# taz.de -- Wo die wilden Katzen wohnen | |
> Blick von außenWas ist zu tun, wenn man einen verletzten Kater auf dem | |
> Bürgersteig findet? Man muss ins Tierheim in Falkenberg. Unsere dänische | |
> Gastautorin Henriette Harris hat sich auf den Weg gemacht – und den | |
> Heimat suchenden Tieren dort zugewandt | |
Bild: An so einem Cat Content kommt man doch gar nicht ungerührt vorbei: Auch … | |
von Henriette Harris | |
Vor sechs Jahren machte ich mit meinem Mann und unseren damals kleinen | |
Töchtern Urlaub auf der Insel Bornholm. Am ersten Nachmittag hörte ich im | |
Garten Miauen. Im Gebüsch saß ein winziges rot gestreiftes Kätzchen. Es war | |
voll mit Läusen, ziemlich verhungert, ungefähr fünf Wochen alt. Finn blieb | |
bei uns. Er wurde nach dem Eigentümer des Hauses, wo er gefunden wurde, | |
genannt. Die Mädels wollten ihn Garfield nennen. Kinder sind manchmal so | |
banal. Finn ist jetzt ein großer Berliner Kater. Auf Dänisch sagt man, dass | |
man nie Bäckerskindern Weizenbrot geben soll. Als gebürtiger Bornholmer | |
rührt Finn natürlich nie Fisch an. | |
Meine Tochter Rebekka kommt nach Hause. Sie erzählt, dass ein paar Häuser | |
weiter auf dem Bürgersteig eine Katze hinter einem Motorrad sitzt. Sie | |
findet ihr Benehmen komisch und will, dass ich runtergehe, um zu gucken. | |
Die Katze läuft nicht weg, knurrt aber, als ich sie streichle. Und sie | |
liegt merkwürdig auf ihrem Bein. Ich rufe unsere Tierärztin an. Ihre | |
Assistentin kommt mit einem Tragekasten. Die Katze versucht wegzulaufen und | |
man sieht deutlich, dass ihr Bein gebrochen ist. Mein Mann trägt die Katze | |
zur Tierärztin und die macht ihr einen Verband und gibt ihr ein | |
Schmerzmittel. Und stellt fest, dass es ein kastrierter Kater ist. Ob wir | |
mit ihm, so herrenlos, zum Tierarzt im Tierheim in Falkenberg als der | |
Anlaufstelle für Fundtiere fahren können? | |
## Mit dem Kater unterwegs | |
Ich war noch nie im Tierheim, Rebekka ist aufgeregt, die große Schwester | |
Franca kommt mittlerweile von der Schule und will auch mit, und bevor wir | |
losfahren, hängen wir Zettel mit einem Bild vom Kater in der Nachbarschaft | |
auf. Beim Aufhängen kommt Selma, eine Schulfreundin von Rebekka, vorbei. | |
Sie findet das alles spannend und will auch dabei sein. Wir fahren dann mit | |
drei Kindern, eins mit dem Kater im Tragekasten auf dem Schoß, los. Rebekka | |
hätte gerne 300 Euro eingesteckt. Sie will Kaninchen kaufen. Sie fehlen im | |
Haushalt, findet sie. Leider hatte sie nicht so viel Geld. Dass man da | |
sicher auch Kaninchen günstiger kriegt, erwähne ich nicht. | |
Das Tierheim kommt nach den Plattenbauten in Hohenschönhausen. Es ist weit | |
und der Kater jammert. Sein Bein tut wohl weh, und er hat Angst. Ich | |
erzähle der Frau hinter der Schranke, dass wir einen Kater mit gebrochenem | |
Bein, vielleicht von einem Fenster gefallen, vielleicht von einem Auto | |
überfahren, gefunden haben. Ich werde mit ostdeutscher Freundlichkeit | |
empfangen. „Hätten Sie nicht innerhalb von den Öffnungszeiten kommen | |
können?“, heißt es. Mit zwölf Jahren Ostberlin-erfahrung gelingt es mir | |
„Nein“ und „Ich kenne Ihre Öffnungszeiten nicht, ich bin gekommen, weil | |
meine Tierärztin mich darum gebeten hat“ im gleichen freundlichen Ton zu | |
antworten. | |
Wir übergeben den Kater zur Untersuchung und fahren nach Hause. Das | |
Tierheim selbst haben wir gar nicht gesehen. Auch keine Kaninchen. Die | |
Mädchen sind besorgt. „Und wenn die Besitzer sich nicht melden, können wir | |
ihn dann nehmen? Wird er sonst nicht eingeschläfert?“ Nein, sage ich, wir | |
haben schon Finn. Und nein, er wird operiert. Mein Mann schaut zu mir, als | |
ob ich eine Idiotin bin. Ich verspreche, nach ein paar Tagen anzurufen. | |
Zwei Tage später rufe ich nachmittags an und werde in die Tiersammelstelle | |
weitergeleitet. Ja, der Kater ist operiert worden und auf den Weg zur | |
Heilung. Mein Mann ist ein zynischer Mensch, denke ich. Nein, die Besitzer | |
haben sich nicht gemeldet. Morgen wird der Kater ins Tierheim gehen. „Und | |
dann kriegt er ein neues Zuhause“, sagt die nette Frau am Telefon. | |
Am gleichen Abend klingelt mein Handy. Eine Frau, die zwei Häuser weiter | |
wohnt, hat einen der aufgehängten Zettel gesehen. Es ist ihr Kater. Wir | |
brechen fast alle in Tränen aus. Ihr Sohn kommt vorbei. Der Kater heißt | |
Toto. Die Frau meldet sich am nächsten Tag wieder. Toto hat einen | |
komplizierten Beinbruch und muss eine Woche noch in der Klinik versorgt | |
werden. Dann hofft sie, dass er nach Hause kommen kann. | |
## Geschichte der Mauerhunde | |
Am Samstag gibt es eine öffentliche Führung im Tierheim, wo ich immer noch | |
nicht richtig war. Ich fahre hin. Diesmal mit den öffentlichen | |
Verkehrsmitteln, erst S-Bahn, dann weiter mit dem Bus. Das letzte Stück | |
spaziert man an einen Feld mit langhaarigen braunen Kühen vorbei. Das | |
Tierheimgelände ist schön mit Bäumen, Wasserbecken mit Enten, Springbrunnen | |
und viel Freiraum angelegt worden. Lisa begrüßt uns und erzählt, dass die | |
Führung ungefähr anderthalb Stunde dauern werde. Lisa ist jung und arbeitet | |
wie viele andere im Tierheim ehrenamtlich. Sie erzählt sachlich und | |
liebevoll. Auch viele interessante Geschichten. Zum Beispiel, dass es nach | |
1989 mehr als 2.000 heimatlose „Mauerhunde“, die die Mauer bewacht haben, | |
gab. Sie waren jetzt arbeitslos, und das Tierheim, damals in Lankwitz, hat | |
mehrere hundert davon aufgenommen, um neue Besitzer zu finden. | |
Ungefähr 20 Interessierte sind zur Führung gekommen. Ältere, Jüngere, | |
Kinder. Ich bekomme eine SMS von meinem Mann: „Soll ich ein Hühnchen fürs | |
Abendessen auf dem Markt kaufen oder nimmst du ein Kaninchen mit?“ Ich | |
überlege die Scheidung, schalte mein Handy aus und gehe ins | |
Bugs-Bunny-Haus. | |
Hier wohnen die Nagetiere. Es gibt Pia, Poco und Piri, drei | |
Meerschweinchen, die gefunden wurden. Es gibt das Kaninchen Luka, das | |
ausgesetzt wurde. Es gibt die zwei Zwergkaninchen: Tuffi, das wegen einer | |
Allergie in der Familie ins Tierheim musste, und Miss Marple, das aus | |
zeitlichen und finanziellen Gründe abgegeben wurde. Ein kleines Mädchen | |
schaut sich verliebt mit ihrer Oma Tuffi an. Das Kaninchen ist grau mit | |
langen Ohren. Gut, dass Rebekka nicht dabei ist. „Hättest du gerne ein | |
Kaninchen?“, frage ich das Mädchen. „Eigentlich hätte sie am liebsten ein… | |
Hund“, sagt die Oma. | |
Na, ist ja klar. Alle Kinder hätten am liebsten einen Hund. Und dann gibt | |
es Bob. Ein schwarzes Meerschweinchen mit offenen Wunden auf dem Rücken. | |
Abgabegrund: Sicherstellung. Was ist das? „Es kann mehrere | |
Sicherstellungsgründe geben. Wenn die Tiere bei ihrem Halter nicht richtig | |
gehalten wurden und zum Beispiel kein Futter, kein Wasser oder kein | |
Tageslicht bekamen. Ab und an melden sich dann Bekannte oder | |
Familienmitglieder, und wenn sich die Lage nicht verbessert, werden die | |
Tiere weggenommen“, sagt Lisa. | |
Allerdings darf nur das Veterinäramt Tiere sicherstellen. Das Tierheim | |
selbst nimmt keine Tiere weg. Auch Kaninchen Hanni ist weggenommen worden. | |
„Ich bin zahnkrank!“, steht in einer Sprechblase auf dem Glas, hinter dem | |
das Kaninchen sitzt. So wissen die möglichen neuen Besitzer, worum sie sich | |
kümmern müssten. Braucht ein Tier besondere tierärztliche Pflege bei einer | |
Krankheit, die es schon im Tierheim hatte, kriegt es sie frei beim Tierarzt | |
im Tierheim, solange es lebt. | |
Das gilt auch für Joker. Ein dicker weiß-grauer Kater im Garfield-Haus. Die | |
Glasräume, in denen die Katzen wohnen, sind niedlich eingerichtet mit | |
Kratzbäumen, Schlafkörben, leopardengemusterten Decken, Spielzeug und | |
anderem mehr. Die Katzen haben auch ein Außenbereich. Joker liegt gemütlich | |
am Fenster in einem Korb und wäscht seinen Bauch. Er hat Probleme mit der | |
Wirbelsäule, seine zukünftigen Besitzer aber brauchen deswegen keine extra | |
Kosten einzuberechnen. | |
Ein Paar mit britischem Akzent und zwei kleine Jungs schauen sich die Katze | |
Ella an. Ella ist ein Jahr alt, schwarz mit weißen Zehenspitzen und sehr | |
lebendig. Sie würde gut zurecht kommen in einer Familie, wo was passiert, | |
sagt die Tierpflegerin. Ella versucht ihr Bestes zu geben und spielt | |
begeistert mit einer Feder, die der eine Junge vor ihrer Nase hält. Manche | |
Katzen haben schon einen Paten. Der beteiligt sich an den Kosten für | |
Futter, Streu, medizinische Versorgung und Pflege und unterstützt damit die | |
Arbeit des Tierschutzvereins. Aber auch diese Tiere suchen immer noch ein | |
liebevolles Zuhause. | |
## Dankbar für Familie | |
Mehrmals bricht mir das Herz. Tommys Steckbrief erzählt von einem schwarzen | |
Schäferhund-Mix, geboren wahrscheinlich 2004. Seit 2010 lebt er im | |
Tierheim. Das sind sechs Jahre und die Hälfte seines Lebens. Ich frage | |
Lisa, ob es für solche Tiere nicht schwierig sei, die Umgebung zu wechseln, | |
wenn sie in eine Familie kommen. „Solche Tiere sind meistens noch | |
dankbarer, wenn sie eine Familie kriegen“, sagt sie und erklärt, dass | |
gerade schwarze Hunde Schwierigkeiten haben, ein neues Zuhause zu finden. | |
Weil manche Menschen glauben, dass sie gefährlicher seien. „Das“, sagt | |
Lisa“, „ist natürlich Quatsch.“ | |
Nach meinen Geschichten vom Tierheim würden die Mädels am liebsten direkt | |
dort hinfahren und Tommy, Joker und Bob aufnehmen. Aber erst warten wir auf | |
die gute Nachricht, dass der Kater Toto wieder wohlauf zu Hause ist. | |
Die Autorin lebt als Journalistin in Berlin und schreibt für dänische | |
Medien. Sie hat ein Buch über Berlin (auf Dänisch) geschrieben, aber die | |
Stadt ist für sie noch längst nicht auserzählt. In ihrer Serie „Blick von | |
außen“ schaut sie sich in loser Folge in Berlin um. | |
5 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Henriette Harris | |
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