# taz.de -- Bürgertum in Proletarierbuden | |
> Wohnen Der Werkbund präsentiert einen Vorschlag für ein Stadtquartier in | |
> Charlottenburg: 33 namhafte Architekten sollen 1.100 Wohnungen bauen. Der | |
> Haken: Die Dichte der Bebauung ist größer als erlaubt und erinnert an | |
> übelste Mietskasernen der Gründerzeit | |
Bild: Wo jetzt noch ein Tanklager rumsteht … | |
von Ronald Berg | |
Wie wollen wir wohnen? So lautete lange Zeit die Frage des Deutschen | |
Werkbundes (DWB). Der Werkbund – 1907 von Architekten, Intellektuellen, | |
Gestaltern und Industriellen gegründet – war lange Zeit so etwas wie das | |
Zentralkomitee des guten Geschmacks. Er sah sich selbst als Verkünder (und | |
Ermöglicher) der „guten Form“. Als Werbung für seine Anliegen veranstalte… | |
der Bund auch Bauausstellungen: Die berühmteste fand 1927 in Stuttgart | |
unter dem Titel „Die Wohnung“ statt. | |
Die dazu unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe errichtete | |
Weißenhofsiedlung besteht bis heute und kündet von den Ideen des Neuen | |
Bauens. Prominent wurde die Siedlung auch deshalb, weil Mies van der Rohe | |
seinerzeit die Crème de la Crème der Architekturavantgarde eingeladen | |
hatte. Le Corbusier, Hans Scharoun, er selbst und 14 weitere Architekten | |
bauten am Stuttgarter Weißenhof ihr Ideal eines so angenehmen wie praktisch | |
eingerichteten Lebens. Das Projekt bestand aus 21 Häusern mit 61 Wohnungen | |
auf 15.000 Quadratmetern. | |
90 Jahre später macht der Berliner Landesverband des Werkbundes einen | |
„Vorschlag“ für ein ideales Lebensumfeld. Diesmal lauten die Kennziffern: | |
33 Architekten sollen 39 Parzellen auf 29.000 Quadratmetern mit rund 1.100 | |
Wohnungen bebauen. Zu den Wohnnutzungen kommen in Erdgeschossen und „in | |
ausgewiesenen Bereichen“ noch gewerbliche Nutzungen. Der Bauplatz steht | |
schon fest: Es ist das bislang noch als Tanklager benutzte Areal zwischen | |
Quedlinburger Straße und der Straße am Spreebord direkt neben dem | |
(Heiz‑)Kraftwerk Charlottenburg. | |
Die bereits weit gediehenen Pläne und Modelle für die „WerkBundStadt“ | |
lassen sich im einzigen existierenden Wohngebäude auf dem Areal an der | |
Quedlinburger Straße noch bis Ende November besichtigen, begleitet von | |
einer Ausstellung zu sämtlichen Werkbundsiedlungen der Vergangenheit. Beide | |
Ausstellungen werden von gediegenen Katalogen begleitet. Und | |
Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) hat sich bereit erklärt, die | |
Schirmherrschaft für die WerkBundStadt zu übernehmen. | |
## Gegen die Vorschriften | |
Das hat mit dem großen Haken der geplanten Wohnungen am Kraftwerk | |
Charlottenburg zu tun. Denn die Idealstadt an der Spree widerspricht in | |
vielerlei Hinsicht geltenden Bauvorschriften. Allein die Dichte der | |
Bebauung ist doppelt so groß wie für Wohnbauten erlaubt. Sie entspricht – | |
man höre und staune – in etwa dem, was jenes üble Mietskasernen(un)wesen | |
der Gründerzeit mit seinen vielen Hinterhöfen ausmachte, das der Werkbund | |
einst überwinden wollte. Des Weiteren ist die unmittelbare Nähe zu einem | |
Kraftwerk – was Emissionen, Lärmschutz als auch die mögliche Gefahrenlage | |
bei Havarien der Anlage angeht – nicht bloß problematisch, sondern schlicht | |
gesetzlich verboten. | |
Die WerkBundStadt ist deshalb gleichsam die Probe auf ein neues | |
städtebauliches Paradigma, das sich die Bundesbauministerin unter dem | |
Etikett des „Urbanen Gebiets“ auf ihre Fahne geschrieben hat. In | |
innerstädtischen Arealen sollen zum Beispiel beim Wohnungsbau andere Regeln | |
gelten dürfen als auf dem platten Land oder in der Suburbia. Eine höhere | |
Dichte bei innerstädtischen Quartieren sei ohnehin geboten, heißt es im | |
Ministerium. Dafür muss nun Berlin als Argument herhalten, ist doch der | |
Zuzug in die deutsche Hauptstadt aus dem In‑ und Ausland ungebrochen und | |
das Bevölkerungswachstum stetig. | |
Höhere Dichte gleich weniger Fläschenverbrauch gleich besserer Umweltschutz | |
– so lautet die neue Rechnung von Barbara Hendricks. Auch steigt durch eine | |
dichtere Bebauung – etwa durch geringere Abstände beim Bauen oder höhere | |
Geschosszahlen – die Rendite, die der Eigentümer auf seinen Grund und Boden | |
erzielen kann. | |
Bewundernswert an dem Projekt ist das dafür entstandene Netzwerk, in dem | |
der Architekt und Werkbund-Vorsitzende Paul Kahlfeldt die Fäden zieht – | |
sozusagen als Spinne im Netz. Ihm ist nicht nur gelungen, die 33 | |
Architekten zu gewinnen, darunter so illustre Namen wie Hans Kollhoff, | |
Christoph Mäckler, Kleihues+Kleihues, Klaus Theo Brenner, Volker Staab und | |
Arno Brandlhuber. Mehr noch: Diese Diven der Branche einigten sich am Ende | |
tatsächlich auf ein Stück Stadt. | |
Ästhetisch verpackt werden soll die neue Idealstadt weitgehend in den | |
Formen des19. Jahrhunderts. Die WerkBundStadt mit ihren parzellierten | |
Blöcken, zwischen denen die Straßen laufen, sieht aus wie eine Neuauflage | |
jener gutbürgerlichen Wohnquartiere Charlottenburgs vom Ende des19. | |
Jahrhunderts. Das steile Dach ist Pflicht, wie das abgesetzte | |
Sockelgeschoss und der Backstein als Fassadenmaterial als Referenz an das | |
nahe Kraftwerk. | |
## Autos sind verpönt | |
Natürlich soll es in der WerkBundStadt von morgen keine licht‑ und | |
luftlosen Hinterhöfe mehr geben. Und auch Autos sollen den wenigen Platz | |
auf den Straßen zwischen den kompakten Blöcken bestenfalls zur | |
Warenanlieferung nutzen dürfen. Das Ideal der geplanten Stadt ist die Stadt | |
der kurzen Wege und der (gut‑)nachbarschaftlichen Beziehungen (natürlich | |
ohne Verlust von Privatsphäre). | |
Die WerkBundStadt ist mit ihrer Formensprache geradezu Ausdruck einer | |
retrograden Utopie, in der die Stadt zum Biotop einer bürgerlichen Klientel | |
gerät, wie sie rechts und links des Ku’damms zwischen Straßencafés und | |
Architekturbüros gelebt, ja fast schon zelebriert wird. Und im Grunde | |
genommen werden damit sämtliche Alternativen zur Stadt des 19. | |
Jahrhunderts, die der Werkbund in seiner Geschichte in diversen | |
Siedlungsplanungen vorgestellt hat, gleich mitkassiert. | |
Die Kehrseite der bürgerlichen Schaufassaden von einst waren aber die | |
tristen Hinterhöfe als Heimstätten des Proletariats, die selbstverständlich | |
nicht über jene Dienstboteneingänge und Mädchenkammern verfügten wie bei | |
den Herrschaften. Nun also soll der bürgerliche Look jener neu-alten | |
WerkBundStadt auch denjenigen mit dem „kleineren Geldbeutel“ zugute kommen, | |
wie Hendricks ihr Engagement für das Berliner Modellprojekt begründet. So | |
soll ein Drittel der 1.100 Wohnungen mietpreisgebundene Einheiten sein, die | |
sich auch die Mittelschicht leisten kann. Ob das allein durch private | |
philanthrope Investoren auf Dauer gelingt, ist indes höchst zweifelhaft. | |
In ihrem ästhetischen Ausdruck stellt die WerkBundStadt aber noch eine | |
andere Frage. Nämlich, ob der traditionell bürgerliche Lebensstil als | |
Idealform (etwa beim Wohnen) für unsere Gegenwart wirklich zeitgemäß ist. | |
WerkBundStadt Berlin: Präsentation der Entwürfe für die Bebauung des | |
Tanklagers Charlottenburg und Ausstellung „bauen und wohnen – die | |
Geschichte der Werkbundsiedlungen“. Bis 27. November | |
Werkbundhaus Werkstatthaus, Quedlinburger Straße 11, Donnerstag bis Sonntag | |
16–19 Uhr, www.werkbundstadt.berlin | |
8 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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