# taz.de -- TURNENAndreas Toba wurde im olympischen Rio de Janeiro zum tragisch… | |
Bild: „Geil, jetzt habe ich meine erste Blase“: In der Turnerszene werden V… | |
Interview Alina Schwermer | |
Kleiner Medienauflauf im Marshall-Haus der Messe Berlin. Es gibt eine | |
Pressekonferenz zum Deutschen Turnfest, und Andreas Toba soll was Nettes | |
sagen. Macht er, sehr lustig sogar. Es scheint ihn nicht zu langweilen | |
hier, jedenfalls weniger als die meisten anderen. Zum Interview erscheint | |
er humpelnd; vor zwei Wochen hatte Toba wieder eine Knie-OP. Setzen will er | |
sich nicht. „Geht schon“, sagt er, und absolviert eine Dreiviertelstunde | |
stehend. | |
taz.am wochenende: Herr Toba, wie lebt es sich als „Olympiaheld“, wie es in | |
den Medien hieß? | |
Andreas Toba: Der Unterschied ist, dass mich jetzt ein paar mehr Leute | |
kennen und ein paar mehr Termine dazugekommen sind. Momentan sind sie aber | |
noch alle machbar, weil ich seit der Verletzung noch nicht viel trainieren | |
konnte. Und die Aufmerksamkeit wird sich auch wieder legen. | |
Ihr persönliches Leben hat sich nicht verändert? | |
Nein, nicht so sehr. Klar, es sind viele Ehrungen und Auszeichnungen | |
dazugekommen, mehr, als ich jemals erwartet hätte, ich habe ein paar | |
berühmte Leute kennengelernt. Aber mein Denken und Verhalten sind | |
unverändert. | |
Sie haben in Rio bei der Quali fürs Mannschaftsfinale trotz Kreuzbandriss | |
weitergeturnt und dafür mehr Preise erhalten als mancher Medaillengewinner. | |
War es eine Heldentat? | |
Für mich war es ein ganz normales Handeln. In Turnerkreisen hätten es viele | |
so gemacht. | |
Wirklich? | |
Wenn man mit einem Kreuzbandriss weitermacht, denken sich vielleicht viele: | |
Warum macht er das? Aber für mich gab es in dem Moment kein Warum. Ich | |
wusste, dass ich weitermachen kann. | |
So selbstverständlich? | |
Für mich ja. Definitiv. | |
Aus medizinischer Sicht ist es fragwürdig, mit so schweren Verletzungen | |
weiterzuturnen. Sie hätten es schlimmer machen können. | |
Eigentlich nicht. Das Risiko war gerade am Pauschenpferd kalkulierbar. | |
Warum? | |
Da hätte ich mein Knie nicht noch weiter schädigen können. Was soll da noch | |
mehr kaputtgehen? Es war kein extrem größeres Risiko als sonst auch. | |
Die Ärzte haben Ihnen vorher abgeraten. | |
Weil die nicht gesehen haben, wozu ich in der Lage war. Unsere Muskulatur | |
als Sportler ist anders als die eines normalen Menschen. Für mich war es | |
unbedenklich. Und als der Arzt gesehen hat, dass ich zum Teil sogar auf dem | |
Bein hüpfen und landen konnte, hat er gesagt: Das könnte funktionieren. | |
Sie mussten sich in kürzester Zeit entscheiden. Zweifel? | |
Es ist schon erschreckend, wenn das Bein um 90 Grad in die andere Richtung | |
guckt. Aber beim Einturnen hat es mich nicht gehindert. Und damit stand die | |
Entscheidung fest. | |
Was ist das für ein Gefühl, wenn bei Olympia das Kreuzband reißt? Wut, | |
Enttäuschung, Leere? | |
In erster Linie war ich enttäuscht, weil ich an mich selbst andere | |
Erwartungen hatte. Ich bin mit einem echt guten Gefühl nach Rio gefahren, | |
ich war fit wie nie. Ich wollte fürs ganze Turnen ein ordentliches Bild | |
abgeben. Der Frust, dass man verletzt ist, die Erkenntnis, dass man wieder | |
unten anfangen muss, das kommt später. | |
Wann? | |
Die Erkenntnis kam ziemlich bald (lacht). Im Grunde in den Wochen nach der | |
OP. Da habe ich gemerkt, dass ich einen Tiefpunkt in meinem Leben erreicht | |
hatte. | |
Sie mussten vor zwei Wochen wieder an dem Knie operiert werden. Ihr | |
Comeback wird noch dauern. | |
Es ist ein schwieriger Prozess und einer, der mich ungeduldig macht. Ich | |
bin ein Mensch, der nicht ruhig bleiben kann, der immer trainieren will und | |
neu lernen muss. | |
Sportler erzählen gern, schwere Verletzungen würden sie weiterbringen. | |
Stimmt das, oder ist eine Verletzung einfach nur scheiße? | |
Es hat schon positive Punkte: Man kann an seinen Defiziten arbeiten, an | |
Dingen, die man in den letzten Jahren aufgrund der vielen Wettkämpfe | |
vernachlässigt hat. Wenn ich es überstanden habe, werde ich ein besseres | |
Körpergefühl haben. | |
Sind Sie schon mal über die Schmerzgrenze gegangen und haben hinterher | |
gedacht: Das war blöd? | |
Nein. Einmal bin ich bei einem Wettkampf mit beiden Füßen umgeknickt und | |
hatte links und rechts alle Bänder gerissen. Da habe ich auch am | |
Pauschenpferd weitergeturnt. Als ich am nächsten Tag aufgewacht bin, sahen | |
meine Füße aus wie Elefantenfüße. Aber ich bereue nie, was ich tue. In | |
Zukunft werde ich es genauso machen. | |
Haben Sie keine Angst, Ihren Körper zu ruinieren? Ihr Vater, Kunstturner | |
Marius Toba, galt auch als harter Hund. Er hat um die 20 OPs durchgemacht | |
und leidet bis heute unter den Folgen seiner Verletzungen. | |
Das schreckt mich nicht ab, weil ich ganz genau weiß, dass es bei ihm eine | |
andere Sache war. Damals gab es keine so gute medizinische und | |
physiotherapeutische Betreuung. Er ist in Rumänien groß geworden, einem | |
Land, wo die Gesundheit der Turner vielleicht nicht so im Fokus stand. Es | |
ging nach dem Motto: Wer kaputt ist, wird ausgetauscht. Hier wird mit den | |
Sportlern anders umgegangen. Und er hatte komplett andere Motive zu turnen. | |
Andere als Sie? | |
Bei ihm ging es damals um die Existenz. Ich mache es wirklich aus | |
Leidenschaft. Ich liebe diese Sportart. Mich hat noch nie jemand zum Turnen | |
gezwungen. | |
Auch Ihr Vater nicht? | |
Nein. Klar wollte er, dass ich Turner werde, und hat alles probiert, es mir | |
schmackhaft zu machen. Aber es hieß nie: Du musst. Es war meine Wahl. | |
In einem Interview hat er ähnliche Worte benutzt wie Sie vorhin: Ich bereue | |
nichts. Hat die Einstellung Sie geprägt? | |
Er hat mir das, was er erlebt hat, irgendwie weitergegeben. Er hat mir aber | |
nie gesagt: Du musst jetzt mit kaputtem Kreuzband oder ausgekugelter | |
Schulter weitermachen. Das ist eine Sache, wo wir uns sehr ähnlich sind: | |
Wir gehen bis ans Limit und vielleicht noch weiter. | |
Ihr Vater hat Sie auch trainiert. War er strenger als andere? | |
Er hat gesagt: Es ist deine Entscheidung, wann du ins Bett gehst, aber je | |
früher du schlafen gehst, desto fitter wirst du morgen sein. Die Ratschläge | |
lernt man später zu schätzen. | |
Gab es nicht Phasen, wo Sie gesagt haben: Scheiß auf Disziplin, ich mach es | |
jetzt anders? | |
Diese Phasen hat jeder. Aber wer einen Tag vor dem Wettkampf feiern geht, | |
blamiert sich vielleicht. | |
Bereuen Sie dennoch, etwas verpasst zu haben? | |
Feiern kann man nach den Wettkämpfen. Wer keinen Leistungssport gemacht | |
hat, verpasst eher was. Die Möglichkeit, bei Olympia zu starten und | |
entfernte Länder zu besuchen, hat nicht jeder. | |
Rio war für Sie ja eine paradoxe Situation: ein sehr negatives Erlebnis, | |
das viel Positives gebracht hat. Wenn Sie könnten, würden Sie den | |
Kreuzbandriss rückgängig machen? | |
Ja. Es geht nichts über Gesundheit. Klar, hätte ich die Preise sonst | |
wahrscheinlich nicht bekommen, und es ist wunderschön. Aber ich hätte es | |
gern sportlich erreicht und nicht mit der, wie es immer betitelt wird, | |
Heldentat. | |
Gibt es Heldentaten? | |
Keine Ahnung. Ärzte sind Helden. Menschen vorm Sterben retten, das wäre | |
eine Heldentat. Ich selbst habe nichts anderes gemacht als das, was wir | |
immer machen. Wir arbeiten hart und quälen uns. | |
Schmerzen klingen bei Ihnen sehr selbstverständlich. | |
Wir müssen schon eine hohe Leidensfähigkeit haben, weil wir von klein auf | |
so aufgezogen werden. Ich habe mit kleinen Kindern trainiert, die mir | |
gesagt haben: Geil, jetzt habe ich meine erste Blase an der Hand. | |
Sie haben kürzlich gesagt, Sie wollen nach der Karriere Trainer werden. | |
Wollen Sie nie raus aus der Sportblase? | |
Eigentlich nicht. | |
4 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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