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# taz.de -- Interview mit DBP-Politiker: „Die Avocado war ein Insiderwitz“
> DBP-Vorsitzender Kamuran Yüksek über Möglichkeiten der kurdischen Politik
> im Ausnahmezustand und die rechtsextremen Bündnispartner der AKP.
Bild: „Die Konzentration von Macht ist gefährlich.“
Kamuran Yüksek ist Vorsitzender der Demokratischen Partei der Regionen
(DBP), regionale Schwesterpartei der HDP. Mit 37 Jahren ist er einer der
jüngsten Politiker in der Türkei. Seit seiner Studienzeit engagiert er sich
in der kurdischen Bewegung. 2009 war er einer von 2.000 Menschen aus
Medien, Justiz und Politik, die im Rahmen der KCK-Operationen („KCK“ steht
für die Organisation Union der Gemeinschaften Kurdistans) verhaftet wurden.
Nach fünf Jahren Haft wurde er frei gelassen.
Die Arbeit von kurdischen Politiker*innen ist in einer sich im
Ausnahmezustand befindenden Türkei schwieriger als sonst. Seit dem 22. Juli
2015 halten staatliche Interventionen gegen Mitglieder der HDP und DBP,
sowohl auf Leitungsebene, als auch in der Basis, weiterhin an.
Inzwischen befinden sich 10.106 Personen in Untersuchungshaft, 2.938 wurden
verhaftet (Stand: 27. Februar 2017). Unter diesen befinden sich die beiden
Vorsitzenden der HDP, 13 Parlamentsabgeordnete, 35 Provinzvorsitzende und
97 Kreisvorsitzende, 84 Gemeindevorsitzende. Wir trafen uns mit Yüksek in
Istanbul und haben darüber gesprochen, wie es zu dieser Situation kommen
konnte, welche Anschuldigungen gegen kurdische Politiker*innen erhoben
werden und über das bevorstehende Referendum.
## taz: Herr Yüksek, was hat es mit den „Avocado-Ermittlungen“ auf sich?
Kamuran Yüksek: Während einer Reise zu diplomatischen Gesprächen in
Italien, zu der ich mit dem Co-Vorsitzenden der HDP Selahattin Demirtaş
eingeladen war, hat man uns bei einem Empfang Avokados serviert. Dabei
wurde uns auch erklärt, dass es sich dabei um eine teure und seltene Frucht
handelt. Als seien wir arme Schlucker, die noch nie eine Avocado zu Gesicht
bekommen hätten.
Wir konnten uns den Schabernack nicht verkneifen und antworteten, bei uns
würden die Avocados auf den Feldern nur verderben, weil niemand sie haben
wolle. Die Gastgeber waren verwundert und fragten uns, ob wir tatsächlich
Avocados hätten.
## Wieso interessiert sich die türkische Justiz für diesen Vorfall?
Es gibt diesen kleinen Insiderwitz zwischen Demirtaş und mir, bei dem wir
ständig davon sprechen einander Avocados zu bringen. Dabei hat der
Staatsanwaltschaft, der die Geheimdienstmitschnitte unserer Telefonate
ausgewertet hat, die Avocado als Codewort für Handgranate ausgemacht. Eine
regierungsnahe Zeitung sah in diesem Mitschnitt den Beweis für einen von
uns geplanten Anschlag.
## Was wird Ihnen genau vorgeworfen?
Aktuell laufen vier Verfahren gegen mich. Die Mitschnitte stammen aus einer
Zeit, in der die Gülen-Bewegung den Sicherheitsapparat und die Justiz
dominierte, das war zwischen 2008 bis 2012. Die meisten Verurteilungen der
Bürgermeister und Abgeordneten gehen auf diese Jahre zurück. Ich wurde im
Rahmen der KCK-Operationen verhaftet, das Verfahren läuft noch.
## Der Friedensprozess wurde beendet, eine Volksabstimmung während des
Ausnahmezustands. Wie konnte es soweit kommen?
Am 28. Februar 2015 gab es im Dolmabahçe-Palast eine Einigung zwischen
Regierung und HDP-Vertreter*innen, die den Entwaffnungsprozess der PKK
anstoßen sollte. Doch nur zehn Tage später gab es von Seiten der Regierung
einen plötzlichen Kurswechsel. Der Premierminister hat in einer Ansprache
erklärt, dass der Friedensprozess zu einer Teilung des Staats führen wird
und daher beendet wird.
## Also trägt die Regierung die alleinige Verantwortung für den Abbruch der
Verhandlungen?
Die Parteien beschuldigen sich gegenseitig. Wenn aber die Regierung den
Abbruch nicht gewollt hätte, dann wäre es auch nicht dazu gekommen.
Trotzdem würde ich nicht von einseitigen Defiziten sprechen. Als sich neben
politischen auch persönliche Rivalitäten offenbarten, wurde die Lage
unübersichtlich. Sicherlich spielten auch internationale Geheimdienste eine
Rolle. Wenn es einen Neuanfang für den Friedensprozess geben soll, müssen
alle Parteien ihre Positionen kritisch überdenken. Unser größtes Anliegen
ist immer noch der Frieden. Das sagen wir auch bei unserer Arbeit bezüglich
des Referendums.
## Was bedeutet die Allianz zwischen der Regierungspartei AKP und der
rechtsextremen MHP? Und wie steht die Opposition zu diesem Bündnis?
Die MHP verfolgt von Anfang an das Ziel, die Kurden aus den politischen
Verhandlungen herauszuhalten. Und für die AKP ist es einfacher und
profitabler, konservativ-nationalistische Gruppe für sich zu gewinnen, die
sich gegen den Friedensprozess aussprechen.
Aufgrund des Wechsels der Bündnispartner wurden Errungenschaften aus der
Zeit der Friedensverhandlungen aufgehoben. Daher die Verhaftungswellen und
polizeilichen Operationen. Ich finde es auch bedenklich, dass sich die
kemalistische CHP bei ihrer Nein-Kampagne zum Referendum auf die
nationalistische Wählerschaft konzentriert. Scheinbar geht es Ihnen nur um
das Ergebnis.
Sie haben gegen den Friedensprozess geklagt, erbringen aber keine anderen
Lösungsvorschläge. Kürzlich hörte ich einen CHP'ler sagen, dass sich die
PKK und AKP darauf geeinigt hätten das Präsidialsystem und die Autonomie
der Kurden durchzusetzen. Mit solchen Kommentaren spielt die CHP der AKP
nur in die Hände.
## Haben der Syrienkrieg und die Ausrufung der Kantone entlang der
türkischen Grenzen nicht auch dazu beigetragen?
Wenn die Friedensverhandlungen nicht beendet worden wären, dann würde es
keine Feindschaft mit den Kurden in Syrien geben, die Türkei hätte sich
vielleicht politisch gegen Assad gestellt. Aber die Türkei ist
überempfindlich bei dem Thema Kurden und hat eine regelrechte
Autonomiephobie.
## Bei aller Diskussion über die Verfassungsänderung scheint es kaum noch
Politiker*innen zu geben, die über Frieden oder Freiheit sprechen.
Man hätte bei dieser Änderung die Lösung des Kurdenproblems berücksichtigen
müssen. Es hätte einen Rahmen geben müssen, der die Rechte von Aleviten und
anderen Minderheiten gewährleistet. Doch das einzige, worüber wir sprechen,
sind die Befugnisse des Präsidenten. Der politische Betrieb konzentriert
sich auf Einzelpersonen.
## Wie wollen sie denn die Menschen erreichen, wenn die meisten ihrer
Parteikolleg*innen verhaftet sind?
Es wird nicht einfach. Alle bisher durchgeführten Verfassungsänderungen
sind historisch entweder durch einen Militärputsch oder in einem
Ausnahmezustand durchgesetzt worden. So auch dieses mal. Hatte das die AKP
nicht auch kritisiert? Durch den Ausnahmezustand befinden sich
Oppositionelle entweder unter Druck oder im Gefängnis, Menschen werden aus
ihrer Heimat vertrieben.
Es ist nicht rechtens eine Verfassungsänderung unter diesen Umständen
durchzuführen. Ich denke mehr als die Hälfte der Bevölkerung hält diese
Abstimmung für unnötig. Wenn man es schaffen würde, ihnen die wahren Gründe
für die Verfassungsänderung zu erklären, dann würde das Ergebnis sicherlich
klarer ausfallen.
Ein Nein zum Referendum wäre sogar für die AKP von Vorteil. Die
Konzentration von Macht ist gefährlich. Eine Verfassung, die mit der MHP
ausgearbeitet wurde, wird selbst den liberalen in der AKP schaden. Auf kurz
oder lang werden Frieden, Freiheit und Demokratie kein Thema mehr im Land
sein.
## Was denken Sie darüber, dass HDP-Co-Chefin Figen Yüksekdağ ihr Mandat
entzogen wurde?
Das ist ein rechtswidriges Vorgehen, aus Sicht des nationalen wie
internationalen Rechts. Es stellt einen Verstoß gegen die Verfassung dar.
Der Entzug des Mandats erfolgt aus juristischer Sicht bei Haftstrafen, die
über ein Jahr verhängt werden. Figen Yüksekdağ wurde zu weniger als einem
Jahr Gefängnis verurteilt, der Entzug ihres Mandats ist eine politische
Entscheidung. Wir vermuten, dass bei anderen HDP-Abgeordneten ähnlich
verfahren wird und politische Verbote ausgesprochen werden. Das ist
Aufhebung der demokratischen Politik.
Wir wollen rechtlich dagegen vorgehen, aber haben wenig Hoffnung auf
Erfolg. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte die
Beschneidung der politischen Rechte von Hatip Dicle und Aysel Tuğluk für
rechtswidrig erklärt (Anm.d. Red.: Beide hatten gegen das Verbot ihrer
Partei „Demokratik Toplum Partisi“ – Partei der demokratischen Gesellscha…
geklagt). Die türkische Regierung wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.
## Handelt es sich bei diesen Verboten um „Maßnahmen“ für das Referendum?
Die Repressionen haben sich in dieser Zeit verstärkt, aber das ist nicht
alles. Auch nach dem Referendum werden Parteien und Politiker*innen Stück
für Stück demontiert und aus der Politik ausgeschlossen werden. Das ist
Bestandteil einer umfangreichen Strategie, die das Ziel hat, die
Unterstützung aus der konservativ-nationalistischen Bevölkerung zu
vergrößern.
## Es gibt die Annahme, dass sobald die Kurden ihre Autonomie erlangen, sie
ihren eigenen Staat gründen wollen
In der Anklageschrift gegen mich stand das auch. Ich sagte dem Richter,
dass wir den Gedanken, überall einen Nationalstaat zu gründen kritisieren.
Viele Völker können unter einem Dach leben. Der Richter aber bestand auf
seine Meinung, wir würden eine Teilung anstreben. Was braucht es denn noch,
sie vom Gegenteil zu überzeugen?
## Glauben Sie, dass die Gründung der Autonomiegebiete im Irak und in
Syrien mit zu dieser Angst beiträgt?
Fällt das Wort Kurde ein einziges Mal in der Organisierung von Rojava?
Nein, der Name lautet Nordsyrische Föderation. Das bedeutet, dass Rojava
autonom, aber ein Teil von Syrien bleibt. In dieser Region leben auch
Turkmenen und Araber. Den Begriff Kurde oder kurdisch in den Namen
aufzunehmen wäre entgegen unserer eigenen Kritik von Nationalstaaten.
Wichtig ist, dass Kurden mit ihrer eigenen Sprache und der Erhaltung ihrer
Kultur gesellschaftliche Teilhabe erlangen. Uns geht es um ein friedliches
Zusammenleben, das sollte den Nationalisten klar werden.
## Wie wollen Sie das erreichen, solange bewaffnete Organisationen wie die
PKK oder TAK noch aktiv sind?
Wir befürworten den bewaffneten Widerstand nicht. Wir setzten auf Dialog
und Verhandlungen. Genau das hat auch Ahmet Türk gesagt und der
Regierungssprecher fertigte ihn mit den Worten, „diese Zeiten sind vorbei“,
ab. Wie kann es denn zu spät für den Frieden sein?
## Besteht die Möglichkeit, dass die kurdische Bevölkerung als Reaktion auf
die Regierungspolitik die Wahl boykottiert?
Einige kurdische Nationalisten sprechen sich dafür aus, und sagen, die
Kurden sollten sich um ihre eigenen Sache kümmern. Dabei setzt uns das
Referendum am meisten zu. Es geht um den Demokratieprozess der Türkei und
die damit einhergehende Stärkung der Rechte der Kurden. Daher hoffe ich,
dass die Beteiligung der kurdischen Bevölkerung am Referendum hoch
ausfallen wird.
2 Mar 2017
## AUTOREN
Mehveş Evin
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