# taz.de -- Fusionsküche an Lebensläufen | |
> Ballhaus Naunynstraße Um Arbeitsplätze in der Gastronomie geht es in | |
> „Bloody, medium oder durch“ von Anestis Azas | |
In Abu Dhabi hat der Mathematiker und Erfinder Nizar Basal einen Rundofen | |
konstruiert, in dem 24 Kamele auf einmal gegrillt werden können. Auf den | |
Rost gehievt werden die toten Tiere per Kran. Während des Kriegs in Syrien | |
verlor Basal jedoch seinen Job – die Krösusse des Wüstenstaats wollten | |
nicht Gefahr laufen, dass ein Syrer Geld nach Hause beziehungsweise an die | |
falsche Adresse schickt. Was tun? Nach Syrien zurückzugehen war unmöglich. | |
Irgendwie hat er es nach Athen geschafft. Wer dort als Ausländer 250.000 | |
Euro in den Immobilienmarkt investiert, bekommt ein Schengen-Visum. Basal | |
hat zwei Wohnungen gekauft. Den Asylantrag stellte er dann in Deutschland, | |
wo er mit bis zu 4.000 Geflüchteten und Migrant*innen in Berlin Tempelhof | |
untergebracht ist. Ob der Qualität des Caterings dort meldete sich sein | |
Erfindergeist. Inzwischen leitet er eine Großküche im Camp mit 20 | |
Mitarbeiter*innen und erspart dem deutschen Staat damit, nach eigenen | |
Angaben, 16.000 Euro täglich. | |
Nizar Basal ist die schillerndste Figur in „Bloody, medium oder durch“, dem | |
neuen Dokumentarstück von Anestis Azas für das Ballhaus Naunynstraße. Auch | |
alle anderen sind Spieler*innen ihrer selbst. Ein Stück über die | |
„Restaurantküchen als Konzentrat aktueller gesellschaftlicher | |
Entwicklungen“ wurde angekündigt, das die Rolle von Tellerwäscher*innen in | |
den Fokus zu nehmen versprach. „3,50 Euro die Stunde“, dieses Statement | |
fällt in der Stückbeschreibung. Daran schießt die Inszenierung aber | |
haarscharf vorbei. | |
## Für Prominenz kochen | |
Mit Tellerwaschen kennt sich keiner der Alltagsprotagonisten wirklich aus. | |
Nicole Sartirani und Michail Fotopoulos kommen aus den kollabierenden | |
Kulturbetrieben Italiens und Griechenlands, die als Runnerin, | |
Senfgurken-Fabrikarbeiter und Pizza-Verkäufer gearbeitet haben, am | |
Mindestlohn (8,50 Euro) entlang bezahlt. Kaoru Iriyama kam als Stipendiatin | |
der Politikwissenschaften von Japan nach Deutschland und schlägt sich mit | |
einem exklusiven japanischen Catering durch. Und David Boylan ist ein | |
irischer Küchenchef, der in Berlin – the place to be – im Schichtbetrieb | |
für Prominenz kocht. | |
Es muss nicht verkehrt sein, dass dieses am Gastronomiebetrieb gepitchte | |
Soziogramm weniger investigative Intentionen hat, als es vorgibt. | |
Allerdings kommt die Reihung von Lebensläufen, die sich letztlich alle um | |
die Frage nach dem eigenen Platz in der Welt drehen, kaum übers Aufsagen | |
hinaus. | |
Die schmucklose Bühne mit Küchenrequisiten wirkt wie ein Rudiment aus Azas’ | |
Vorgängerinszenierung „Telemachos – Should I stay or Should I go?“. | |
Überhaupt scheint der Regisseur, der im (schlecht bezahlten) Hauptberuf | |
derzeit die Experimentalbühne des Nationaltheaters in Athen leitet und bei | |
allem Unterhaltungswert seiner Arbeiten auch scharfer Analyst ist, auf | |
Sparflamme zu kochen. Die Fragen, die sein Fusion-Cast aufwirft, werden | |
einfach untergerührt: Lifestyle und soziale Verantwortung, das Recht auf | |
den eigenen Lebensentwurf und „Failing States“, eine Prise | |
Steuerrechtliches. | |
Ein Restaurantwirt erklärt etwa per Video, dass die Gastronomie über | |
elektronische Abrechnungssysteme direkt an den Fiskus angeschlossen werden | |
solle. In Tourismusregionen (wie Berlin oder auch auf boomenden | |
griechischen Inseln) könnte das durchaus zu sozialer Gerechtigkeit | |
beitragen. Dokumentartheater hat das Zeug dazu, unterhaltsamer und | |
konfrontativer zu sein als eine Reportage. Azas köchelt aber diesmal nur. | |
Astrid Kaminski | |
Wieder am 11. und 12. 11., 20 Uhr; 13. 11., 19 Uhr | |
10 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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