# taz.de -- Beschaulicher Zimmerspringbrunnen | |
> Sinnkrise Die Figuren in Ingrid Lausunds Stück „Trilliarden“ am | |
> Schauspielhaus stellen die unbeantwortete Lebensfragen, wissen aber auch | |
> keine Antwort. Irgendwann läuft die Inszenierung darum ins Leere | |
Bild: Überforderte Mutter trifft Esofuzzi: Angelika Richter und Michael Witten… | |
von Katrin Ullmann | |
Sie hat die Küchenstühle dottergelb gestrichen und mit dem Eisbär ihr | |
inneres Krafttier gefunden. Sie glaubt nicht mehr an „dieses | |
Schuld-und-schlechtes-Gewissen-Konzept“, hat „30 Kilo Übergewicht und eine | |
tote Mutter“. Na, schönen Dank auch, diese Rolle will sie nicht haben, | |
hatte sie sofort moniert. Jetzt steckt sie mittendrin. In Ingrid Lausunds | |
Stück „Trilliarden. Die Angst vor dem Verlorengehn“. | |
Karoline Bär spielt diese namenlose Frau. Wie sechs weitere Schauspieler – | |
und außerdem ein Chor und ein paar Statisten – kreist sie im Hamburger | |
Schauspielhaus über die leere Bühne. Mal schneller und mal langsamer, immer | |
jedoch in derselben Umlaufbahn. Gegen den Uhrzeigersinn im Kreis herum. | |
Nebelschwaden ziehen über die Bühne, beleuchtet ist diese von fächerförmig | |
montierten Scheinwerfern. Bea von Pilgrim hat den Raum entworfen. Es ist | |
ein Raum, so meint man zu verstehen, zwischen dem Leben und dem Tod. Ein | |
Zwischenraum, ein Ort der unruhigen Seelen. Ein Raum für die Suche nach dem | |
Sinn des Lebens und einer für das zögerliche Zucken, wenn es um das Danach | |
geht. | |
Denn nichts Geringeres als die Glaubens- und Sinnfragen hat sich Autorin | |
und Regisseurin Ingrid Lausund zum Thema gemacht. Die Kernfragen also – | |
„Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ –, die Fragen nach | |
Ursprung, Identität und Zukunft. Der Maler Paul Gauguin betitelte eines | |
seiner Bilder von 1897/98 so; die Suche nach den Antworten ist noch lange | |
nicht beendet. | |
Lausund ist unter dem Pseudonym Mizzi Meyer als Autorin für die | |
Fernsehserie „Der Tatortreiniger“ aktiv. Ihre Wurzeln liegen im Theater | |
und, ja, das ist schon ein bisschen her, während der Intendanz von Tom | |
Stromberg war sie Hausautorin und Regisseurin am Deutschen Schauspielhaus. | |
Hintergründiger Humor, feine Ironie und skurriler Sprachwitz ziehen sich | |
auch durch ihr jüngstes Stück. So klischeehaft ihre Figuren gezeichnet sind | |
– der Tee trinkende Yogi, die überforderte Mutter, die frustrierte | |
Übergewichtige – so selbstkritisch stellen sie Sekundenbruchteile später | |
ihre unfreiwilligen Typisierungen infrage. | |
Von Anfang an ist der Abend ein heiteres Spiel mit der Semiotik des | |
Theaters, mit den Zeichen, ihrer Bedeutung und ihrer Nivellierung. Da guckt | |
man (zunächst) gerne zu. Dann wenn Michael Wittenborn – „einfach Dasein und | |
sich öffnen, schauen, atmen“ – sich als „Esofuzzi“ über genau diese | |
unerträglichen Verkürzungen und Schubladen erregt und dann „Om“-singend in | |
der Bühnenmitte niederkniet. Oder wenn Angelika Richter unermüdlich | |
versucht, ihren Kindern Welt und Schöpfung zu erklären. Wenn sie dabei | |
zwischen Schuld und Sünde in herrlich strauchelnde Erklärungsnot gerät: „�… | |
also Gott liebt die Menschen ja, und deswegen hat er seinen eignen Sohn, | |
also Gott hat, weil der, weil die, weil die Menschen, also alle Menschen | |
sind ja böse, aber das heißt nicht, dass du auch böse bist.“ Wenn Bjarne | |
Mädel im Hausmeister-Outfit (Kostüme ebenfalls Bea von Pilgrim) von seinem | |
Hang zu Steißbein-Entzündung, seiner intensive Suche nach Gott und seiner | |
Erlösung durch die richtige Dosis Jod erzählt. Dann sitzt man im | |
Theatersessel und schmunzelt ein bisschen. | |
Schmunzelt über die ein oder andere Pointe, die witzig geschriebenen, (aber | |
zu langen) Monologe und die guten (aber leider unter ihren Möglichkeiten | |
bleibenden) Schauspieler. Doch mehr geschieht dann auch nicht. Die | |
wiederkehrenden Figuren, die geisternden Seelen, die Drehbühne: eine | |
Endlosschleife. In ihrem Stücktext stellt Lausund die bekannten, | |
unbeantworteten Lebensfragen erneut und aus verschiedenen Perspektiven. Sie | |
erzählt von ungelebten Leben, von orientierungslos Suchenden, skizziert | |
individuelle Schicksale, thematisiert virulente Religionsdebatten. Ein | |
dringlicher Text wird es dadurch nicht. Vielmehr entgleitet der Abend nach | |
der ersten noch recht flockig überstandenen Stunde zunehmend ins Betuliche | |
und Banale. Dann wird zwar ein zwischenzeitlich auftretender, gefühlig | |
singender Chor (Komposition: Remy Savisky) regietheatergemäß als | |
„manipulative Trostscheiße“ entlarvt – doch so oder so bleiben einem die | |
Figuren, ihr andauerndes, lautes und oft lamentierendes Denken völlig fern. | |
Da sie überwiegend monologisieren, übergibt man sie nur allzu gerne ihrem | |
Kreisverkehr. Statt eine eigene Haltung oder gar schmerzhafte Provokation | |
zu behaupten, plätschert der Abend als harmloser Grundkurs für allgemeine | |
Lebensfragen dahin. So beschaulich, aber auch so belanglos wie ein | |
Zimmerspringbrunnen. | |
Nächste Vorstellungen: 15.2., 19.3., 26.3., 28.3. 2017 | |
11 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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