# taz.de -- „Ich will niemandem gehören“ | |
> STREITSCHRIFT In ihrem „Antiromantischen Manifest“ plädiert Marie Rotkopf | |
> für das Fremdsein als einzige Möglichkeit, frei zu leben. Und für die | |
> Poesie als einen spottenden Akt des Widerstands gegen die Romantik | |
Interview Robert Matthies | |
taz: Frau Rotkopf, was bedeutet es, antiromantisch zu sein? | |
Marie Rotkopf: Es bedeutet, keine Zugehörigkeit zu wollen und niemandem | |
gehören zu wollen: keinem Mann, keiner Frau, keiner Gesellschaft und | |
natürlich keiner Nation. Antiromantisch sein ist: endlich diese | |
Eigenschaften aus dem 19. Jahrhundert zu dekonstruieren. Es bedeutet auch, | |
die ökonomische Frage nicht zu vergessen. Es bedeutet, klar sehen zu | |
wollen, die Ursachen zu entschleiern. Die Verbundenheit mit dem Realen. Die | |
Sachen auf den Punkt bringen. | |
Sie schreiben, frei könne man nur sein, wenn man fremd bleibt. | |
Ich möchte nicht zu einem „Wir“ gehören. Ich will mich nicht integrieren. | |
Das ist die Tür zur Freiheit, das erlaubt mir die Freiheit. Um frei zu | |
sein, muss man fremd sein. In Frankreich sagt man: Wenn man Frankreich | |
nicht mag, soll man es verlassen, Madame. Aber ich bin überall zu Hause, | |
das Problem sind die Einheimischen. | |
Sie sind als Französin vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen, in „das | |
grauenhafteste Land der Welt“, schreiben Sie, „um meine Freiheit zu | |
spüren“. Wie meinen Sie das? | |
Das ist natürlich Humor, ein ernster Humor, wenn man es so sagen kann. Wo | |
ich herkomme: Ich bin eine Tochter des französischen Philosophen Vladimir | |
Jankēlēvitch. Wenn wir eine Lösung finden wollen, und jetzt werde ich | |
positiv: Wenn wir in einer besseren Welt leben wollen, dann bedeutet es, | |
dass wir uns vermischen sollen – auch mit Deutschen. | |
Sie schreiben, dass heute ganz Europa romantisch ist, Europa selbst eine | |
romantische Idee geworden ist, von „allen neoliberalen Ökogrünen“ bis zur | |
„allergefährlichsten AfD“. | |
In unserer Gesellschaft gelten diese Werte aus dem 19. Jahrhundert immer | |
noch in allen Bereichen: Hang zur Innerlichkeit, Rückzug ins Private, | |
Polizei- und Spitzelstaat, die konservativen Werte Familie, Kirche, Staat. | |
Das müssen wir infrage stellen. Heute ist Europa durch das protestantische | |
Deutschland zerstört – Joachim Gauck und die Pastorentochter Angela Merkel | |
sind nur ein Beispiel. Die Deutschen werden es ohne Diktatur nicht | |
schaffen, die Südländer zu beugen. | |
Die Romantik ist urdeutsch, protofaschistisch und antisemitisch. Im | |
„Tagebuch Worpsweder Frühling“ beschreiben Sie das deutlich. Und stellen | |
fest: Es gibt kein schönes Braun. | |
Den Satz von Paula Modersohn-Becker habe ich verneint, denn sie schreibt | |
über ein „köstliches Braun“ und ein „Wunderland, ein „Götterland“. | |
Worpswede sollte man sich angucken, dort lernt man viel über Deutschland. | |
Dass etwa niemand darüber spricht, dass Rainer Maria Rilke ein Faschist | |
war, ein Mussolini-Anhänger, sagt viel über unsere Gesellschaft. | |
Romantisch ist, zu verleugnen und zu verdrängen. | |
Die Persilscheine, die ausgebliebene Entnazifizierung sind mir sehr | |
wichtig. Das steht in meinem Text über Luther, „Die taube Gewalt des | |
Christentums“: Man kann nicht über Islamismus, über Luther oder über Gott | |
diskutieren, ohne ständig im Blick zu haben, dass Verbrecher unsere | |
Nachbarn sind. Wie der SS-Offizier Gerhard Sommer, der am Massaker im | |
italienischen Dorf Sant’Anna di Stazzema beteiligt war und heute im | |
Seniorenheim in Volksdorf Latte macchiato trinkt. Man muss zuerst sagen, | |
dass es keine Gerechtigkeit und keine Entnazifizierung gab und gibt. | |
Sie schreiben auch gegen eine romantische Form des Feminismus an. | |
Wenn man ein sensibler Mensch ist, ist man für Gerechtigkeit, für dich, für | |
sie. Feministin zu sein, ist das Minimum. Aber man kann auch nicht | |
feministisch sein, wenn man nicht auch über die Ursachen, über unser | |
ökonomisches System und den Rassismus spricht. Für mich ist Angela Davis | |
sehr wichtig. Sie hat mich aufgeklärt, als ich jung war, mit ihrem Buch | |
„Women, Race & Class“. Eine Feministin redet über Geschlecht, Rasse und | |
Klasse. Das gehört zusammen. | |
Kann man antiromantisch lieben? | |
Als ich klein war, hat mich die Schauspielerin Solveig Dommartin, die zur | |
Zeit von „Der Himmel über Berlin“ Wim Wenders Partnerin war, sehr | |
beeindruckt. Ich fand sie stark und schön, aber auch sehr fragil. Ich | |
glaube, sie ist an der Liebe gestorben. Sie ist die romantische Figur der | |
fragilen Frau. Ich fand sie anziehend, aber sie ist an der Liebe zugrunde | |
gegangen. Wie Paula Modersohn-Becker. Beide sind Figuren extrem | |
romantischer Erwartungen. Man soll nicht zu viele romantische Erwartungen | |
haben, nicht sterben für die Liebe, sondern leben und frei sein. | |
Ihr „Antiromantisches Manifest“ ist für sie eine „poetische Waffe“. | |
Die einzige Möglichkeit, weil ich manchmal verzweifelt bin, ist Poesie zu | |
schreiben, um über das Unsagbare zu schreiben. Es geht um das Freisein in | |
der Sprache. Ich schreibe auch Poesie als Warnung. Man kann nicht „gegen | |
den Hass“ sein, und ihn parallel liefern. | |
Marie Rotkopf: „Antiromantisches Manifest. Eine poetische Lösung“, Nautilus | |
2017, 144 S., 14,90 Euro | |
Lesung: Fr, 17. 3., 20 Uhr, Golem, Große Elbstraße 14 | |
11 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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