# taz.de -- Papagei auf Reisen: Tolaz, der Vagabund | |
> Nach der Stürmung der Nachrichtenagentur DİHA wurde der | |
> Redaktions-Papagei zum Symbol für Pressefreiheit. Die Reporter*innen | |
> machen weiter. | |
Bild: Tolaz spricht kurdisch und türkisch und tanzt sogar Halay | |
„Tolaz“ bedeutet im Kurdischen „Rumtreiber“. So nennt man jemanden, um … | |
dafür zu bestrafen, dass er sich nicht an die gesellschaftlichen Regeln | |
hält. Eigentlich ist das Wort „Tolaz“ negativ konnotiert. Dass die Dicle | |
Nachrichtenagentur (DİHA) sich ihr Büro mit einem Papageien teilt, der | |
Tolaz heißt, hat seine eigene Ironie. Natürlich hat Tolaz seinen Namen | |
nicht wegen seiner ursprünglichen Bedeutung erhalten. Im Gegenteil: Der | |
Name Tolaz hat auch eine neckische und lustige Seite. | |
DİHA wurde 2002 gegründet, um vorwiegend Nachrichten aus Gebieten zu | |
erhalten, in denen Kurd*innen leben, und der einseitigen Berichterstattung | |
vorzubeugen. Seit der Gründung waren die Mitarbeiter*innen der DİHA und die | |
Agentur vielfacher Repression ausgesetzt. Niemand kann sich mehr an die | |
Zahl der festgenommenen Mitarbeiter erinnern. Als im Südosten der Türkei | |
zahlreiche vorwiegend kurdisch besiedelte Städte dem Erdboden gleichgemacht | |
wurden, berichteten die DİHA-Reporter*innen aus nahezu jedem Dorf und jeder | |
Stadt. | |
Wer in der Türkei in einem Medienunternehmen abseits der Mainstream-Medien | |
arbeitet, wird aufgrund des gegenwärtigen politischen Klimas mit | |
Repressionen und Diskriminierung sowie der gnadenlosen Seite der | |
staatlichen Stellen konfrontiert. | |
Tolaz hat diese Seite kennengelernt. Die [1][Geschichte] des Papageis, der | |
mittlerweile auch in Deutschland einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt | |
hat, ist – wie sein Name – höchst ironisch. | |
## Tolaz allein zu Haus | |
Ohne Vorwarnung wurde die Redaktionsräume von DİHA eines Nachts gestürmt. | |
Niemand hatte die Mitarbeiter*innen darüber informiert und Tolaz befand | |
sich noch in der Redaktion. Es war eiskalt in Ankara, der Papagei brauchte | |
seine tägliche Ration Futter. Tolaz, der kurdische und türkische Wörter | |
beherrscht, hasst es, allein zu sein und ist ein ziemlich geselliges Tier. | |
Wahrscheinlich hatte Tolaz in der Nacht, als Polizisten gewaltsam | |
eindrangen, große Angst. | |
Als die DİHA-Mitarbeiter*innen am nächsten Morgen die Tür versiegelt | |
vorfanden, machten sie sich große Sorgen um ihren Papagei. Weil sie | |
wussten, dass Tolaz auf Rufe und die Türklingel reagiert, klingelten sie | |
und riefen seinen Namen. Als Tolaz von drinnen “Heval, alooo, kim ooo?“ | |
rief (dt.: “Hey Kumpel? Wer ist da?“), kam Panik auf. Heval ist kurdisch | |
und bedeutet Freund oder Gefährte. | |
Wie viele andere Medienmacher*innen aus der Türkei war Tolaz auf die | |
Solidarität seiner Freunde angewiesen. Das Team von DİHA konnte die | |
Einheit, die die Tür versiegelt hatte, nicht kontaktieren. Weder wurden im | |
Vorfeld die Mitarbeiter informiert, noch wurde ein gerichtlicher Beschluss | |
hinterlassen. | |
## Keine Panik, Tolaz geht es gut | |
Da es um ein Tier ging, wurden neben vielen anderen Ämtern auch das | |
Forstamt angerufen. Zwischenzeitlich stießen die Postings der | |
Redakteur*innen in den sozialen Medien auf immenses Interesse. Abgeordnete | |
wie Sezgin Tanrıkulu von der CHP engagierten sich für den Papagei. Um es | |
kurz zu halten: Tolaz geht es gut und er ist in Sicherheit. | |
Viele Redaktionen wurden nach dem Trauma des Putschversuchs am 15. Juli | |
unter Umgehung des Gesetzes per Dekret geschlossen. Mit dieser | |
Notstandsverordnung ist es den Sicherheitskräften erlaubt, die Büros unter | |
der Anwesenheit von Gerichtsvollziehern zu räumen, sämtliches Equipment zu | |
beschlagnahmen und die Tür anschließend zu versiegeln. Am Abend des 29. | |
Oktober 2016 wurden per Notstandsdekret 15 mehrheitlich kurdische | |
Redaktionen geschlossen. Unter ihnen war die Redaktion von DİHA. | |
Nachrichten, überall: „HaberSIZsiniz“ | |
Vieles, was Journalist*innen derzeit erleben, kündigt den Beginn eines | |
neuen beruflichen Selbstverständnisses an. | |
Am 30. Oktober, einen Tag nach der Veröffentlichung des Dekrets, trafen | |
sich die „arbeitslosen Kolleg*innen“, deren Zeitungen und Fernsehkanäle | |
plötzlich geschlossen wurden, im zweiten Stock eines Restaurants in Ankara. | |
Sie sagten sich: „Überall ist unser Büro, überall ist unser Studio“, | |
„Nachrichten – überall“ und gründeten trotz des anhaltenden Repressionen | |
die Plattform HaberSIZsiniz (dt.: IHRe Nachrichten). | |
„Wir wussten, dass sie uns nicht in Ruhe lassen würden“, erzählt | |
DİHA-Redakteur Deniz Nazlım. „Ich fand es aufregend, darüber nachzudenken, | |
was passiert, wenn ich nicht mehr jeden Tag im Büro, sondern auf der | |
Straße, mittendrin im Geschehen bin und meine bisherigen Gewohnheiten | |
ablegen muss.“ Vorsorglich hatte er sich mit Batterien und einem neuen | |
Laptop ausgestattet. „Wir hängen nicht an Orten, sondern an unserem Beruf“, | |
sagt Nazlım. | |
## Das wird die Menschheit wachrütteln | |
Der ehemalige DİHA-Redakteur Hayri Demir erzählt von elf Redakteuren, die | |
sich derzeit in Haft befinden. „Viele müssen Anklagen befürchten oder | |
wurden bereits angeklagt. Von der Gründung bis zur Schließung von DİHA | |
wurden mehrere Mitarbeiter*innen festgenommen, die mit dem Vorwurf | |
angeklagt wurden, gegen das Gesetz der Terrorabwehr verstoßen zu haben. In | |
den Gerichtsakten fanden sich allerdings nur die Artikel der | |
Journalist*innen“, sagt er. | |
Im Zeitraum Juli 2015 bis Ende Oktober 2016 sperrte die türkische | |
Informations- und Kommunikationsbehörde 48 Mal die Webseite der DİHA. | |
Demir und Nazlım denken, dass die Berichterstattung über die bewaffneten | |
Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und kurdischen Rebellen | |
im vergangenen Jahr zu den wichtigsten Aufgaben der DİHA zählt: “Allein den | |
DİHA-Journalist*innen ist es zu verdanken, dass die Geschichte der | |
zehnjährigen Cemile Çağırga an die Öffentlichkeit gelangte, die während d… | |
Ausgangssperre in Çizre getötet wurde und deren Leichnam mehrere Tage lang | |
von ihrer Familie in der Tiefkühltruhe aufbewahrt werden musste. Oder die | |
Geschichte von Taybet Ana, deren blutiger Leichnam sieben Tage lang in | |
Silopi auf der Straße lag, weil ihre Familie wegen der Ausgangssperre nicht | |
einmal das Haus verlassen konnte“, sagen sie. | |
„Auch die Geschichten der Menschen, die in den Kellern von Çizre verbrannt | |
wurden, haben die DİHA-Reporter*innen erzählt. Ihre Nachrichten und Bilder | |
von diesen Gewalttaten wurden als Beweismittel für Menschenrechtsklagen | |
herangezogen. Wir haben Zeugnisse geliefert, die Menschen wachrütteln | |
werden. Als Dank dafür wurden unsere Nachrichtenagentur geschlossen.“ | |
* Tolaz wurde zu einem Symbol für die Pressefreiheit. Die Plüschversion des | |
liebenswerten Papageis ist gerade auf Tour in europäischen Medienhäusern. | |
Seit Anfang der Woche ist er in der taz.gazete-Redaktion zu Gast. Im Laufe | |
der nächsten Monate wird der Plüschpapagei Tolaz weiter auf Reisen | |
geschickt und soll ganz zum Schluss sogar zur New York Times. Am Ende | |
seiner Reise wird er versteigert. Der Erlös geht an Reporter ohne Grenzen. | |
22 Feb 2017 | |
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## AUTOREN | |
Onur Burçak Belli | |
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