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# taz.de -- Frau Karbe geht auf die Barrikaden
> Gekündigt Die Verdi-Jugendbildungsstätte in Konradshöhe soll im März 2017
> geschlossen werden. Die Gewerkschaft will die Immobilie verkaufen. 55
> Jahre politische Jugendarbeit sind damit bald Geschichte – und ein
> Dutzend Arbeitsplätze gefährdet
Bild: Noch arbeitet die „Verdi-Jugendbildungsstätte Berlin-Konradshöhe e. V…
von Lara Janssen
In dem Haus direkt am Havelufer hat Petra Karbe fast 13 Jahre gearbeitet.
Jetzt liegt der Köchin und alleinerziehenden Mutter von vier Kindern die
Kündigung auf dem Tisch. Denn die „Verdi Jugendbildungsstätte
Berlin-Konradshöhe“, in einem Ortsteil von Reinickendorf gelegen, wird zum
März 2017 geschlossen: Dem Trägerverein wurde von der Vereinten
Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) gekündigt, weil teure
Sanierungsarbeiten an dem Gebäude anstünden.
Der Verein soll in ein Jugendzentrum in Mitte umziehen und die Jugendarbeit
in kleinerem Rahmen fortführen: Ein Großteil der zwölf derzeit Angestellten
würden ihren Job verlieren. „Es ist eine bodenlose Frechheit“, sagt die
48-Jährige Karbe. „Verdi setzt sich lauthals schreiend für
gewerkschaftliche Solidarität ein, aber wir werden hängen gelassen.“ Verdi
wolle die Immobilie für einen mehrstelligen Millionenbetrag verkaufen. Von
11 Millionen Erlös ist die Rede.
## Von den Socken
„Die Kündigung hat uns völlig von den Socken gehauen“, sagt Karbe. Das
Gebäude wurde erst vor zwei Jahren saniert, insofern hätten die Beteiligten
nichts von einem drohenden Umzug geahnt. 400.000 Euro wurden bis 2013
investiert. Laut Verdi-Sprecherin Daniela Milutin seien die damals nötigen
Reparaturen erfolgt, um dem Verein einen Aufschub von wenigen Jahren zu
geben. Zudem wäre 2014 die Geschäftsführerin Sabine Weißer informiert
worden, dass eine Nutzung über 2016 hinaus nicht möglich sein würde.
Sabine Weißer widersprach dem öffentlich schon im August: Von einem Umzug
habe sie nichts gewusst. Auch der Initiator der Solidaritätsgruppe „Rettet
Konradshöhe“, Ulrich Dalibor, argumentiert so: Hätte Weißer früher davon
gewusst, hätte sie sich viel eher um die Zukunft der Stätte gekümmert.
Natürlich könne man den 60er-Jahre-Bau renovieren – vor allem eine
energetische Sanierung von Fassade und Fenster sei angebracht –, doch
derzeit spreche Verdi von einer nötigen Summe von rund 2,4 Millionen Euro.
Laut Dalibor, der sich auf ein von Verdi 2011 in Auftrag gestelltes
Gutachten beruft, sei das viel zu hoch: 2011 wurden 720.000 Euro
Gesamtbedarf errechnet. Außerdem seien die Maßnahmen weder sofort noch alle
auf einmal nötig.
Stattdessen werden Gerüchte laut, dass die Kündigung ausgesprochen wurde,
damit das Grundstück verkauft werden könne. „Es ist ein
Immobilien-Sahnehäubchen“, sagt Heiko Swieykowski, der sich in der
Solidaritätsgruppe engagiert. Verdi-Sprecherin Milutin möchte sich zu dem
Vorwurf nicht äußern: „Wir geben grundsätzlich keine Auskünfte über
Vermögenswerte und die Verwendung von Liegenschaften.“
Dabei gibt es die gewerkschaftliche Jugendbildungsstätte Konradshöhe
bereits seit 55 Jahren. Am 17. Juni 1959 legte Bürgermeister Willy Brandt
den Grundstein. Als sich 2001 fünf Gewerkschaften zu Verdi
zusammenschlossen, sollte die Konradshöhe zugunsten größerer Einrichtungen
aufgegeben werden. Doch letztlich beschloss der Verdi-Gewerkschaftsrat den
Erhalt der Stätte – seit 2003 unter der Führung des eigenständigen und
gemeinnützigen Vereins „Verdi Jugendbildungsstätte Berlin-Konradshöhe“.
„Sie jetzt zu schließen wäre eine Katastrophe“, sagt Swieykowski. Die
Jugendbildungsstätte leiste wertvolle Arbeit mit rund 17.000 Jugendlichen
im Jahr: Beispielsweise arbeiten derzeit jugendliche Geflüchtete ihre
Fluchtgeschichten mithilfe von Film und Fotocomics auf. „Gerade jetzt, wo
der Rechtspopulismus erstarkt und Arbeitsbedingungen in einer
globalisierten Welt unübersichtlicher werden, ist es wichtiger denn je,
politische Jugendarbeit zu fördern und junge Menschen für Gewerkschaften zu
begeistern“, sagt Swieykowski.
Die Konradshöhe sei dafür der ideale Ort: Auf dem weiten Gelände würden
sich die Jugendlichen wohlfühlen, sie können Lagerfeuer machen oder im
Sommer in der Havel baden. Das alles ginge bei einem Umzug nach Mitte
verloren. Außerdem stehe die Stätte finanziell gut da. Sie seien mit über
85 Prozent gut ausgelastet und finanzieren sich überwiegend selbst: über
Senatsförderung in Höhe von 160.000 Euro, Projektmittel und Vermietung der
Räume für Seminare und Tagungen. Verdi übernimmt lediglich die Miete.
## Landesverband für Erhalt
Der Verdi-Landesbezirk Berlin-Brandenburg brachte bereits einen Antrag für
den Erhalt der Konradshöhe im Verdi-Bundeskongress ein, der ihn
unbearbeitet auf den Gewerkschaftsrat übertrug. Dieser entschied, ihn
ebenfalls nicht zu behandeln, da der Antrag nur auf Berlin bezogen sei.
Auch Uwe Brockhausen, der bis letzten Donnerstag zuständiger Stadtrat für
Reinickendorf war, setzte sich für die Konradshöhe ein und richtete im März
ein Schreiben an den Verdi-Vorstand: Es blieb unbeantwortet. Als sich im
September ein Interessent meldete, der das Grundstück kaufen und die
Jugendbildungsstätte erhalten will, setzte er ein zweites Schreiben auf:
Erneut erhielt er keine Antwort.
Ungeachtet des Widerstands von allen Seiten fordert Verdi einen Umzug der
Jugendbildungsstätte. Laut Verdi-Sprecherin Milutin gibt es eine
Kooperation mit dem Jugendzentrum „Die Pumpe“ des
Arbeiterwohlfahrtverbandes in Mitte. Ab April 2017 solle der Verein
Konradshöhe seine Arbeit in den Seminarräumen der Pumpe weiterführen. Doch
die Pumpe hat bereits eine eigene Belegschaft. Somit ginge nicht nur ein
traditionsreicher Standort und die Arbeit mit den Jugendlichen in
Reinickendorf verloren, auch die meisten Angestellten, darunter Köchin,
Hausmeister und Büro- und Putzkräfte würden arbeitslos. „Wir werden weiter
kämpfen und auf die Barrikaden gehen“, sagt Karbe, „aber Geld scheint Verdi
wichtiger zu sein als die Jugend.“
1 Nov 2016
## AUTOREN
Lara Janssen
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