# taz.de -- heute in hamburg: „Schicksal wird politisch“ | |
> asyl Im Rechtshaus erklärt ein Flüchtlingshelfer, wie man strategische | |
> Gerichtsprozesse führt | |
taz: Herr Pichl, warum sollten Flüchtlingshelfer gezielt vor Gericht | |
ziehen? | |
Maximilian Pichl: In den USA und in Großbritannien werden schon lange | |
strategische Prozesse geführt. Dort, wo Urteile noch gestalten können, wie | |
Gesetze ausgelegt werden, sollte man versuchen, mit einem exemplarischen | |
Fall das Flüchtlingsrecht zu beeinflussen. So wird das Schicksal eines | |
Einzelnen politisch. | |
Ist diese Strategie schon einmal aufgegangen? | |
Vor vier Jahren ist der italienische Flüchtlingsrat zusammen mit einer | |
Anwaltskanzlei vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. | |
Er hat dort erstritten, dass die Menschenrechte in internationalen | |
Gewässern gelten. Seitdem sind Staaten klarer verpflichtet, Flüchtlinge aus | |
Seenot zu retten und ihnen Zugang zum Asylverfahren zu gewähren. | |
Wie könnte so ein strategischer Prozess in Deutschland aussehen? | |
In der Asylgesetzgebung gäbe es auch hier einige Gesetze, die man durch | |
Richtersprüche ändern könnte. Es gibt zum Beispiel die neue Regelung, dass | |
Flüchtlinge unter Umständen weniger Sozialleistungen bekommen – etwa, wenn | |
sie nicht am Integrationskurs teilnehmen. Dabei hatte das | |
Verfassungsgericht zuvor entschieden, dass jedem ein Existenzminimum | |
zusteht. Dieses Gesetz könnten wir mit einem Urteil kippen. | |
Dafür bräuchte Ihre Organisation aber erst einmal einen Menschen, der als | |
Kläger her hält. | |
Ja, der Betroffene ist bei dieser Methode sehr wichtig. Wir versuchen, | |
schon im Vorfeld abstrakt zu bestimmen, welche Eigenschaften er haben | |
sollte. Organisationen, die strategische Prozesse führen, wenden sich | |
währenddessen auch an die Öffentlichkeit und versuchen, für ihre Sache zu | |
werben. | |
Ist so ein politisch aufgeladenes Verfahren nicht sehr anstrengend für den | |
Betroffenen? | |
Ich denke, Flüchtlinge haben auf diese Weise die Möglichkeit, selbst | |
politisch zu handeln. Es gibt auch Fälle, bei denen der Kläger anonym | |
bleibt. Der Betreuungsaufwand ist viel größer als bei normalen Verfahren. | |
Das liegt vor allem an der prekären Lage der Betroffenen. Auch deshalb gibt | |
es strategische Prozessführung in Deutschland bisher hauptsächlich im | |
Bereich Umweltschutz oder Arbeitsrecht. | |
Interview:KLU | |
Vortrag von Maximilian Pichl: 18 Uhr, im Rechtshaus, Rothenbaumchaussee 33 | |
10 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Kristiana Ludwig | |
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