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# taz.de -- Körper in Unordnung
> BEWEGUNGEN Beim „Fokus Tanz“ zeigen die Hamburger Choreografen Jonas
> Woltemate und Ursina Tossi neue Arbeiten: Eine ist grandios, die andere
> scheitert grandios
Bild: Nackte Körper, auf Fluchtlinien unterwegs in die Zukunft: Szene aus Toss…
von Robert Matthies
Zeitgenössischer Tanz, das zeigt der „Schwerpunkt Tanz“ diese Woche auf
Kampnagel, ist ein weites Feld voller Kontraste. Deutlich machen das die
beiden Choreografien Hamburger Künstler*innen, die noch am heutigen
Samstagabend zu sehen sind: Eine von ihnen ist grandios – die andere
grandios gescheitert.
Zu viel vorgenommen hat sich Jonas Woltemate mit seiner Performance „ORDR“:
Nicht weniger als die Suche zweier Performer*innen nach der „perfekten
Ordnung“ und nach „Alternativen für ihr Zusammenleben“ nach dem
spektakulären Kollabieren der „alten Ordnung“ versprach die Ankündigung:
ein aus vielen Teilen choreografiertes „waghalsiges Ornament“ sollte das
sein.
Aber eine überzeugende Ordnung hat der Hamburger Choreograf und Performer
für seinen Abend selbst nicht gefunden: das waghalsige Ornament blieb lose
zusammengeflicktes und überwiegend langweiliges Stückwerk, das sich nicht
entscheiden wollte oder konnte, was es denn nun sein möchte: Tanz?
Performative Untersuchung performativer Räume? Oder nur ein ironisches
Spiel mit den Erwartungen des Publikums? Ein paar der Versatzstücke hatten
ja Potenzial: Da saß das Publikum vorm heruntergelassenen Vorhang, auf den
„Vorhang auf“ projiziert wurde. Und dahinter führten die Performer*innen
Alexandre Achour und Verena Brakonier gar nicht aus, was das anschließend
projizierte Skript erzählte.
Aber anderes blieb peinlich: Da lief das Publikum nach schroffem Aufruf im
Kreis um einen Performer herum, der die Sonne repräsentierte, dazu gab’s
bedeutungsschwangere Fragen wie: „Warum bleiben die Planeten in ihrer
Umlaufbahnbahn, weichen nie ab?“ Alles in allem kam leider nicht viel mehr
Erhellendes heraus als: Ordnung hat viel mit Zähflüssigkeit zu tun.
Viel ausgereifter ist, was die freie Hamburger Tänzerin und Choreografin
Ursina Tossi anschließend als Zwischenfazit ihrer jahrelangen
Auseinandersetzung mit dem Körper als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt
politischen und auch widerständigen Handelns präsentiert. „Resisting
Bodies“ hieß schon die Performance, in der sie vergangenes Jahr im
Kunstverein Harburger Bahnhof Gesten und Strategien von
Widerstandsbewegungen und widerständige Körperbewegungen zum Thema macht:
Ein Abend im Spannungsfeld zwischen politischen Posen und politischen
Positionen, tänzerischer Bewegung und dem stockenden und blockierenden
Innehalten auf der anderen Seite.
In „Bare Bodies – Bodies & States of exception“ setzt Tossi diese
Auseinandersetzung fort. Ausgangspunkt ist unverkennbar, was im Anschluss
an den italienischen Philosophen Giorgio Agamben seit den 1990er-Jahren
unter dem Stichwort „nacktes Leben“ diskutiert wird: ein jeglicher Rechte
entkleidetes und darum ungeschütztes Leben, das der Macht absolut
ausgeliefert ist. Als solches aber wird es zugleich zum „biologischen
Nullwert“ der Moderne, zum Material, an dem die Einkleidung mit Rechten,
die Entstehung politischer Subjektivitäten ansetzt.
Tossi erzählt darum auch keine Geschichte, sondern zeigt Verlaufsformen
körperlicher Zustände. Und es gelingt ihr, den nackten Körper in seiner
ganzen Ambivalenz, seiner Fragilität ebenso wie seiner Machtfülle zum
Ausgangspunkt einer radikal körperlich bleibenden Untersuchung über Zu- und
Entschreibungen von Körperbildern zu machen: über die sowohl in seiner
Ausgestelltheit und Ausgeliefertheit als auch seiner Kraft steckenden
Möglichkeiten.
Wie die vier vollkommen unbekleideten Tänzerinnen Lisa Densem, Angela
Kecinski, Tümay Kılınçel und Tossi selbst – allesamt stark – die in ihr…
Körpern und ihrem statuesken Verbund steckenden Möglichkeiten ausloten,
ausprobieren, verwerfen und miteinander zu kommunizieren beginnen, ist in
allen Nuancen faszinierend und wirkt wie aus einer anderen Welt: getanzte
Science-Fiction im besten Sinne. So könnte die Welt einmal aussehen – nach
dem Kollabieren der alten Ordnung.
„Fokus Tanz“ auf Kampnagel: Jonas Woltemate: „ORDR“: Sa, 18. 3., 19 Uhr;
Ursina Tossi: „Bare Bodies“: Sa, 18. 3., 20.30 Uhr; Alessandro Sciarroni:
„Folks, will you still love me tomorrow?“: Sa, 18. 3., 20.30 Uhr
18 Mar 2017
## AUTOREN
Robert Matthies
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