen. Volle Action, Kampfposen und ständige Bewegung. Selbst | |
wenn die Spieler im Sitzen mit ihren Blicken das Publikum fixieren, bleiben | |
sie angespannt wie auf der Lauer. | |
Mit diesen rohen ungefilterten Selbstdarstellungschoreografien ziehen einen | |
die sieben Darstellerinnen in den Bann. Ihre Spielweise ist die Quintessenz | |
des Abends, der seinen eigentlichen Stoff unentschieden anpackt. „Zucken“ | |
in der Regie von Sebastian Nübling entstand als Koproduktion mit dem Jungen | |
Theater Basel, das sich mit körperbetonten Inszenierungen einen Namen | |
gemacht hat. Der körpersprachliche Zugriff, den Nübling mit den | |
Amateurspielern wählt, wirkt aber auch wie ein Ausweg, überhaupt mit dem | |
Text zurechtzukommen, der voll nachvollziehbarer Konflikte, aber auch | |
streitbarer Aussagen steckt. | |
„Zucken“ von Gorki-Hausautorin Sasha Marianna Salzmann beschreibt den Weg | |
zweier Jugendlicher in die Radikalisierung, verbindet lose ihre Biografien: | |
Pawel, verunsichert durch erste homosexuelle Erfahrungen und drangsaliert | |
vom Vater mit der Frage, ob er Russe oder Ukrainer sei, entscheidet sich, | |
in den ukrainischen Befreiungskampf zu ziehen. | |
Das chattende Mädchen schlägt sich mit Pubertätsproblemen herum (zerrüttete | |
Familie, sich hässlich und ungeliebt fühlen) und verliebt sich umso | |
haltloser in einen Araber. Nachdem ihre Ausreise nach Syrien scheitert, | |
packt sie alle Küchenmesser in ihren Rucksack und fährt zum Bahnhof. Um | |
konkrete Amokläufe oder ein auserzähltes Ende geht es weniger als um ein | |
Befindlichkeitsbild. | |
Es hagelt Erfahrungsberichte derjenigen, die orientierungslos, | |
unterprivilegiert, aber sehnsüchtig sind. Im nächsten Moment schleudern sie | |
heraus, wie sinnlos alle Versuche sind, sie verstehen zu wollen. Emotionale | |
Verletzungen und ideologisch-nationalistische Verblendungen greifen auch in | |
diesem Stück von Salzmann ineinander. Eine komplexe, explosive Mischung, | |
und unwillkürlich beginnt man sich nach einer Einordnung zu sehnen. | |
Doch Nübling gibt dem Text vor allem atmosphärische Spannung und den | |
körpersprachlichen Dreh, konzentriert auf 75 Minuten. Und er öffnet ein | |
mediales Experimentierfeld. Die Smartphones der jugendlichen Spieler sind | |
an langen Kabeln mit dem Soundsystem verbunden. So regeln sie per App | |
selbst die Musik, lassen Beats zu Gewehrsalven anschwellen: digital-harte | |
Sounds, die Nähe zu Gewalt suggerieren und zu denen man sich in | |
Selfie-Manier fotografiert. | |
„Zucken“ ist mit seiner entwaffnenden Energie Jugendtheater auf der Höhe | |
der Zeit, offen für das, was draußen geschieht. Und wenn etwa die | |
Schauspielerin Elif Karci in Boxhandschuhen eine harte Rechte auf jeden | |
Halbsatz folgen lässt, spricht der Abend eine deutliche Sprache, wie man | |
mit seinem Körper Widerstand leistet. „So leicht sind wir nicht | |
einzufangen“, spricht als Haltung daraus. | |
Aber die Verflechtungen und die Psychologie von Salzmanns Text erwischen | |
die jungen Spieler nur an der Oberfläche. Kampf, Gewalt, womöglich in den | |
Heiligen Krieg ziehen? Das wirkt an diesem Abend eine Nummer zu groß. Das | |
körperliche Ausagieren ist ein Plädoyer: bloß nicht stillhalten auf dem | |
Sofa. Aber man bleibt ratlos zurück, ob’s nun kritisch, affirmativ oder | |
aufrührerisch gemeint ist. Simone Kaempf | |
Maxim Gorki Theater, Vorstellungen wieder im Juni und Juli | |
20 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
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