# taz.de -- Sieg in Randbereichen | |
> RechtIm Urteil des Bundesverfassungsgerichts ging es nur um Probleme bei | |
> einzelnen AKWs. Der Atomausstieg war rechtmäßig | |
Bild: Das 2011 abgeschaltete AKW Krümmel in Geesthacht, Schleswig-Holstein um … | |
von Christian Rath | |
Der nach Fukushima beschlossene beschleunigte Atomausstieg ist „im | |
Wesentlichen“ verfassungskonform. Das entschied jetzt das | |
Bundesverfassungsgericht. Nur „in Randbereichen“ hatten die Klagen der | |
Atomkonzerne Erfolg. Ob sie am Ende eine Entschädigung erhalten, ist noch | |
völlig offen. | |
Der Ausstieg wurde schon im Jahr 2002 beschlossen. Damals handelte die | |
rot-grüne Bundesregierung mit den Atomkonzernen „Reststrommengen“ für AKWs | |
aus. Im Schnitt 32 Jahre sollten sie laufen dürfen. So wollte Rot-Grün | |
Entschädigungen vermeiden. 2010 verlängerte die schwarz-gelbe Koalition | |
dann die Restlaufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre pro AKW. Doch kurz | |
darauf kam es in Fukushima zur Reaktorkatastrophe. Ein Erdbeben und ein | |
Tsunami führten zur Kernschmelze, gewaltige Mengen Radioaktivität traten | |
aus. Drei Monate später nahm der Bundestag die verlängerten Laufzeiten | |
zurück. Zudem wurden sieben ältere AKWs und der Pannen-Reaktor Krümmel | |
sofort stillgelegt. Für die anderen neun Meiler wurden konkrete | |
Stilllegungsdaten festgelegt. Die Letzten sollen 2022 vom Netz gehen. | |
Gegen diese Gesetzesänderung erhoben die drei großen Energieversorger Eon, | |
RWE und Vattenfall Verfassungsbeschwerde. Die AKWs seien nach Fukushima so | |
sicher wie zuvor. Ohne Entschädigung sei der Schnellausstieg | |
verfassungswidrig. Der vierte Atomkonzern, EnBW, verzichtete auf eine | |
Klage, weil er als Staatsunternehmen keine Grundrechte geltend machen kann. | |
Auch bei Vattenfall, das Schweden gehört, war die Klagebefugnis fraglich. | |
Die Richter ließen die Klage aber zu, denn der schwedische Staat sei in | |
Deutschland machtlos. | |
Das Verfassungsgericht betonte, Atomenergie sei eine | |
„Hochrisikotechnologie“ mit „extremen Schadensfallrisiken“ und „bishe… | |
nicht geklärten Endlagerproblemen“. Der Atomausstieg sei daher eine rein | |
politische Entscheidung. Es habe genügt, dass die Atomwirtschaft nach | |
Fukushima neu „bewertet“ wurde, auch im Hinblick auf die Akzeptanz in der | |
Bevölkerung. Der Nachweis einer neuen Gefahrenlage für oder durch die | |
deutschen AKWs sei nicht erforderlich gewesen. | |
Der Atomausstieg von 2002 stand in Karlsruhe allerdings gar nicht auf dem | |
Prüfstand, weil die Konzerne nur gegen das Gesetz von 2011 geklagt hatten. | |
Es ging also nur noch um mögliche Eingriffe in die den Firmen gewährten | |
Reststrommengen. Dabei erklärte Karlsruhe die Laufzeitverlängerung von 2010 | |
für irrelevant. Denn dabei habe der Gesetzgeber nicht die Rechte der | |
AKW-Betreiber erweitern wollen. Vielmehr sei es nur um eine längere Nutzung | |
der Kernkraft als „Brückentechnologie“ gegangen. Die Laufzeitverlängerung | |
von 2010 durfte deshalb ohne Ausgleich zurückgenommen werden. | |
Nur die Nutzungsrechte aus den 2002 vergebenen Reststrommengen sah | |
Karlsruhe als verfassungsrechtlich geschützt an. Allerdings blieb nur das | |
Vattenfall-AKW in Krümmel mit 26,5 Jahren Laufzeit deutlich unter den | |
zugesagten 32 Jahren. Obwohl es wegen häufiger Stillstände einen schlechten | |
Ruf hatte, hielten die Verfassungsrichter die Schlechterbehandlung für | |
ungerechtfertigt, es habe keine konkreten Sicherheitsbedenken gegeben. | |
Für die Richter ist die frühe Stilllegung von Krümmel keine Enteignung, da | |
sich der Staat das AKW und seine Strommengen nicht aneignen wollte. Es habe | |
sich vielmehr um eine Inhaltsbestimmung des Eigentums gehandelt, die nur | |
ausnahmsweise zu entschädigen sei. Hier liege aber ein Ausnahmefall vor, | |
weil es nicht um die Art der Nutzung ging, sondern Nutzungsrechte ganz | |
entzogen wurden. | |
Ein Spezialfall war das RWE-AKW Mülheim-Kärlich, das nie ans Netz ging, | |
weil es in einem Erdbebengebiet gebaut worden war. RWE klagte damals und | |
erhielt in einem Vergleich Reststrommengen für das AKW. Diese Strommengen | |
konnte RWE nach dem Gesetz von 2011 auch nicht mehr vollständig in eigenen | |
AKWs nutzen. Bei RWE bleiben unter dem Strich vier Jahresstrommengen | |
ungenutzt, bei Vattenfall viereinhalb. Hierfür haben beide Konzerne | |
Anspruch auf Ausgleich. | |
Hinzu kommen möglicherweise noch sogenannte frustrierte Investitionen. | |
Gemeint sind damit Reparaturen, die nur im Vertrauen auf die im Jahr 2010 | |
gewährte Laufzeitverlängerung gemacht wurden. Die Unternehmen durften sich | |
damals zu solchen Reparaturen „ermutigt fühlen“ und genießen deshalb | |
Vertrauensschutz, so die Richter. Schutzwürdiges Vertrauen konnte | |
allerdings nur in dem dreimonatigen Zeitfenster zwischen 8. Dezember 2010 | |
(Beschluss der Laufzeitverlängerung im Bundestag) und 11. März 2011 | |
(Atommoratorium nach Fukushima) entstehen, so die Richter. | |
Entsprechende Ansprüche hatte Eon für die AKW Isar I und Unterweser geltend | |
gemacht sowie RWE für Biblis A. Ob die Ansprüche tatsächlich bestehen, ließ | |
Karlsruhe offen. Die Richter haben dem Bundestag nun drei Möglichkeiten | |
aufgezeigt, wie er bis Ende 2018 das Atomgesetz nachbessern kann. Erstens | |
könnte er den betroffenen Unternehmen eine Laufzeitverlängerung ihrer AKW | |
zubilligen. Zweitens könnte er Eon und EnBW verpflichten, die nicht | |
verstrombaren Reststrommengen von RWE und Vattenfall zu fairen Preisen | |
aufzukaufen. Drittens könnte den Unternehmen eine „angemessene“ finanzielle | |
Entschädigung aus dem Steuertopf zugesprochen werden, die aber hinter einem | |
vollen Wertersatz zurückbleiben darf. (Az.: 1 BvR 2821/11) | |
7 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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