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# taz.de -- Predigen wie in einem Rausch
> Festival Das Monologfestival im Theaterdiscounter steht unter dem Motto
> „Aus Liebe zur Welt. Die Umordnung der Dinge“
Bild: „Situation mit ausgestrecktem Arm“ von Oliver Zahn
von Verena Krippner
„Willkommen am krisenhaften Ende der großen Krise … Willkommen in der
Buchstabensuppe, sie murmelt, und wir lauschen. Willkommen! Willkommen!
Willkommen!“ Dass ein Monolog von seinem Interpreten lebt, beweist Peter
Licht direkt am ersten Abend des Monologfestivals im Theaterdiscounter. Die
bildhaft-melancholischen Texte aus seinem Buch „Lob der Realität“ lassen
oftmals an ihrer Sinnhaftigkeit zweifeln. Er rattert sie rhythmisch
herunter, ruft sie euphorisch oder setzt zwischendurch gekonnt Pausen ein.
Und setzt so Pointen, die ein Leser allein vielleicht nicht begreifen kann.
Das vierte Monologfestival hat das Motto „Aus Liebe zur Welt. Die Umordnung
der Dinge“. Die rasanten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen
der vergangenen zwei Jahre haben das Konzept des Festivals beeinflusst. Die
insgesamt 16 Soloarbeiten greifen diese Veränderungen unterschiedlich auf.
Von Krisen handelt darunter nicht nur die Lesung mit Peter Licht. Die
serbische Performerin Dragana Bulut inszeniert sich als Lifecoach. Mit
Tanzelementen, gemimter Verzweiflung und Sprechchören, die das Publikum
übernehmen muss, treibt sie die Sitzung zur Farce. Die Selbstoptimierung
unter dem Titel „The Art Of Happiness“ entstellt sich selbst.
Die Gruppe „internil“ um den Regisseur Arne Vogelsang thematisiert dagegen
die Verschmelzung von Politik und Selbstdarstellung in ihrem
Multimedia-Stück „Aggroprolypse“. Es ist eine der zehn Premieren auf dem
diesjährigen Festival. Eine Projektion zeigt Menschen, die ihre Wut,
private Verzweiflung oder wirren Ideologien in selbst gedrehten Videos
öffentlich verbreiten. Marina Miller stellt die Monologe auf der Bühne
nach. Mit der Webcam streamt sie ihre Performance live auf Facebook. Die
Reaktionen in den sozialen Netzwerken sind Teil des Stücks: eine
Interaktion mit dem Internet. Auf der Wand hinter ihr sind immer wieder die
eigentlichen ProtagonistenInnen auf Facebook oder YouTube zu sehen. Es sind
Neonazis, EsoterikerInnen oder VerschwörungstheoretikerInnen, die ihre
Ansichten wie im Rausch selbstbewusst predigen. „Diese EU-Clique, was für
ein Abschaum“ – „Tut eure Frauen beschützen, wir brauchen euren Schutz�…
„Die Kirche ist Satan“: Ihre Selbstentblößung ist erschreckend, ihre
Aussagen bedrücken. Die öffentlichen Videos und Postings sind so skurril,
abwegig oder beschämend, dass „Aggroprolypse“ an einigen Stellen
unfreiwillig komisch wirkt. Die Projektion zeigt auch den animierten Kopf
der Performerin, der sich dreht und wendet, ihre Nase und Augen werden in
einem Programm leicht verändert: Der Monolog hat viele Gesichter.
Die inhaltlichen Überschneidungen zwischen den Soloarbeiten sind
offensichtlich. „Gebunden an ein Thema findet jede Arbeit ihre eigene
Ästhetik“, sagt Michael Müller, der zusammen mit Jannette Mickan das
Festival im Theaterdiscounter kuratiert. Dem Selbstgespräch ein zehntägiges
Forum zu widmen ist mutig, gilt der Monolog doch allgemein als verstaubt
und langweilig. Das bekam Müller oft zu hören, bevor das Festival 2007
seine Premiere feierte. „Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht“, sagt
der Leiter des Theaterdiscounters. „Eine Menge Monologisten fragte uns an.
Von Anfang an haben wir das Festival dialogisch gedacht. Es sind viele
Einzelstimmen, die sich nicht abstimmen. Uns interessieren dabei nicht die
Meinungen, sondern eher Haltungen. Positionen, mit denen man sich
auseinandersetzen kann.“
## Grenzen des Formats
In den nächsten Festivaltagen werden noch mehr dieser Positionen zu sehen
sein. Unter anderem mit Oliver Zahn. Er geht mit der Performance „Situation
mit ausgestrecktem Arm“ auf die Stilisierung einer einfachen, aber
belasteten Geste ein. Die Bedeutung des ausgestreckten Arms hat sich im
Laufe der Geschichte bis hin zur Instrumentalisierung durch das NS-Regime
mehrmals verändert.
Einen weiteren politischen Ansatz findet auch die Gruppe „MS Schrittmacher“
in der Soloperformance „UN Menschenrecht“ unter der Regie von Martin
Stiefermann. Sie stellt den international fehlenden Schutz vor Folter und
Gewalt an den Pranger. Die eingesprochenen Menschenrechtsartikel bilden mit
Sound und den Bewegungen von Performer Jorge Morro eine weitere vielfältige
Soloarbeit.
Die KünstlerInnen testen in ihren Aufführungen die Grenzen des
Theaterformats aus. Die eingesetzten Elemente aus Tanz, Video, Lesung und
Interaktion halten auf dem Monologfestival die Spannung aufrecht. Das Genre
zeigt sich dabei alles andere als verstaubt.
Bis 30. Oktober, Programm unter theaterdiscounter.de
27 Oct 2016
## AUTOREN
Verena Krippner
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