| # taz.de -- Currywurst im Cinema: Das Dorfkino lebt | |
| > Im kleinen Örtchen Harsefeld gibt es bis heute ein altes Kino. Vor dem | |
| > Hauptfilm werden hier am Kinosessel auch Pommes und Currywurst serviert | |
| Bild: Der alte Charme ist erhalten geblieben: In den „Harsefelder Lichtspiele… | |
| Harsefeld taz | Harsefeld, dieser Flecken auf der Stader Geest zwischen | |
| Bremervörde und Buxtehude mit seinen 13.000 Einwohnern hat laut Wikipedia | |
| immerhin einen „Garten der Steine“ und ein Museum zu bieten. Doch das | |
| wirklich Sensationelle wird bei Wikipedia unterschlagen: Harsefeld hat noch | |
| ein altes Dorfkino. Hier haben am vergangenen Montag, also einem besonders | |
| besucher-schwachen Tag, immerhin über 40 zahlende Gäste die Gaunerkomödie | |
| „Vier gegen die Bank“ von Wolfgang Petersen gesehen. | |
| Bei den Harsefelder Lichtspielen handelt es sich um ein Verzehrkino. Die | |
| Sitzreihen sind in Vierergruppen unterteilt, damit das Personal genug Platz | |
| zum Servieren hat. Die Kinobesucher sitzen mit den Sesseln am Tisch, auf | |
| dem sich eine Lampe befindet. Früher waren die „Harsefelder Lichtspiele“ | |
| sogar ein Raucherkino, an leisen Stellen des Films hörte man die Lüftung | |
| rauschen. Vom Rauch riecht man heute längst nichts mehr. Der Saal wurde | |
| zwar immer mal wieder behutsam renoviert, aber den Charme haben die | |
| Betreiber beim letzten großen Umbau 1977 erhalten. Und so werben sie auch | |
| mit dem „nostalgischen“ oder gar „historischen“ Kinoerlebnis. Doch damit | |
| allein lässt sich das Publikum, das nicht selten aus Bremervörde anreist, | |
| nicht halten. | |
| Marga Engelmann, der das Kino gehört, spielt keine Blockbuster oder | |
| Comicverfilmungen. James Bond- und Star Wars-Filme, auf die viele ihrer | |
| Kollegen setzen, sind für sie tabu. Bei Engelmann stehen gehobene | |
| Unterhaltungsfilme auf dem Programm. Vergangene Woche liefen dort etwa | |
| ausschließlich deutsche Produktionen. Fast könnte man vom einem | |
| Arthouse-Kino auf dem Lande sprechen. | |
| Ihre Stammkunden fragen sie regelmäßig, ob sie für den einen oder anderen | |
| Film nach Hamburg fahren müssen, oder ob sie ihn in den nächsten Wochen | |
| vielleicht auch bei ihr sehen können. Über die Jahre hat Marga Engelmann | |
| sich so ein treues Publikum mit speziellem Filmgeschmack herangezogen: | |
| Eines, das an einem Sonntagnachmittag „Paula“ sieht und es zu schätzen | |
| weiß, wenn vor dem Hauptfilm nicht nur Werbung, sondern auch ein Kurzfilm | |
| läuft. | |
| Wenn das Publikum einen Lieblingsfilm hat, merkt man das daran, dass | |
| überall in der Gegend davon geredet wird und ihn schließlich fast jeder | |
| gesehen hat. So war das 2011 bei „Die Nordsee von oben“, jenem | |
| Dokumentarfilm, der nur aus Luftaufnahmen besteht. Nach einer inoffiziellen | |
| Weltpremiere in Harsefeld –die amtliche fand etwas später im Hamburger | |
| Abaton-Kino statt –lief er dort drei Jahre lang regelmäßig. Damit wurden | |
| die Harsefelder „Lichtspiele“ für diesen Film mit über 10.000 Zuschauern | |
| das Kino, das die höchste Besucherzahl einspielte. | |
| Neben den Lichtspielen führt der Familienbetrieb eine Gaststätte und ein | |
| Hotel, das „Kino-Hotel Meyer“ heißt. Schon seit sieben Generationen | |
| betreibt die Familie die Dorfkneipe, 1928 bauten sie den Tanzboden zu dem | |
| Kinosaal um, der heute noch an gleicher Stelle steht. Damals gehörte zum | |
| Grundstück auch noch der Laden eines Uhrmachers, der Klavier spielen | |
| konnte. Weil er die Begleitmusik zu Stummfilmen spielte, wohnte er bei den | |
| Meyers mietfrei. „So wurde das früher gemacht“ sagt Marga Engelmann, die | |
| eine geborene Meyer ist und gerne davon erzählt, dass die Frauen der | |
| Familie während des Zweiten Weltkriegs das Kino weiterführten, bis eines | |
| Tages ihr Vater aus der Kriegsgefangenenschaft zurückkehrte. | |
| Ihre Mutter, sie und ihre Schwester waren es, die in den 70er-Jahren, als | |
| die goldenen Zeiten des Kinos vorbei waren, den Vater dazu überredeten, den | |
| Betrieb, der damals nur Verluste machte, trotzdem nicht aufzugeben. Marga | |
| Engelmann konnte sich ein Leben ohne das Kino, das für sie immer da war, | |
| einfach nicht vorstellen. Schon als Vierjährige sah Engelmann auf dem Schoß | |
| des damaligen Filmvorführers ihren ersten Film: Es war Bambi und sie konnte | |
| nicht aufhören, zu weinen. | |
| Später fegte sie nach den Kindervorstellungen am Sonntag immer den Saal und | |
| bekam dafür ein Eis. In ihren Jugendjahren war ihr das Kino ein bisschen | |
| peinlich, denn es war damals schon alt und nicht besonders schick. Ähnlich | |
| war das später auch bei ihren Kindern. Inzwischen arbeitet auch ihr Sohn im | |
| Betrieb mit. Die Dorfkino-Dynastie setzt sich also fort. | |
| Das Thema Kino ist in Harsefeld präsent. Im Hotel hängen Filmfotos an den | |
| Wänden und die alten Projektoren stehen als Dekoration in den Ecken. Die | |
| Zimmer sind nach Stars benannt: Die billigen zur Straße hinaus heißen Til | |
| Schweiger und Fatih Akin, die etwas besseren Quentin Tarantino und Joel | |
| Coen und die Suiten Sean Connery oder Liz Taylor. Das Konzept setzt sich | |
| fort: Im Restaurant ist die Speisekarte nicht in Suppen, Vor-, Haupt- und | |
| Nachspeisen unterteilt sondern in Teaser, Trailer, Hauptfilm und Happy End. | |
| Im Kassenraum hängt eine Liste, in die Gäste Filme eintragen können, die | |
| sie gerne im Kino sehen würden. „Lawrence von Arabien“ wünscht sich einer, | |
| ein anderer schlägt den neuen Ken Loach-Film vor. Die Zeiten sind auf die | |
| örtliche Infrastruktur abgestimmt: Die Filme beginnen so, dass die Gäste | |
| aus Bremervörde und Buxtehude noch die letzte Bahn nach Hause kriegen. Und | |
| statt des üblichen Sparpreises gibt es im Harsefelder Kino an jedem | |
| Dienstag ein „Curryticket“, bei dem man für ein paar Euro Aufpreis eine | |
| Currywurst mit Pommes vor der Vorführung serviert bekommt. | |
| Sonntags gibt es das „Schnitzelticket“: man bestellt vor der | |
| Nachmittagsvorstellung ein Schnitzel und hat es dann zum Ende des Films vor | |
| sich auf dem Teller. Das ist alles gut durchdacht, aber vor allem spürt man | |
| dahinter die Liebe zum Kino. Und so wundert es nicht, dass die | |
| „Lichtspiele“ die letzte Krise des Kinos gut überstanden haben –und nun | |
| voll digitalisiert und mit einer guten Tonanlage ausgestattet fit für die | |
| nächsten Jahre ist. Der schöne alte Name bleibt auch wie er ist. | |
| 19 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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