# taz.de -- Der alternde Körper wird wieder mal nicht miterzählt | |
> Tanz Heroismus jenseits maskuliner Erfolgsgeschichten? Das Tanzstück | |
> „Sheroes“ von Christoph Winkler spielt mit der Suche danach. Uraufführung | |
> war in Leipzig | |
Bild: Die Tänzerinnen von „Sheroes“ haben unterschiedliche Tanzbiografien | |
von Kornelius Friz | |
Judith Nagel hackt Holz. Die Tänzerin trägt dunkle High-Waste-Jeans und hat | |
einen Blick wie aus Eis. In aller Ruhe spaltet sie ein Scheit nach dem | |
anderen. Ihr Kreuz ist so breit, dass ihr Körper an eine Sanduhr erinnert. | |
Schon wenig Schwung reicht ihr, um das Holz über die ganze Bühne splittern | |
zu lassen. „Sheroes“ verschleudert sein stärkstes Bild gleich zu Beginn. | |
Die Residenz-Bühne in der Baumwollspinnerei Leipzig ist karg: der Raum | |
tief, das hintere Ende von einer Wand aus engelsweißer Wolle definiert. | |
Davor steht eine Handvoll Baumstämme. Nagel umgreift einen der Stümpfe, | |
stemmt ihn voller Eleganz auf einen zweiten. Zwei Windmaschinen werden in | |
Stellung gebracht. Erst jetzt kommen die anderen fünf Tänzerinnen dazu. Sie | |
setzen sich dem Kunst-Sturm aus: Manchen schlagen ihre Haare ins Gesicht, | |
andere Frisuren halten stand, als wären sie aus Wachs gegossen. | |
Das Schauspiel Leipzig hat den Choreografen Christoph Winkler für diese | |
Produktion erstmals eingeladen. Das Ensemble, das er mit „Sheroes“ auf die | |
Bühne bringt, ist von großer Diversität. Die Tänzerinnen haben nicht nur | |
unterschiedliche Tanzbiografien, auch ihre Körperlichkeiten könnten | |
vielfältiger kaum sein. Tamar Grosz etwa besticht durch feingliedrige | |
Beinarbeit. In einer Szene, die tanzpädagogisch daherkommt, wählt sie ihr | |
Knie als Protagonisten, von dem sie ihre Bewegungen leiten lässt. Lois | |
Alexander hingegen zeigt bei ihrem Solo eine Coolness, die vom Breakdance | |
inspiriert ist. Getragen wird sie von den Komplimenten ihrer Kolleginnen, | |
die sie zur Göttin stilisieren: „Sie kann die Erdrotation anhalten, sodass | |
wir eine Stunde länger schlafen können.“ | |
Doch wer sind die Idole, die Winkler sucht? Krankenschwestern oder Mütter? | |
Virtuelle Kämpferinnen wie Lara Croft vielleicht, die in einem männlich | |
dominierten Spielekosmos weibliche Identifikationsflächen bieten? Gibt es | |
das überhaupt, Heldinnen des Alltags? „Sheroes“ gibt jedenfalls keine | |
Antworten, wie Heroismus jenseits maskuliner Erfolgserzählungen gedacht | |
werden kann. | |
Dass Winkler die Heterogenität von Körperlichkeiten ausstellt, ist eine | |
Stärke der Inszenierung. Im Gegensatz zur Performance „GRRRRRL“, die das | |
Kollektiv Henrike Iglesias im Herbst letzten Jahres in der Leipziger | |
Residenz zeigte, werden hier keine gängigen Feminismus-Diskurse | |
wiedergekäut. Mal deutet das Ensemble einen Hexentanz an, mal rappt es | |
einen Song von Destiny’s Child: „All the women who are independent / Throw | |
your hands up to me!“ Bleiben letztlich also nur die Stars, die man damals | |
in der Bravo anhimmelte? Rapperinnen wie Ace Tee, Haiyti oder das Duo SXTN | |
bieten aktuell auch deutschsprachige Vorbilder der weiblichen | |
Selbstermächtigung durch Pop. | |
Oder gilt es, Karriere zu machen? Nicht nur schön, sondern auch reich zu | |
sein? „All the mommas who profit dollas / Throw your hands up at me“, geht | |
der Song weiter. Zum Glück stilisiert Winkler seine Tänzerinnen nicht zu | |
Heroinen und Karrierefrauen. Eine Erkenntnis des Stücks – und das ist nicht | |
gering zu schätzen – ist, dass alle unterschiedlich sind: Jede ist für sich | |
keine Heldin. Das zeigt sich schon in ihrer Wind- und Wetterfestigkeit, vor | |
allem aber in den vielfältigen Tanz- und Bewegungsstilen. | |
Das Einzige, was die für diese Produktion gecastete Gruppe verbindet, ist | |
ihr Alter. Auch dank der Kostüme wirken die zwischen 24 und 30 Jahre alten | |
Tänzerinnen noch jugendlicher. Der alternde Körper hingegen wird wieder | |
einmal nicht miterzählt, sondern a priori von der freien Tanzbühne und vom | |
Heldinnentum ausgeschlossen. | |
Winkler hat bereits zu rechten Frauen, postkolonialen Machtstrukturen oder | |
etwa über die Beziehung zu seiner Tochter Tanzstücke entwickelt. Mit | |
„Sheroes“, das ans kleine Berliner Ballhaus Ost weiterzieht, hätte der für | |
seine Diskursivität hochgelobte Künstler spannendere Narrationen finden | |
können, abseits vom rhythmischen Aufeinanderschlagen von Holzscheiten oder | |
dem zugegebenermaßen unterhaltsamen „Who Let The Dogs Out“-Bellen der auch | |
stimmlich starken Tänzerinnen. | |
Gerade als das Tanzstück langatmig wird, darf Judith Nagel den Schlusspunkt | |
setzen: Lässig rammt sie ihre Axt in einen der Pflöcke. Die Holzhack-Szene | |
der überzeugendsten Performerin hätte gerne so lange gehen können, bis | |
Nagel jeden Scheit zu Tausenden Zahnstochern verarbeitet hätte. | |
8 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Kornelius Luther | |
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