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# taz.de -- Querschnittsgelähmter Skispringer Müller: „Hey, Luki, machst �…
> Seit einem schweren Sturz beim Skifliegen ist Lukas Müller
> querschnittsgelähmt. Aber er kämpft sich mit viel Energie ins Leben
> zurück.
Bild: Lukas Müller 2012 in Vikersund
„Komm, lass uns noch rüber zur Weitsprunggrube gehen“, sagt Lukas Müller
und schiebt seinen Rollstuhl kräftig an. Dann greift er nach den beiden
Gehhilfen, die an der Lehne fixiert sind, und zieht sich an ihnen hoch.
Langsam geht der schlanke junge Mann über den weichen Sand Schritt für
Schritt vorwärts, dreht nach ein paar Metern um und strebt wieder Richtung
Rollstuhl. Als er sich hineinplumpsen lässt, strahlen seine Augen. „Es geht
schon ganz gut – aber es ist wahnsinnig anstrengend.“
Müller ist bei seinem täglichen Training in der Leichtathletikhalle des
Landessportzentrums Rif bei Salzburg. Auf der anderen Seite machen die
österreichischen Skispringer Stefan Kraft und Michael Hayböck Hocksprünge
über Hürden. Bis vor einem Jahr hat auch Müller in dieser Gruppe
mittrainiert.
Dazwischen liegt der 13. Januar 2016. Müller war als Vorspringer bei der
Skiflug-WM am Kulm eingesetzt. Bei eigentlich idealen Flugbedingungen
kippte der rechte Ski des dreifachen Junioren-Weltmeisters nach unten;
Müller drehte sich und schlug mit dem Rücken auf dem Sprunghügel auf. „Beim
Aufprall war mir klar, dass sich mein Leben verändert“, erzählt der
24-Jährige, der den Sturz bei vollem Bewusstsein mitbekommen hat. Es sei
gewesen, „wie wenn ein Kabel durchgeschnitten wird“. Die Ärzte
diagnostizierten eine inkomplette Querschnittslähmung. Seitdem kämpft Lukas
Müller um seine Rückkehr ins normale Leben.
Peter Schröcksnadel, der Präsident des Österreichischen Skiverbands, hat
ihm versichert, dass ihn der Verband bei dieser Rückkehr unterstützen wird.
Deshalb lebt Müller, der aus Spittal an der Traun in Kärnten stammt, in der
Sportschule Rif. Dies ist nicht nur wegen der Trainings- und
Rehamöglichkeiten ganz wichtig für den jungen Mann, sondern auch wegen des
regelmäßigen Kontakts zu seinen ehemaligen Trainingskollegen. „Das zeigt
mir, dass ich immer noch Skispringer bin“, sagt er mit einem Stolz in der
Stimme, der nicht zu überhören ist, „das ist für meinen Kopf gut.“
## Wieder einen 200er zerstört
Warum er gestürzt ist, darüber gibt es viele Theorien. Wahrscheinlich hat
sich eine Schnalle seines Sprungschuhs gelöst. „Es war eine Verkettung
unglücklicher Umstände“, sagt Müller. Punkt. Mehr will er darüber nicht
sagen. „Was bringt’s mir, wenn ich darüber nachdenke, wie es wäre, wenn �…
Kurze Pause. Dann setzt er wieder an. Und seine nächsten Worte verstören
den Zuhörer: „Ich habe mich geärgert, dass ich mir wieder einen 200er
zerstört habe.“ Viermal sei er über diese Marke von 200 Metern geflogen.
Der Unglückssprung hätte sein fünfter werden können. „Trotz Sturz war ich
158 Meter weit“, sagt er.
Auf einmal wandern Müllers Augen zur Seite. Die ehemaligen
Skisprungkollegen haben ihr Training beendet, schauen noch einmal bei ihrem
Kumpel vorbei. „Hey, Luki, machst ’ne Extraschicht?“, fragt Stefan Kraft,
Sieger der Vierschanzentournee, und klatscht ab. Dann verschwinden sie –
und der Mann im Rollstuhl blickt ein wenig traurig hinterher.
Wehmut ist allerdings nicht das Ding von Lukas Müller. Er sprüht geradezu
vor Optimismus und schaut viel lieber nach vorn als zurück. „Es ist
beeindruckend, zu sehen, mit welchem Enthusiasmus und Ehrgeiz Lukas
arbeitet und mit welch positiver Einstellung er die Situation angenommen
hat“, sagt Olympiasieger Thomas Morgenstern. Dabei weiß auch er: „Ob er je
wieder normal wird gehen können, ist fraglich.“
Das kann auch Müller nicht sagen: „Es gibt keine Prognose, jeder
Querschnitt ist anders.“ Sein großes Ziel ist eine größtmögliche
Selbstständigkeit. Auf dem Weg dorthin muss er einiges lernen. Zuerst
Geduld. Alles geht langsamer, das fängt schon beim Anziehen an. Zur
Demonstration zieht er seine lange Trainingshose hoch. „Siehst, da streckt
sich mein Bein, ohne dass ich es will.“ Es ist ein Reflex, den er nicht
steuern kann. Das ärgert ihn.
So tragisch das Schicksal es mit Lukas Müller gemeint hat, er will die neue
Situation nutzen. Damit meint er vor allem die öffentliche Aufmerksamkeit,
die er bekommt. Darin ist er sich auch mit Kira Grünberg einig. Auch die 23
Jahre alte ehemalige Stabhochspringerin ist nach einem Trainingssturz
querschnittgelähmt. „Ein Querschnitt ist kein Grund zu verzweifeln“, sagt
Müller. Grünberg: „Man kann im Rollstuhl ja fast alles machen wie ein
normaler Mensch, und ich habe wunderbare Momente im Rollstuhl erlebt.“
## Je normaler, desto besser
Je normaler das Umfeld mit einem querschnittgelähmten Menschen umgehe,
meint Müller, „desto geiler ist das Leben“. Als gutes Beispiel führt er
dazu seine ehemalige Skisprunggruppe an. Noch immer holten sie ihn abends
ab, um etwas zu unternehmen. Und künftig wird er noch selbstständiger, wenn
er sein eigenes Auto mit Handsteuerung hat. Und mit Standheizung, „denn
Scheiben kratzen kann ich nicht“.
Nicht nur über seine Kumpels im Trainingszentrum Rif will Müller den
Kontakt zum Skispringen aufrechterhalten. „Ich habe keine Angst vor
Schanzen.“ Deshalb besuchte er den Sommer-Grand-Prix in Hinzenbach. Auch
bei der Vierschanzentournee will er dabei sein. „Es ist bemerkenswert, wie
er kämpft und alles gibt, um aus dem Rollstuhl herauszukommen“, sagt der
deutsche Bundestrainer Werner Schuster. „Ich hoffe, dass er den Weg Schritt
für Schritt weitergeht und in ein normaleres Leben zurückkommt“, sagt der
deutsche Springer Andreas Wellinger. Dazu beitragen soll neben einer
Ausbildung zum Wertpapiervermittler auch der Trainerschein, den er
anstrebt.
Lukas Müller schiebt seinen Rollstuhl wieder kräftig an. An der
Weitsprunggrube fährt er vorbei in Richtung Zimmer. Nach der anstrengenden
Trainingseinheit braucht er Ruhe.
22 Dec 2016
## AUTOREN
Klaus-Eckhard Jost
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