# taz.de -- Schulversuch mit ohne Waldorf | |
> Versuch macht klug Auch nach dem Ausstieg des Partners „Verein für | |
> interkulturelle Waldorfpädagogik“ geht der Schulversuch an der | |
> Ganztagsschule Fährstraße in Wilhelmsburg weiter. Von einem Scheitern | |
> wollen Eltern und Schulleitung nichts wissen | |
Bild: Buchstaben werden in der Fährstraße ganzheitlich gelernt – zum Beispi… | |
von Darijana Hahn | |
Für manche war es nur eine Frage der Zeit, für andere kam es wie ein | |
Paukenschlag: Zum Ende des vergangenen Schuljahres zog sich der „Verein für | |
interkulturelle Waldorfpädagogik“ nach nur zwei Jahren aus dem Schulversuch | |
zurück, bei dem an der staatlichen Ganztagsschule Fährstraße in | |
Hamburg-Wilhelmsburg pionierartig Elemente der Waldorf-Pädagogik zum | |
Einsatz kommen sollten. Auslöser für diese deutschlandweit einmalige und | |
kontrovers diskutierte Allianz war eine geplante Freie Waldorfschule in | |
Wilhelmsburg, die die Schulbehörde verhindern wollte, um einer sozialen | |
Spaltung Wilhelmsburgs entgegenzuwirken. Der Schulversuch sollte die | |
Neu-Wilhelmsburger dazu bewegen, ihre Kinder auf die Schule Fährstraße zu | |
schicken, die bis dahin unter einem schlechten Ruf gelitten hatte. | |
Bei Pam Goroncy und Lena Blosat hat das funktioniert: Sie gehören zu den | |
Müttern, die ihre Kinder bewusst wegen des Versuchs an der Ganztagsschule | |
Fährstraße angemeldet haben. Und die es bis heute nicht bereuen, auch wenn | |
der genuine Waldorf-Anteil in Form des „Vereins für interkulturelle | |
Waldorfpädagogik“ nicht mehr vertreten ist. | |
„Unsere Kinder sind an der Schule sehr zufrieden bis glücklich“, sagen die | |
beiden Mütter, die im Elternrat engagiert sind. Ihre acht- und | |
siebenjährigen Söhne seien begeistert von dem wilden Garten, wo in den | |
Nachmittagsstunden auch mal ein Lagerfeuer gemacht würde. Und es sei das | |
Künstlerische, das im Schulversuch unter anderem durch das eigens | |
erschaffene Fach „Künste“ sehr gefördert würde. „Mein Sohn strickt und | |
singt und töpfert“, sagt Blosat zufrieden. Ihr und ihrem Sohn Anton gefällt | |
auch, dass Buchstaben ganzheitlich gelernt, zum Beispiel „gebastelt, | |
gemalt, getanzt“ werden. | |
Und Goroncy betont die Bedeutung des „Epochenunterrichtes“: „Jeder Tag | |
beginnt mit einer Doppelstunde, die über mehrere Wochen einem Fach gewidmet | |
ist, und die immer mit einem rhythmischen Teil anfängt.“ | |
Wie dieser Epochenunterricht gestaltet sein soll, war nicht zuletzt Teil | |
der unüberbrückbaren Differenzen zwischen Waldorf-Pädagogen und | |
Schulleitung. „Die ersten beiden Schulstunden sind das Kernstück im | |
Waldorf-Unterricht“, erklärt Christiane Leiste vom „Verein für | |
interkulturelle Waldorfpädagogik“. Als Mitinitiatorin des Schulversuchs war | |
es ihr ein großes Anliegen, dass dieses „Herzstück“ entsprechend der | |
Waldorf-Vorstellungen gestaltet würde. | |
Für sie unantastbar war die Doppelstunde sowie die Doppelbesetzung. Und | |
wenn diese aufgrund von Ressourcenmangel nicht gewährleistet werden konnte, | |
so hätte sich Leiste die Besetzung mit einem Waldorf-Pädagogen gewünscht, | |
von denen mit Leiste zusammen neun an der Schule gearbeitet haben. „Die | |
Behörde hat uns leider nicht unterstützt“, bedauert Leiste, die dort immer | |
wieder um Mediation in dem fest gefahrenen Konflikt gebeten hat. | |
Auch Henning Kullak-Ublick vom Bund der Freien Waldorfschulen bemühte sich | |
vergeblich um Vermittlung. Nachdem sich die Waldorf-Partei als | |
Projektpartner immer weniger ernst genommen fühlte, zog sie im Sommer 2016 | |
die Konsequenzen und stieg aus dem Schulversuch aus. Die meisten | |
Waldorf-Lehrenden haben die Schule verlassen, und der Schule wurde vom Bund | |
der freien Waldorfschulen gerichtlich untersagt, weiter den Begriff | |
„Waldorf“ zu verwenden. | |
Dennoch könne man nicht davon sprechen, dass der Schulversuch „gescheitert“ | |
sei, will Karen Harder klarstellen. Sie ist eine der gebliebenen | |
Waldorf-Pädagoginnen, für die nicht so sehr die Art der Kooperation im | |
Vordergrund stand, sondern die Frage, wie Waldorf-Pädagogik an „so einem | |
Standort“ funktionieren kann. Dazu gehöre zum Beispiel eine Art Abweichung | |
vom in Waldorf-Schulen üblichen Epochenunterricht, insofern, dass es | |
durchgängig Deutsch- und Matheunterricht gebe, auch wenn gerade kein | |
entsprechender Epochenunterricht sei. | |
Abgesehen von Übungsstunden in Mathe und Deutsch sieht die reine | |
Waldorf-Pädagogik vor, dass Deutsch und Mathe jeweils am Stück über drei | |
Wochen unterrichtet werden, und dass es dazwischen eine Art | |
Verarbeitungspause gibt. | |
„Wenn 75 Prozent unserer Schüler Deutsch als Fremdsprache haben, ist es | |
schlecht, wenn sie nur manchmal Deutsch haben“, erklärt Jochen Grob. Der | |
Schulleiter der Ganztagsschule Fährstraße betont, dass für ihn zähle, „was | |
gut ist für die Schülerinnen und Schüler“, und nicht so sehr, inwieweit das | |
„Waldorf“ ist oder ob langjährige Regelschul-Kollegen sagen, dass sie das | |
schon seit 20 Jahren so gemacht hätten. | |
Grob hat sich vor knapp zwei Jahren auf die Stelle des Schulleiters | |
beworben, weil es ihn reizte, an etwas zu arbeiten, „was es noch nicht | |
gab“. So wurde das erwähnte, spezielle Fach „Künste“ geschaffen, in dem | |
sowohl darstellendes Spiel, bildende Kunst als auch Musik vertreten sind. | |
Gleichfalls spiele die handwerkliche Orientierung eine große Rolle, was im | |
Curriculum der übrigen Grundschulen bedauerlicherweise nicht mehr vorkomme. | |
Mit den Händen zu arbeiten und Bildung und Didaktik als ästhetischen | |
Prozess zu sehen, gehört für Grob zu einer ganzheitlichen Bildung, die viel | |
von Waldorf-Pädagogik profitiere. An der Fährstraße beispielsweise lernen | |
Schüler Buchstaben nicht nur an Hand eines fertigen Buches des | |
Regelschulbetriebs, sondern sie fertigen vielmehr ihr eigenes an, das | |
sogenannte Epochenheft. | |
Inwieweit die Neuerungen in dem auf acht Jahre angelegten Schulversuch | |
tatsächlich zu dem gesetzten Ziel führen, „dass alle Schülerinnen und | |
Schüler gute Lernerfolge haben und gerne zur Schule gehen“, bedarf einer | |
Evaluierung. Die ist allerdings bislang nicht angekündigt. | |
Immerhin konnte in diesem Schuljahr erstmals seit Langem wieder eine vierte | |
erste Klasse gebildet werden. Und für das kommende Schuljahr sind die | |
Anmeldezahlen erneut gestiegen, auf 75. | |
Über die Entwicklung freuen sich auch Pam Goroncy und Lena Blosat, die | |
ihrer Umgebung gebetsmühlenhaft erklären mussten, dass der Schulversuch | |
nicht gescheitert sei und dass ihre Kinder gern in die Schule gingen. Sie | |
sind zuversichtlich, dass die positiven Veränderungen weitergehen. Blosat | |
hat jedenfalls das Gefühl, alle richtigen Entscheidungen getroffen zu | |
haben, wenn ihr Sohn Besuch hat von seinem Schulfreund Youssof, der dann zu | |
ihm sagt: „Oh geil, komm, lass uns stricken.“ | |
25 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Darijana Hahn | |
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