Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ingeborg-Bachmann-Gesamtausgabe: Ein dunkles Übel
> Erkenntnis und Poesie: Der erste Band des Gesamtwerks der großen
> Lyrikerin enthält bislang gesperrte Notate, Briefskizzen und
> Traumprotokolle.
Bild: Bedient man damit nicht letztlich den Voyeurismus? Immerhin hielt Ingebor…
Ingeborg Bachmann war krank. Sie war tablettenabhängig, litt unter
Angstzuständen und Panikattacken. Darüber wurde viel geschrieben, nicht
zuletzt von ihr selbst. Auch ihre dramatisch-komplizierten Beziehungen zu
Männern wurden oft und ausführlich seziert, zu Paul Celan, vor allem aber
zu Max Frisch. Bachmanns Tod nach einem Brandunfall in Rom 1973 hat nach
wie vor etwas Mysteriöses. Wie konnte sie sich so schwere Verbrennungen
zuziehen, ohne dabei aus dem Schlaf zu erwachen? Freunde von ihr, Hans
Werner Henze und andere, glaubten damals sogar an Mord und zogen mit dem
schlimmen Verdacht vor Gericht. Festgestellt wurde, dass ihr regelmäßiger
Alkohol- und Medikamentenkonsum das Schmerzempfinden beeinträchtigt hatten.
Ein dummer Unfall also?
Dass ausgerechnet Ingeborg Bachmann, die vielleicht wichtigste Lyrikerin
deutscher Sprache in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf eine so
mehr oder weniger zufällige Weise starb, bleibt bizarr. Immerhin hatte die
Klagenfurterin einen Großteil ihres Prosaschaffens einem einzigen
Überbegriff gewidmet: dem Tod. Der Tod gehört zum Leben dazu und das Leben
der Bachmann gab immer schon viel Anlass, sich darüber auszulassen und zu
spekulieren. Auch, weil sie so etwas wie ein literarischer Popstar war,
berühmt genug, um auf Covern von Magazinen wie dem Spiegel abgebildet zu
werden.
Wenn jetzt unter dem ominösen italienischen Titel „Male oscuro“ ein Band
mit persönlichen und ursprünglich nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen
Traumprotokollen, Notaten und Briefentwürfen aus der Zeit ihrer Krankheit
(1962 erlitt sie einen physischen und psychischen Zusammenbruch) den
Auftakt zu einer auf 30 Bände angelegten Werkausgabe bildet, fügt sich das
auf den ersten Blick ins Bild. Und wirft Fragen auf: Bedient man damit
nicht letztlich den Voyeurismus? Immerhin hielt die Autorin viel auf
Diskretion.
Solchen alles andere als ungerechtfertigten Befürchtungen wirken sozusagen
mit geballter Kraft ein Vorwort, ein „Editorischer Bericht“ und Kommentare
der Herausgeber entgegen, die einen bislang gesperrten Teil des
Bachmann-Nachlasses gesichtet und den vorliegenden Band aus privaten,
mutmaßlich im Kontext von Klinikaufenthalten und Therapien entstandenen
Aufzeichnungen zusammengestellt haben.
Sicher ist, es wurde sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst abgewogen.
Die Skizzen erheben keinen eigenen literarischen Anspruch, auch wenn vor
allem die Traumprotokolle, die sich dem Unbewussten widmen und es zu
ergründen suchen, gelegentlich – und vielleicht naturgemäß – literarische
Wirkungen erzielen und sich als durchaus mehrschichtig erweisen. Manche
erinnern an surreale Filme oder scheinen die Albtraumwelten eines David
Lynch vorwegzunehmen: „In meinem Mund sind Fischgräten, die beinahe wie
Heftklammern aussehen, ich muß eine nach der anderen aus dem Mund
herauswürgen oder herausnehmen, es sind sehr viele, endlich habe ich das
Gefühl, daß der Hals zwar noch gereizt und rauh ist, daß aber die Gräten
zuende sind.“
Andere verhandeln sodomitische Vorstellungen von Kopulationen mit einem
Kamel. „Und sag einer noch, der gesittete Mensch sei keiner Perversion
fähig. Das Kamel, zum zweiten Mal das Kamel, das mir zugeführt wird …“ Ei…
etwas wahnsinnige „Rede an die Ärzteschaft“, in der die Rednerin
stellvertretend die Rolle „des Patienten oder des Ex-Patienten“ einnimmt,
erinnert entfernt an Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“: „Ich darf
Ihnen versichern, daß wir keine Begriffe haben, wir haben die Krankheit.“
Zwischendurch denkt man auch an Hannah Greens Schizophrenie-Klassiker „Ich
hab dir nie einen Rosengarten versprochen“.
## Schreiben kommt von Erleben
Ihre Legitimation aber erhält die Auswahl – folgt man den Herausgebern –
durch ihre Bedeutung und ihren Erkenntniswert im Kontext der Bachmann’schen
Werke, ihrer Entstehung und ihrer Poetik. Das leuchtet in Bezug auf die
Traumprotokolle auch sofort ein, wenn man etwa ihren Roman „Malina“ mit dem
großen Albtraum-Kapitel in der Mitte betrachtet. „Malina“ ist bekanntlich
nicht nur Bachmanns einzig vollendeter Roman, sondern auch der einzig
abgeschlossene Teil ihres sogenannten „Todesarten“-Projekts, von dem
ansonsten in Buchform die Romanstümpfe „Der Fall Franza“ und „Requiem f�…
Fanny Goldmann“ vorliegen.
Ihr „Lebenswerk“ – als solches sah sie es – sollte die Folgen des
Nationalsozialismus und des Krieges sowie die destruktiven Wirkungen von
Mann-Frau-Beziehungen umkreisen. „Ich bin verzweifelt allein und sage das
auch irgendwann, zu meiner Schwester. Dann werde ich ans Telefon gerufen,
der Anruf kommt aus New York, zuerst ist die Leitung leer, dann kommt Max,
seine Stimme“, träumt sie in einem der Protokolle. Und: „Max lacht und
lacht immer mehr, nicht gerade höhnisch, aber ziemlich belustigt.“
Ihre Beziehung mit Max Frisch steht für so manche „Malina“-Szene Pate – …
sie Frisch ohne jede Rücksicht auf Privatsphäre Stoff für so manche Szene
in „Mein Name sei Gantenbein“ und „Montauk“ geboten hat. Dieser schwier…
Komplex bestimmt auch weite Strecken ihrer Krankheitsaufzeichnungen. Ihre
Todesangst-Erfahrungen wollte die Autorin ebenfalls in den geplanten Zyklus
einfließen lassen, Erfahrungen mithin, die sich aus ihren
Klinikaufenthalten – die wahrscheinlich eine Gebärmutterentfernung zur
Ursache hatten – speisen, mit denen auch ihre Medikamentenabhängigkeit
einsetzt. Vor diesem Hintergrund sind die Brief- und Redeentwürfe
tatsächlich aufschlussreich.
Schreiben kommt im Falle der Bachmann von Erleben – was das anbetrifft, ist
sie unter anderem Goethe ganz nah. Ihr Leben lässt sich nicht ausklammern,
wenn es um die Beschäftigung mit ihren Werken geht. Der Germanist Joseph
McVeigh hat erst kürzlich eine Studie über „Ingeborg Bachmanns Wien“
vorgelegt, worin er den Einfluss der nach dem Zweiten Weltkrieg mitnichten
entnazifizierten Donau-Metropole und ihres Geisteslebens auf die junge
Dichterin beschreibt. „Male oscuro“ dokumentiert nun einige Hintergründe zu
Bachmanns Spätwerk. „Ich denke viel an Österreich, an etwas Klimatisches
dort, meine Abweisung gegen alles hier wird immer heftiger, die Narrheiten
der Leute, die Indiskretion, diese Zerfetztheit der einen, die
Bürgerlichkeit der anderen. Ich rede zwar höchstens von Italien, aber ich
denke mehr an Wien, und Umgebung, an meine Herkunft, an alles, was mich
bestimmt“, heißt es da etwa.
## Zweiter Band erscheint bald
Bei der großen Werkausgabe, deren Auftakt schon ein wenig einem Coup
gleicht, handelt es sich um die erste kommentierte Gesamtausgabe der Prosa,
Gedichte, Essays, Hörspiele, Libretti und der Briefe Ingeborg Bachmanns.
Neben bereits erschienenen Titeln wird diese Salzburger Edition laut
Ankündigung „sämtliche unbekannten nachgelassenen Texte“ enthalten. Man
darf also gespannt bleiben.
Der zweite Band erscheint in Kürze. Darin enthalten sind dann Texte rund um
das „Todesarten“-Fragment „Requiem für Fanny Goldmann“, in dem es um d…
Benutzen einer Frau und um perfide Gewalt geht, Themen aus dem überaus
weiten Erfahrungshorizont der Dokumente „Male oscuro“ also. Der Titel geht
übrigens auf den damals von Ingeborg Bachmann gelesenen und in ihren
Notaten auch kommentierten Roman des italienischen Autors Giuseppe Berto
von 1964 zurück, der seinerseits autobiografisch eine verzweifelte
Krankengeschichte erzählt. Das „Male oscuro“ oder „dunkle Übel“ – s…
es auf Deutsch – trieb die Bachmann einerseits tief in die Verzweiflung,
andererseits aber bestimmte es wesentlich ihr literarisches Schaffen.
15 Mar 2017
## AUTOREN
Tobias Schwartz
## TAGS
Buch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Biografie über Ingeborg Bachmann: Als Dichterinnen wichtig waren
Ina Hartwig unternimmt essayistische Ausflüge in die Tiefendimensionen
eines turbulenten Lebens und bedeutsamen Werks.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.