# taz.de -- Sexismus in den Medien: Aus der Täterperspektive | |
> Die Pornografisierung der Nachrichtensprache impliziert, dass sexuelle | |
> Gewalt eine Art des einvernehmlichen Akts ist. | |
Bild: Proteste in Istanbul-Kadıköy gegen umstrittenes „Vergewaltigungsgeset… | |
Im Dezember letzten Jahres geriet die AKP-Stadtverwaltung der | |
westtürkischen Provinz Kütahya in öffentliche Kritik, als bekannt wurde, | |
dass sie an frisch verheiratete Paare ein Buch mit dem Titel “Ehe und | |
Familienleben“ verteilt. In der Publikation werden Kinderehen und sexuelle | |
Gewalt innerhalb der Ehe sowie Gewalt gegen Frauen als Erziehungsmaßnahme | |
legitimiert und die Berufstätigkeit von Frauen als “eheschädigend“ | |
gewertet. Die Stadtverwaltung warf den Kritiker*innen “Diffamierung und | |
Denunziation“ vor. | |
Mit kostenlosen Publikationen wie diesen festigt die AKP-Regierung nicht | |
nur die männliche Hegemonie: Sie erlässt mit Hilfe der patriarchalen | |
Gesetzgebung, von feministischen Aktivist*innen auch als “männliche | |
Gerechtigkeit“ bezeichnet, Strafmilderung für Sexualstraftäter bei | |
sogenannter “Anstiftung zur sexuellen Erregung“ – ja sogar Straffreiheit. | |
Das eindrücklichste Beispiel für Straffreiheit, das potenzielle Täter | |
möglicherweise ermutigt, ist der Fall Abdullah Çakıroğlu. Er hatte eine | |
junge Frau in einem Bus in Istanbul mit der Begründung ins Gesicht | |
getreten, sie habe zu kurze Hosen getragen. Erst nach öffentlichen | |
Reaktionen kam der Täter, der letztlich freigesprochen wurde, in | |
Untersuchungshaft. | |
Darüber hinaus wird mit der sexistischen Sprache, die bei der | |
Berichterstattung über sexuelle Straftaten in Presse und Medien verwendet | |
wird, der Mut von Betroffenen sexueller Straftaten gebrochen, und damit | |
auch ihr Streben nach Gerechtigkeit. | |
## Täterperspektive und Victim Blaming | |
Ein Beispiel für die Pornografisierung der Sprache bei der | |
Berichterstattung über sexuelle Gewalt sind Zeilen wie: „Sie streckten das | |
junge Mädchen, an ihren Haaren zerrend, auf die Ladentheke…“, erschienen in | |
einem Bericht im Januar 2016 der Zeitung Milliyet. | |
Die hier verwendete Sprache ist deshalb so gefährlich, weil sie Gewalt als | |
ein erotisches Moment beschreibt und impliziert, dass sexuelle Gewalt als | |
eine Art des einvernehmlichen Akts wahrgenommen wird. Die Tatsache, dass | |
nicht die Täter, sondern die der Gewalt ausgesetzte Person Subjekt des | |
Satzes ist, kann die Angst der Betroffenen vor ihrer Enthüllung schüren. | |
Der türkische Verein zur Bekämpfung sexueller Gewalt (türk. Cinsel Şiddetle | |
Mücadele Derneği), kurz CŞMD, interpretiert die Berichterstattung aus | |
Täterperspektive wie folgt: “In Nachrichten, in denen Migrant*innen, | |
Minderheiten, Frauen, Menschen mit Behinderung, LGBT's oder Tiere | |
diskriminiert werden, wird durch eine Erklärung der Motive für die | |
Gewalttat den Überlebenden selbst die Schuld zugewiesen. Für einige | |
Berichterstatter sind dies nämlich keine echten Betroffenen. Es gibt die | |
Einstellung, dass einige Menschen aufgrund ihrer Identität die an ihnen | |
verübte Gewalt verdienen.“ | |
Die konsumorientierte Berichterstattung über sexuelle Gewalt hat nicht nur | |
den Zweck, die Gesellschaft zu informieren oder Straftaten zu reduzieren: | |
Sie legt die Absicht nahe, einen Nutzen aus dem erlebten Trauma zu ziehen. | |
Die Einladung von Mördern und Vergewaltigern in Fernsehshows sowie | |
Nachrichten aus der Perspektive des Täters führen dazu, dass Leser*innen | |
und Zuschauer*innen Verständnis für den Täter entwickeln. Außerdem werden | |
Gründe und Konsequenzen der Gewalttat ausgeblendet und der Eindruck | |
erweckt, dass Gewalt unvermeidbar ist. | |
## Berichterstattung als Leitfaden für Gewalt | |
Das Hinterfragen der Unschuld bei sexuellen Übergriffen impliziert, dass | |
Vergewaltigung einvernehmlicher Sex sei. Aber der Täter kann nicht nur mit | |
seinem Geschlechtsorgan, sondern auch mit Objekten vergewaltigen, und dabei | |
nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder oder Tiere als Angriffsopfer | |
wählen. Laut CŞMD erleichtert die Schuldzuweisung an die Betroffenen das | |
schlechte Gewissen: “Wenn wir die Überlebenden beschuldigen, dann können | |
wir uns selbst aus der unbequemen Position befreien, zugeschaut, nichts | |
dagegen unternommen zu haben und damit Mittäter zu sein.“ | |
Die Legitimierung von Straftaten gegen Frauen und LGBT's in den | |
Mainstream-Medien ist mit einer Drohung gleichzusetzen. Die öffentliche | |
Peinigung der Betroffenen führt zu ihrem Stillschweigen. Jene, die es als | |
zu zermürbend empfinden, zu beweisen, dass sie die Gewalt nicht verdient | |
haben und auch nicht einverstanden waren, werden sich unter Umständen | |
selbst die Schuld geben. Jene, die das Schweigen fördern, sind dagegen die | |
Gewalttäter. | |
Filmmor, eine Frauenorganisation, gegründet zur Stärkung und Steigerung der | |
Repräsentation von Frauen in den Medien, hat eine Broschüre mit Richtlinien | |
zum Thema Gewalttaten gegen Frauen entwickelt. Darin steht, dass Mörder und | |
andere Täter die Berichterstattung über Frauenmorde schon fast als | |
Leitfaden nutzen: | |
“Mit einem ausgeschnittenen Zeitungsartikel, den er an den Kühlschrank | |
befestigte, bedrohte ein Mann monatelang seine Frau. Ein anderer hatte vor | |
Gericht um Strafmilderung wegen “Anstiftung“ zu erhalten, Tatmotive aus der | |
Zeitung vorgetragen. Aus diesem Grund enden unsere Richtlinien mit der | |
Frage: Möchten sie der Journalist sein, der diesem Frauenmörder das Motiv | |
liefert?“ | |
Die Sprecher*innen von Filmmor sind außerdem der Meinung, das größte | |
Problem in der Mediensprache sei, dass die Berichterstattung sich meist auf | |
die Täteraussagen bei der Polizei stützt. “Auf diese Weise nimmt der/die | |
Journalist*in die Sichtweise des Täters ein, und verwendet dieselbe | |
Sprache. | |
So werden diese Nachrichten wegweisend für potenzielle Täter einerseits, | |
Mittel zur Angst, Drohung und Abschreckung für die Betroffenen | |
andererseits. Die Sorge der Frauen, „in aller Munde“ zu sein und damit das | |
Gesicht zu verlieren, weitet sich auf die Sorge aus, „in die Zeitung zu | |
kommen“. Im Kampf gegen Frauenmorde und Gewalt müssen wir daher auch gegen | |
sexistische Sprache in der Berichterstattung kämpfen, die bei Frauen die | |
Sorge schürt, nicht nur Betroffene von Gewalttaten, sondern Gegenstand eben | |
dieser Berichte zu werden. | |
13 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
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