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# taz.de -- Was für ein Vorschlaghammer, dieser Film!
> Atomare Apokalypse Konstantin Lopuschanskis „Briefe eines toten Mannes“
> (Retrospektive)
Bild: Figur wie bei Hieronymus Bosch: Konstantin Lopuschanskis Brillenträger i…
Kniehoch steht das Wasser, einzelne Papierseiten schwimmen umher, überall
alte Stühle, aufgeweichtes Holz, Geröll. Zwei Gestalten stapfen voran.
Schauderhaft anzusehen sind sie mit ihren schwarzen Ganzkörperverhüllungen
aus Gummi, den ungeschlachten Mänteln, den bizarren Gasmasken. Figuren, die
man in einem Bild von Hieronymus Bosch vermuten könnte. Der eine immerhin
hat glänzende Laune: Er habe über die Idee des anderen nachgedacht, dass
die Welt ja nun nicht ernsthaft an ihr Ende kommen könne. Eine hinreißende,
wenn auch dumme Idee. Schon Jesus war schließlich auf die Erde gekommen, um
die Verdammten zu retten – verdammt sei die Menschheit somit seit jeher
gewesen. Die Irren, die Propheten und Wahrsager hatten einfach schon immer
recht gehabt: Die Welt werde untergehen und untergegangen ist sie nun auch,
ganz so, wie es geschrieben stand.
Das Bild zieht danach auf und enthüllt eine monumentale Tristesse, wie sie
im Science-Fiction-Kino ihresgleichen sucht: Ein schier endloser Saal zeigt
sich, vollgestopft bis an die Decke mit moderndem, klammem Papier. All das
Wissen der Menschheit, mit dem sie gegen ihr Verschwinden angeschrieben
hat, all das schriftlich fixierte Bewusstwerden von Welt, dem Mahlstrom der
Zeit abgerungen: dem Verrotten endgültig preisgegeben, Klumpatsch.
Nur eine Szene von ziemlicher Wucht aus Konstantin Lopuschanskis 1985 unter
Mithilfe des Science-Fiction-Autors Boris Strugatzki entstandener
Postapokalypse „Briefe eines toten Mannes“, den die Berlinale in ihrer
Science-Fiction-Retrospektive stilecht von einer alten 35mm-Kopie in
herrlichen Sepiatönen zeigt – eine tolle Wiederentdeckung! An Bildern von
solcher Wucht, aufgeladen mit viel Kultur-, Geschichts- und Geisteskryptik
herrscht darin kein Mangel. Aus gutem Grund: Zuvor arbeitete Lopuschanski
als Assistent von Andrei Tarkowski bei den Dreharbeiten zu dessen
Strugatzki-Verfilmung „Stalker“. Dass sich Lopuschanski am Texturenreichtum
und Stil der Filme seines Lehrmeisters orientiert, wäre fast schon eine
Untertreibung: Die „Briefe eines toten Mannes“ suchen sichtlich um
Anschluss ans monolithische Werk des Sowjetfilm-Großkünstlers. Doch wo
Tarkowski seine Kamera meditativ lange ruhen lässt und sich in den
Trostraum der klassischen Musik zurückzieht, zielt Lopuschanski vielmehr
auf den großen melodramatischen Affekt.
Die Geschichte tastet im Diffusen, wichtiger ist das Szenario als solches:
In einer nicht allzu fernen Zukunft hat sich die Menschheit mit nuklearen
Mitteln endlich das Licht ausgeblasen. Die versprengten Reste der
Bevölkerung sind von der verstrahlten Erdoberfläche ins Innere des Planeten
geflohen, wo sie über die fatale Geschichte der einst so vielversprechenden
Menschheit sinnieren und Grundsatzfragen über Gott, den Menschen und die
Rolle des technischen Fortschritts wälzen – eine Philosophie des
Weltuntergangs, beobachtet bei ihrer Verfertigung.
Der drängende Furor des Films, seine christliche Metaphysik grenzen
mitunter ans Parodistische, beeindrucken aber in ihrer kompromisslosen
Zuspitzung. Wo US-amerikanische Kino-Apokalypsen aus Gründen der
Markteffizienz ihren Weltuntergängen eben doch immer ein Stück
Unterhaltsamkeit unterheben müssen, schöpfte die sowjetische Filmkunst
jenseits des Markts beherzt aus den Vollen. Am Ende schließlich stehen
Auszüge aus dem berühmten Russell-Einstein-Manifesto, in dem die namhaften
Wissenschaftler 1955 vor den Gefahren der Atomtechnologie warnten. Kurz
nach dem Ende der Dreharbeiten ereignete sich das Reaktorunglück von
Tschernobyl.
Thomas Groh
18. 2., Zeughaus-Kino, 16.30 Uhr
10 Feb 2017
## AUTOREN
Thomas Groh
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