# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Senegal: Seepferdchen gegen Migranten | |
> Vor 10 Jahren etablierte die EU-Agentur FRONTEX ihr erstes Büro in einem | |
> Drittstaatenland und verschloss den Seeweg nach Spanien. Jetzt soll die | |
> senegalesische Diaspora investieren und den Aufschwung bringen. | |
Bild: Senegals Präsident Macky Sail ist ein gern gesehener Partner in der EU | |
Abuja taz | Einst verstörten angeschwemmte Tote die Strandurlauber auf den | |
Kanarischen Inseln. Zur gleichen Zeit, im Jahr 2006, eröffnete Frontex sein | |
erstes Büro in Westafrika in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Im Jahr | |
zuvor waren die Grenzen zu den spanischen Exklaven in Marokko verschlossen | |
worden, nun wurden neue Routen über den atlantischen Ozean versucht. | |
2006 registrierte die EU-Grenzagentur Frontex Fahrten von 901 Booten mit | |
35.490 irregulären Migranten. 5000 Westafrikaner hätten sie davon | |
abgehalten, die gefährliche Überfahrt nach Spanien anzutreten. Ein Jahr | |
nach Eröffnung des Frontexbüros in Senegal berichtet der senegalesische | |
Innenminister Ousmane Ngom, dass nur noch 101 Kanus mit 450 Menschen an | |
Bord vor der senegalesischen Küste von den Patrouillen identifiziert | |
wurden. Die Westroute über den atlantischen Ozean war nahezu unüberwindbar | |
geworden. | |
Gefährliche Überfahrten hatte es schon im Mittelalter gegeben. Die Insel | |
Gorée, der senegalesischen Hauptstadt Dakar vorgelagert, ist eines der | |
berühmtesten Mahnmale gegen den Sklavenhandel. Die Region zwischen dem | |
Fluss Senegal und dem Fluss Gambia soll zwischen dem 17. und dem 19. | |
Jahrhundert 300.000 Menschen durch den transatlantischen Sklavenhandel | |
verloren haben. Da war der Transsahara-Handel, der seinen Ausgangspunkt im | |
nördlichen Bogen des Flusses Senegal hatte, bereits im Niedergang. | |
Heute ist der Senegal von Landflucht geprägt. Landraub für Zucker und | |
Biodiesel, Verödung des Bodens durch das Voranschreiten der Wüste und die | |
Austrocknung der Senegal-Flussebene lassen die Jugend in die Städte ziehen. | |
Die meisten schaffen es nicht, sich der Diaspora in Frankreich | |
anzuschließen und stranden in der Hauptstadt Dakar. Die Unzufriedenheit | |
über die Chancenlosigkeit der Jungen brachte 2011 die Bewegung „Y’en a | |
marre“ (Wir haben die Nase voll) hervor und einen senegalesischen Frühling, | |
der zum Ende der Herrschaft des 90-jährigen Regenten Abdoulaye Wade führte. | |
Macky Sall wurde 2012 mit Hilfe dieser Jugend zum Staatsoberhaupt gewählt. | |
Er brachte viele Reformen, einen progressiven Gesellschaftsvertrag als | |
Basis für die Transition des Senegals in eine gerechtere Gesellschaft und | |
auch Transparenz in den ungeheuren Reichtum, den Wade und seine Familie | |
angehäuft hatten. Wirtschaftlich ist der Aufschwung jedoch ausgeblieben. | |
## Mehr kommen, als gehen | |
Der Senegal gilt in Deutschland als sicheres Herkunftsland. Dies heißt, | |
dass Asylanträge von Senegalesen als offensichtlich unbegründet betrachtet | |
werden und dorthin abgeschoben werden kann. 2015 sind 13.558 Menschen aus | |
dem Senegal weggegangen und haben einen Asylantrag in anderen Ländern | |
gestellt. Die häufigsten Aufnahmeländer davon waren Italien, Brasilien und | |
Deutschland. Insgesamt wurden 94 Prozent der Asylanträge abgelehnt. Am | |
erfolgreichsten waren hierbei noch die Asylbewerber in Mauretanien und in | |
Marokko. Dennoch ist die Migrationsrate laut OECD (Organisation für | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 2015) negativ. Die | |
Zuwanderung aus der Region gleicht die Abwanderung mehr als aus. Außerdem | |
haben 14.000 Flüchtlinge aus Mauretanien im Norden und Nordosten Senegals | |
Zuflucht gefunden, die vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR)versorgt werden. | |
Bevorzugte europäische Zielländer für senegalesische Migranten sind | |
Frankreich, Spanien und Italien. Die meisten Rückführungsentscheidungen hat | |
2015 Frankreich getroffen (ca. 2340) gefolgt von Spanien (ca. 1190) mit | |
einer Rückkehrrate von 24,5 Prozent beziehungsweise 26,4 Prozent, und | |
Italien (ca. 1050) mit einer geringeren Rate von 5,7 Prozent. | |
Das senegalesische Außenministerium hat als Antwort auf die Migrationskrise | |
einen nationalen Aktionsplan 2015 – 2018 entwickelt. Dabei soll die | |
Diaspora mit einbezogen werden. Über die gibt es sehr unterschiedliche | |
Angaben. Die Vereinten Nationen gehen für 2013 von drei bis vier Millionen | |
Auslandssenegalesen aus. Davon seien 650.000 über die Botschaften erfasst. | |
170.000 Senegalesen seien allein Mitte bis Ende der 1990er Jahre | |
ausgewandert. Einig ist man sich in der Zielregion der Migranten. Etwa 55 | |
Prozent finden sich in West- und Zentralafrika, und knapp die Hälfte in | |
Europa und den USA. | |
Der Nationale Aktionsplan ist inhaltlich in Übereinstimmung mit dem Cotonou | |
Abkommen aus dem Jahr 2000, das Entwicklungszusammenarbeit an Migration | |
und, im Artikel 13, an die Rückkehr irregulärer Migranten geknüpft hat. | |
Dieses Abkommen, von Senegal wie den anderen 15 Ländern der | |
Westafrikanischen Wirtschaftsunion ECOWAS unterzeichnet, bildete die | |
Grundlage für den Rabat-Prozess, in dessen Rahmen konkrete bilaterale | |
Abkommen zur Rückführung geschlossen werden. | |
## Finanzkrise und Fluchtbewegung | |
Im gleichen Jahr, 2000, hat Senegal auch die Konvention gegen | |
Transnationale Kriminalität unterschrieben, die als Palermo-Protokoll | |
besser bekannt ist. Drei Zusatzprotokolle regelten in den Folgejahren die | |
Obligationen der Unterzeichnerländer bezüglich Menschenhandels, Menschen- | |
und Waffenschmuggels. Der Senegal hat die Dokumente in die nationale | |
Gesetzgebung integriert. | |
Das Abkommen von Cotonou, das Palermo-Protokoll und der folgende | |
Rabat-Prozess bilden den Rahmen für bilaterale Abkommen, die Senegal | |
zunächst mit Spanien geschlossen hatte. 2006, als die internationale | |
Finanzkrise sich abzuzeichnen begann, mehrten sich die gefährlichen | |
Überfahrten von Senegal nach Spanien, vor allem zu den Kanarischen Inseln. | |
Etwa die Hälfte der Menschen auf diesem Route waren Senegalesen, der Rest | |
Westafrikaner, denen der Weg über Marokko versperrt blieb. | |
Dem greisen Staatspräsidenten Abdoulaye Wade mangelte es an politischen | |
Initiativen, er verließ sich auf die Frontex-Operationen. Senegal und | |
Spanien vereinbarten eine Übereinkunft (Memorandum of Understanding) über | |
gemeinsame Grenzkontrollen, die Präsenz von Interpol-Verbindungsoffizieren | |
aus verschiedenen europäischen Ländern und die Implementierung des | |
regionalen „Sea Horse Project“ (Projekt Seepferdchen). An der Aktion | |
Seepferdchen nehmen Kap Verde, Mauretanien, Marokko, Portugal und Spanien | |
teil, die ein verbessertes Grenzmanagement durch operationelle | |
Zusammenarbeit umsetzten. Dazu gab es Training und Unterricht in Sachen | |
international bewährter Verfahren zur Grenzsicherung. | |
## Pushback und Abschiebungen | |
Im Sommer 2006 startete dann die „Operation HERA“ von Frontex. Bilaterale | |
Abkommen zwischen Frontex und Spanien, Senegal und Mauretanien ermöglichte | |
die 3,5 Millionen Euro teure Aktion. Laut Frontex wurden zwischen Juni und | |
Oktober 2006 von 18.987 illegalen Immigranten 6.076 von den spanischen | |
Behörden zurückgeschoben. Hubschrauber und Schiffe von Frontex übernahmen | |
die Kontrolle und drängten die Boote zur Rückkehr. | |
Im Dezember 2006 schloss Senegal noch ein weiteres Abkommen mit Spanien ab, | |
das Abkommen zur Verhinderung von Auswanderung unbegleiteter | |
senegalesischer Minderjähriger, inklusive ihres Schutzes, Rückführung und | |
Reintegration. Darin wurde festgelegt, dass Minderjährige zurückgebracht | |
und ihren Familien oder anderen zuständigen Einrichtungen zugeführt werden. | |
Zusätzlich gibt es ein Rücknahmeübereinkommen mit Mali für Opfer von | |
Kinderhandel. Ein ähnliches wird mit Guinea-Bissau verhandelt | |
In der Tat hat die senegalesische Gesellschaft ein Problem mit | |
Minderjährigen und Kinderhandel. Traditionell werden männliche Kinder im | |
Alter von sieben bis neun Jahren in Koranschulen unterrichtet. Teil der | |
Erziehung zu Demut und Genügsamkeit ist das Erbetteln von Unterstützung zum | |
Lebensunterhalt. Viele Kinder werden ausgenutzt, ohne dass ihre Eltern es | |
wissen oder intervenieren würden. Tausende von Kindern werden so zu an | |
Sklaverei erinnernde Arbeiten gezwungen. Immer wieder werden ganze Gruppen | |
von Kindern regelrecht verkauft, nach Europa aber auch in Richtung der | |
Golfstaaten. Darunter befinden sich auch Kinder aus den Nachbarstaaten | |
Mauretanien, Mali und Guinea-Bissau. | |
## Bilaterale Abkommen mit Frankreich | |
Um Migration zu regulieren, hatte der Senegal außerdem in den frühen 2000er | |
Jahren noch ein Abkommen mit Spanien über Saisonarbeiter geschlossen. | |
Dieses wurde aber 2008 eingestellt. | |
Die wohl umfassendsten Regelungen zur Regulierung von Migration hat | |
Frankreich mit dem Senegal vereinbart. Die Konvention über Aufenthalt und | |
Migrationsbewegungen (1995), eine Vereinbarung über den Austausch von | |
jungen Berufstätigen (2001) sowie die Vereinbarung bezüglich des | |
gemeinsamen Umgangs mit jungen Migranten (2006, revidiert 2008). War in dem | |
Abkommen von 2001 noch eine Quote von 100 Personen vorgesehen, beinhaltet | |
das 2006er Abkommen bereits Rückkehranreize und die Einbeziehung der | |
senegalesischen Diaspora. Für Senegalesen gibt es nun eine Liste mit 105 | |
Berufen, die für Senegalesen frei zugänglich sind und nicht dem | |
Eingangstest der Arbeitsbehörden unterliegen. Im Gegenzug ist zum einen die | |
Diaspora aufgefordert, sich für die Entwicklung des Senegals zu engagieren | |
und zum zweiten der Senegal verpflichtet, eine Kooperation im gemeinsamen | |
Grenzmanagement sowie ein Verfahren zur Rücknahme von irregulären Migranten | |
zu etablieren. Dazu gibt es Fonds für Entwicklungsprojekte. | |
Die Europäischen Behörden sind jedoch laut einem internen Papier (Non-Paper | |
der EEAS 6472/16) mit der Umsetzung der Abkommen unzufrieden. Auch Italien | |
versuche eine entsprechende Absichtserklärung mit Senegal zu verhandeln, | |
bisher aber ohne Erfolg. Belgien habe ebenfalls ein bilaterales Protokoll | |
in den Senegal geschickt, aber bisher darauf keine Antwort erhalten, heißt | |
es in dem Papier. | |
## Ersatzpässe von Drittstaaten | |
Dieses interne, nicht-offizielle Papier wurde von der Europäischen Union im | |
Rahmen ihres EU-Aktionsplans zur Rückführung (September 2015) verfasst. | |
Darin werden Strategien aufgelistet, wie Senegal dazu gebracht werden kann, | |
ein Rückführungsabkommen zu unterzeichnen. Bezüglich der möglichen | |
Verhandlungen führt das Papier aus, dass der senegalesische Präsident Macky | |
Sall sich persönlich für den Europäischer Partnervertrag engagiere und der | |
Senegal ein vertrauenswürdiger Hauptpartner in der Region sei. | |
Macky Sall sei treibende Kraft im Rabat-Prozess und habe eine aktive und | |
konstruktive Rolle beim Migrationsgipfel in Valletta gespielt. Er stehe | |
ebenfalls voll hinter dem Cotonou Agreement. Ein technisches Arbeitstreffen | |
über das Rückkehr- und Rückführungsabkommen im Oktober 2015 sei sehr | |
ermutigend verlaufen, auch das EU- Laissez-Passer sei angesprochen worden. | |
Ein Laissez-Passer ist ein Reiseersatz-Dokument, das normalerweise | |
Botschaften ausstellen, wenn der Pass abhandengekommen ist. Das EU | |
Laissez-Passer wird aber nicht von Behörden des Heimatlandes ausgestellt, | |
sondern den Behörden des Aufenthaltslandes. Auf welcher juristischen | |
Grundlage eine europäische Behörde die Amtsgeschäfte eines Drittlandes | |
übernehmen darf, wäre von den Gesprächspartnern dann dringend zu klären. | |
## Exporte gegen Rücknahme | |
Wie würde der Senegal nun von solch einem Deal profitieren? Zum 1. Januar | |
2014 erhielt das Land erleichterte Importbedingungen in die EU. Da Europa | |
der wichtigste Handelspartner Senegals ist, ist dieser Schritt sicherlich | |
von großer Bedeutung für die Wirtschaft, denn mit der Aufnahme in das | |
„Allgemeine System von Bevorzugungen“ entfallen Importzölle und –quoten … | |
Drittländern in die EU. | |
Der aktuelle Entwicklungshilfefond (2014 – 2020) beläuft sich bereits auf | |
347 Millionen Euro. Auch für die Förderung durch die Europäische | |
Investitionsbank komme der Senegal in Frage. 2015 hat Senegal zehn | |
Millionen Euro für humanitäre Hilfe erhalten. | |
Im Rahmen des Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika wurden bisher Projekte in | |
Höhe von 63 Millionen für den Senegal bewilligt. Darunter 3.000.000 Euro | |
für ein grenzüberschreitendes Projekt Mali-Senegal gegen Kinderhandel, das | |
die internationale NGO „Safe the Children durchführt“. Die französische | |
Entwicklungshilfeagentur ADF, die Luxemburgische Entwicklungshilfeagentur | |
LuxDev und die französische NGO „Frères des Hommes“ werden ein Projekt zur | |
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Förderung der Beschäftigung in Höhe | |
von 40 Millionen Euro umsetzen. Die spanische Entwicklungskooperation AECID | |
und das italienische Außenministerium geben weitere 30 Millionen Euro für | |
die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungsmöglichkeiten in | |
ländlichen Regionen mit hohem Migrationspotential und die französische | |
Agentur ADF noch einmal 16 Millionen. | |
## Hilfe gegen Kriminalität | |
Im Sicherheitsbereich profitiert der Senegal von der 41.6 Millionen Euro | |
teuren Projekt zum Aufbau der „Schnellen Eingreiftruppe Sahel“. In der | |
senegalesischen Hauptstadt befindet sich auch das Regionalbüro der Drogen- | |
und Kriminalitätsorganisation der Vereinten Nationen, die federführend das | |
Sahel-Programm gegen Terrorismus und grenzüberschreitende Kriminalität | |
sowie ein Unterstützungsprogramm für die westafrikanische Wirtschaftsunion | |
ECOWAS entwickelt. Die Organisation beschäftigt sich auch explizit mit | |
Kinderhandel und Menschenschmuggel. | |
Auch bei der Einführung biometrischer Ausweise ist der Senegal beteiligt. | |
Bereits 2006 war der erste elektronische Personalausweis eingeführt worden, | |
der nach 10 Jahren Gültigkeit in diesem oder nächsten Jahr ausläuft. Er | |
wird durch den biometrischen ECOWAS-Personalausweis ersetzt. Die Aktion | |
kostet, laut senegalesischem Innenministeriums, den senegalesischen Staat | |
13,8 Milliarden CFA (ungefähr 21 Millionen Euro). | |
Der Vertrag zur Erstellung der Ausweise mit der britischen Firma De La Rue | |
war 2014 aufgelöst worden, stattdessen drucke nun die indonesische Firma | |
Iris jetzt die Ausweise. Das panafrikanische Magazin Jeune Afrique | |
berichtet hingegen, dass das malaysische Unternehmen Iris Corporation | |
Berhad, den in Wirklichkeit 50 Milliarden CFA (76 Millionen Euro) schweren | |
Auftrag bekommen habe. | |
12 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Andrea Stäritz | |
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Schwerpunkt Flucht | |
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