# taz.de -- „Sich Zeit zum Denken nehmen“ | |
> GUTE VORSÄTZE In ihrer Theaterakademie-Abschlussinszenierung fragen sie, | |
> ob ausgerechnet der Müßiggänger Oblomow als Vorbild taugt: die | |
> Regisseur*innen Saskia Kaufmann und Raban Witt über Träume und Taten | |
Bild: Urvater aller Couch-Kartoffeln: Sein Leben verbringt der russische Adlige… | |
Interview Robert Matthies | |
taz: Frau Kaufmann, Herr Witt, haben Sie gute Vorsätze fürs kommende Jahr? | |
Raban Witt: Ich habe keine. | |
Saskia Kaufmann: Unter gar keinen Umständen mehr Frauenmagazine lesen, auch | |
wenn ich drei Stunden beim Arzt sitze. Und keine Facebook-Werbung, in der | |
es um Detox, Abnehmen und darum geht, wie „er“ mich attraktiver findet. Man | |
tut immer so, als lese man sowas ironisch, aber es frisst sich ins Hirn. | |
Und irgendwann hat man eine Sinnkrise und denkt: Ich könnte eine Detox-Kur | |
machen. | |
Der Protagonist Ihrer Inszenierung, der müßiggehende und tagträumende | |
russische Adlige Oblomow aus Iwan Gontscharows Roman von 1859, würde sich | |
Vorsätze machen, aber keinen davon umsetzen. | |
Kaufmann: Oblomow würde sich einen so großen, perfekten Neujahrsvorsatz | |
machen, dass er nicht mal damit anfangen kann. Es ist zwar eine Romanfigur | |
aus einer Zeit, in der die moderne Psychoanalyse noch gar nicht erfunden | |
wurde, trotzdem ist die Figur eine sehr präzise Beschreibung des | |
depressiven und neurotischen Charakters. | |
Witt: Er ist jemand, dessen Fantasie so groß ist, dass die Realität daran | |
nur scheitern kann. | |
Was ist an einer solchen Figur heute interessant? | |
Witt: Seine Lebensweise basiert darauf, dass er ein Adliger ist und lauter | |
Frauen um ihn herumschwirren. Aber ist er auch eine Gegenfigur zu einer | |
Gesellschaft, in der man gewohnt ist, sich selbst und andere daran zu | |
messen, was sie leisten. In einer besseren Welt müssten alle Oblomows sein | |
können. | |
Oblomows Gegenfigur im Roman ist sein Freund Stolz, der alles versucht, | |
damit Oblomow sein Leben in den Griff bekommt. | |
Kaufmann: Ob er sein Leben in den Griff bekommt oder nicht, genau darüber | |
kann man eben streiten. Oblomow selbst geht es eigentlich gut. Stolz hat | |
sein Landgut für ihn geregelt, Geld kommt regelmäßig rein. Für ihn selbst | |
ist der Plan, nichts zu tun, gut aufgegangen. Nur für Stolz ist er | |
gescheitert und verloren. | |
Die Frage ist also: Scheitern an was? An den Anforderungen der anderen, | |
aber nicht an den eigenen? | |
Kaufmann: Camus behauptet ja, wir müssten uns Sisyphos als einen | |
glücklichen Menschen vorstellen. Vielleicht wäre es richtiger, zu sagen: | |
Wir müssen uns Oblomow als einen glücklichen Menschen vorstellen. | |
Witt: Und Stolz ist eben eine Gegenfigur in dem Sinne, dass er der frühe | |
Bürger ist, der den Adligen beurteilt. Also jemand, der eigentlich | |
gegenwärtiger ist und besser in unsere Zeit passt. | |
Während Oblomow aus der Zeit gefallen ist, weil seine Lebensweise auf | |
Privilegien beruht, darauf, dass andere arbeiten. | |
Kaufmann: Es gibt natürlich heute auch Menschen, die so reich sind, dass | |
sie als Privatiers leben können und nichts mehr tun müssten. Aber es gibt | |
keine Gesellschaftsschicht, die heute noch stolz sagt: Ich arbeite nicht. | |
Es ist so etwas wie eine Religion geworden, dass jeder immerzu behaupten | |
muss: Ich bin die ganze Zeit am Ackern. Oblomow ist stolz darauf, niemals | |
gearbeitet zu haben. | |
Zugleich leidet er unter seiner Lethargie. Da trifft er sich mit dem | |
neoliberalen „erschöpften Selbst“, von dem der französische Soziologe Ala… | |
Ehrenberg sagt: Die Depression ist die Kehrseite der permanenten | |
Anforderung, sich selbst zu verbessern. | |
Witt: Oblomow lässt sich als Depressiver beschreiben und passt dann wieder | |
besser in unsere heutige Welt. Andererseits ist er aus der Zeit gefallen, | |
weil er ein Müßiggänger ist. Und Müßiggang ist ein altmodisches Wort, mit | |
gutem Grund. Anders als die Depression ist es ein erfülltes Nichts. Oblomow | |
ist jemand, der durchaus glücklich ist in seinem Zustand, bis ihm jemand | |
spiegelt, dass das etwas Falsches ist. Und dann fängt er an, sich | |
riesengroße Selbstvorwürfe zu machen. | |
Die Probleme fangen erst an, wenn es gilt, die eigenen Vorstellungen und | |
Wünsche in die Realität umzusetzen. | |
Witt: Stefan Zweig hat Oblomow einen Dichter genannt. Das passt gut: Er ist | |
ein Dichter, der nichts aufschreibt. | |
Ein Konzeptkünstler. | |
Kaufmann: Es hat viel mit Kunst zu tun, weil Oblomow jemand ist, der mit | |
seinen Fantasien und diesem Entfliehen über die bestehende Welt | |
hinausweist. Er bleibt nicht dabei stehen, zu sagen: Das ist ein Stuhl, der | |
muss repariert werden. Sondern er denkt weiter: Wie müsste es eigentlich | |
sein? | |
Witt: Er versucht auch, diese Wünsche in die Realität umzusetzen. Aber er | |
schreckt immer an dem Punkt zurück, wo es so ernst werden würde, dass er | |
ahnt, dass er daran scheitern würde, weil die Realität immer zu klein ist. | |
Man kann ihn dann kritisieren, weil er keinen Realitätscheck macht. Aber | |
man kann es auch hochhalten, weil das jemand ist, der die Realität nicht | |
einfach akzeptiert, wie sie ist, sondern ihr einen anderen Maßstab | |
entgegenhält. Das berührt auch die Kunst, weil Kunst ihre eigenen Gesetze | |
hat und sich gegen die sonstige Welt behauptet. | |
Und darin wird er zu einem möglichen Vorbild für uns? | |
Kaufmann: Er stellt oft die Frage, wie man denn leben soll, und stellt | |
fest, dass das doch nicht das Leben sein kann, immerzu einem Ziel | |
hinterherzurennen. Und da hat er auch utopisches Potenzial. Er hört aber | |
eben auf, diese Frage stellen, wenn es um Frauen geht und Menschen, die | |
nicht seiner Klasse entsprechen. Die Frage, wie es uns gehen soll, bezieht | |
sich nur auf eine kleine Schicht. | |
Welchen Vorsatz müsste man sich also mit Oblomow für 2017 machen? | |
Kaufmann: Öfter mal nein sagen. | |
Witt: Sich verweigern, nicht tun, was einem gesagt wird. Sich die Zeit zum | |
Denken nehmen. Und sich nicht mit der kapitalistischen Realität abfinden. | |
Fr, 6. 1., bis So, 8. 1., 20 Uhr, Kampnagel | |
31 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |