# taz.de -- Dank großer Nachfrage erfolgreich | |
> Künstlerinnen Die Ausstellung „Fortsetzung folgt. 150 Jahre Verein der | |
> Berliner Künstlerinnen“ ist in der Camaro Stiftung in Räumen zu Gast, in | |
> denen einst der Erfolg des Künstlerinnenvereins begann | |
Bild: Lotte Laserstein (1929–1934 im VdBK), „Selbstbildnis an der Staffelei… | |
von Katrin Bettina Müller | |
Erst mal sehnt man das Meer herbei. Den Wind, der das Dünengras zaust und | |
die Kiefern biegt. Das Licht, das den Sand der Dünen rosig färbt. Das helle | |
Blau des Wassers, das durch die Bäume schimmert. Sie schmecken nach | |
Seeluft, nach Sommer und Stille, nach Aufbruch und Weite, die norddeutschen | |
Küstenlandschaften, die Molly Cramer, Ilse Jonas, Anna von Damnitz und Eva | |
Stort gemalt haben. | |
## Staunen über Unbekannte | |
Noch nie gehört von diesen Malerinnen? Das wird den meisten Besuchern der | |
Ausstellung „Fortsetzung folgt. 150 Jahre Verein der Berliner | |
Künstlerinnen“ so gehen. Und so ist das Erste, was man mitnehmen kann, die | |
Erkenntnis: Im Unbekannten kann viel Schönheit stecken. Nicht nur berühmt | |
gewordene Künstler waren gut. Die Landschaftsbilder, die Ende des 19., | |
Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden und jetzt in der Camaro Stiftung | |
einen großen Raum einnehmen, sind für den Verein der Berliner Künstlerinnen | |
(VdBK) denn auch wichtig als Beleg für die Qualität ihrer Mitglieder und | |
ihrer Mal- und Zeichenschule. | |
Sie zeigen die Nähe zum französischen Impressionismus und der | |
Pleinair-Malerei. Und in den teils ungewöhnlichen Perspektiven, wenn etwa | |
Molly Cramer von einem tiefen Punkt aus die Dünen hochblickt und Ungeduld | |
in jedem Pinselstrich vibriert, kündigt sich auch eine nervöse, expressive | |
Energie an. | |
In ebendiesen Räumen, in denen jetzt die Camaro Stiftung den Verein der | |
Berliner Künstlerinnen zu Gast hat, unterhielt dieser in seinen besten | |
Jahren eine Mal- und Zeichenschule (1893–1911). Das Haus im Hinterhof der | |
Potsdamer Straße 98A hatte der 1867 gegründete Verein schon Anfang der | |
1890er Jahre erbauen lassen, um dort Frauen, die noch bis 1919 nicht an | |
Kunstakademien zugelassen waren, im Zeichnen und Malen zu unterrichten. In | |
zwei Etagen lehrte das „Victoria-Lyceum für die akademische Weiterbildung | |
der Frau“, aus dessen Umfeld viele der Kunstfreundinnen kamen, die den VdBK | |
durch Kunstkäufe und Aufträge unterstützen. Sechs Ateliersäle, je 90 | |
Quadratmeter groß, 5,5 Meter hoch, hatte dieser in den oberen Etagen für | |
den Unterricht zur Verfügung. Und die Direktorin wohnte dort. | |
Die große Nachfrage an einem guten Unterricht für Frauen belegen einige | |
Zahlen: Zur Eröffnung der Schule gab es 400 Anmeldungen, die Lehrenden | |
waren teils aus der Novembergruppe und der Secession als progressive | |
Künstler bekannt. Als der Verein 1911 ein größeres Haus suchte und am | |
Schöneberger Ufer fand, waren unter seinen 290 Schülerinnen 49 angehende | |
Zeichenlehrerinnen. | |
Heute erstaunt vor allem, dass es dem Verein in kurzer Zeit gelungen war, | |
sich wirtschaftlich so gut aufzustellen. Hier setzte sich ein gut | |
etabliertes Bürgertum für die Förderung der Künstlerinnen ein, Werner von | |
Siemens gehörte dazu. Auch Kaiser Wilhelm kaufte Bilder dort. Dass auch das | |
repräsentative Porträt, die Salonkultur und die Historienmalerei von | |
einigen Gründungsmitgliedern gepflegt wurden, hat sicher die Anerkennung | |
erleichtert. | |
Zudem mag die politische Unterstützung des VdBK auch dazu gedient haben, | |
die Forderung der Zulassung zur Akademie aufzuschieben. Mit | |
Jahresausstellungen, aus denen verkauft wurde, und mit Kostümbällen, zu | |
denen nur Frauen kommen durften, machte der Verein einen Teil seiner | |
Einnahmen. Im großen Rechercheband „Profession ohne Tradition“, der zum | |
125. Jubiläum des Vereins erschienen ist, sah man Frauen als einen „Bund | |
Spargel“ kostümiert oder als Personal des Struwwelpeters. | |
Zu den bekannten Künstlerinnen des Vereins, die im Rückblick meist zuerst | |
genannt werden, gehören Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker. Für | |
Paula Modersohn-Becker, die als Malerin das Empfinden des Körpers visuell | |
so stark zum Sprechen bringen konnte, war der Unterricht im Aktzeichnen | |
enorm wichtig. Ausgestellt ist die Studie eines Aktmodells (von 1897/98), | |
ein Porträt eigentlich, das mit Schulter, Nacken und dem leicht gewendeten | |
Hinterkopf sehr viel erzählt über Nacktheit und Posieren, Entspannung und | |
Zu-sich-Finden. Es geht um Anatomie und genaues Sehen und zugleich um die | |
Überwindung dieser Übung, die Rekonstruktion von etwas von zugleich großer | |
Intimität und Sachlichkeit. | |
Eine Schülerin und spätere Freundin von Käthe Kollwitz war Sella Hasse, | |
deren Linolschnitt-Serie „Rhythmus der Arbeit“ von der körperlichen | |
Schwerarbeit erzählt, mit großer Wucht und großem Schwung. In einer Vitrine | |
liegt der Nachruf, den sie auf Käthe Kollwitz schrieb, und weitere | |
Dokumente der Freundschaft. Dort kann man auch Biografien der | |
Kunstfreundinnen lesen, deren gesellschaftliche Netzwerke und Kaufkraft | |
wichtig für den Verein waren. | |
## Aufwendige Rekonstruktion der Geschichte | |
Das setzt punktuelle Lichter auf eine Geschichte, deren Rekonstruktion vor | |
mehr als 25 Jahren begann. Angestoßen hatte die Arbeit Caroline Müller, | |
Galeristin und Vorstandsvorsitzende von 1990 bis 2010. Damals recherchierte | |
die Kunsthistorikerin Carola Muysers zusammen mit anderen erstmals | |
systematisch die Vereinsgeschichte, unterstützt von der Kultursenatorin | |
Anke Martini, in Vorbereitung einer großen Ausstellung in der Berlinischen | |
Galerie. Carola Muysers ist auch jetzt wieder Kuratorin, zusammen mit | |
Birgit Möckel. Der Rückblick endet 1945, in der Anpassung an die | |
nationalsozialistische Kulturpolitik verlor der Verein an Bedeutung. 2017 | |
werden drei Ausstellungen folgen, die Künstlerinnen aus der Gegenwart des | |
VdBK vorstellen. | |
Zunächst aber kann man noch viel Vergessenes entdecken. Wie zum Beispiel | |
die Tuschzeichnungen von Clara Siewert, darunter die Blätter „Modegöttin“ | |
und „Flucht“ von 1910. Die Figuren vergehen in einem Wirbel von Strichen, | |
Kratzern, Punkten, Flecken, ein mystisch flackerndes Dunkel entsteht aus | |
dünnen Linien. | |
Zwei kleine Skulpturen in der Ausstellung, von Sophie Wolff, sind | |
tatsächlich erst vor Kurzem aufgetaucht, entdeckt im Privatbesitz in | |
Kolberg, in einer Kommode im Keller. Der Finder nahm Kontakt zu Carola | |
Muysers auf, weil er hoffte, von ihr mehr über die Künstlerin zu erfahren. | |
Jetzt hat er das Skulpturenpaar, das eine kecke Sängerin und ihren breit | |
zurückgelehnten Verehrer zeigt, dem Verein für seine Ausstellung geliehen. | |
Die Bildhauerin hatte zusammen mit Käthe Kollwitz bei Auguste Rodin in | |
Paris studiert, und etwas von einer proletarischen Boheme haftet ihrem | |
Skulpturenpärchen an. | |
Arbeiten von 50 Künstlerinnen sind ausgestellt, von vielen würde man gern | |
auch mehr sehen. Dass man von einigen Künstlerinnen und dem Verbleib ihrer | |
Werke noch immer wenig weiß, wird der im Januar erscheinende Katalog | |
erzählen, unter anderem. | |
„Fortsetzung folgt!“ in der Camaro Stiftung, Potsdamer Straße 98A, Di.– … | |
13–17 Uhr, Mi. 13–20 Uhr, bis 24. März 2017. Katalog im Januar 2017 | |
1 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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