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# taz.de -- The Cure in Berlin: Rückkehr der Struwwelpeter
> Die Briten liefern bei ihrem ausverkauften Konzert Hits am laufenden
> Band. Viele der 17.000 Zuschauer dürfen sich noch einmal jung fühlen.
Bild: Noch einmal wieder jung sein
Wenn am späten Abend gegen Viertel nach elf in einer sterilen und
unwirtlichen Großraumhalle, in der Herzrasen via Laufschrift von einem
Energieversorgungsunternehmen präsentiert wird, überall getanzt wird, wenn
der alkoholisierte Jungpunk sich genauso zur Musik bewegt wie die lila
Stirnband tragende Ökomutti, der Ledermantelträger und die
Sitzplatznachbarin mit dem Afro, dann müssen die Popstars, die auftreten,
etwas bedeuten. Und sie müssen etwas Universales, etwas Zeitloses
vermitteln.
Es war die britische Band The Cure, die am Dienstagabend in Berlin
gastierte. Auf ihrer ersten größeren Europatour seit acht Jahren war es
Konzert Numero sieben. Ausverkauft, natürlich – 17.000 Besucher kamen, um
die Band, die seit 40 Jahren besteht, live zu sehen. Fans befürchten, es
könnte sich um die letzte Konzertreise der Musiker um Sänger und Gitarrist
Robert Smith handeln. Als das Quintett um 20.40 Uhr die Bühne der
Mercedes-Benz Arena betritt, stellt man fest, wie sehr sich The Cure die
Stilelemente der durch sie mitgeprägten Dark- und New-Wave-Ära in den
Outfits bewahrt haben: Smith steht immer noch da wie der Struwwelpeter des
Goth, ganz so, als habe sich seit dem Cover der „Boys Don’t Cry“-Remixe
Mitte der Achtziger nichts mehr getan: weites, schwarzes Hemd, schwarze
Röhrenhose, schwere Stiefel, die Gitarre baumelt an ihm herunter wie an
einem Kleiderständer.
Den vitalsten Eindruck hinterlässt Bassist Simon Gallup, der mit seinen 20
Zentimeter hochtoupierten schwarzen Haaren und in seinem Muscle-Shirt
direkt aus der Zeitmaschine gestiegen zu sein scheint. Er flitzt zwischen
seinen statisch wirkenden Kollegen ständig hin und her. Die ersten Songs
sind noch Warm-up, unter anderem mit „Fascination Street“ und „The Walk“
bestreiten The Cure Lockerungsübungen, ehe sie im Mittelteil die großen
Geschütze auffahren: „Boys Don’t Cry“, „High“, „Lovesong“ und �…
Heaven“ hintereinander weg. Welch Hitdichte! Es fallen einem wenige Bands
ein, abgesehen von den Beatles, die so viele Songs über Liebesleid und
Liebesglück komponiert haben – die von The Cure würden für fünf Leben
reichen.
Mehr und mehr Leute hüpfen durch die Gänge, sofern das Securitypersonal sie
tanzen lässt. Vergleichsweise lustlos kommen die Visuals im Hintergrund
daher. Bei „Friday I’m In love“ hüpft ein Comic-Herz, na gut. Während d…
Band „One Hundred Years“ spielt, einen Song über die Katastrophen des 20.
Jahrhunderts, sind fade Kriegsbilder zu sehen, sie könnten aus dem
Phoenix-Nachtprogramm geklaut sein. Beim Spiderman-Song „Lullaby“ taucht im
Hintergrund – Überraschung – ein Spinnennetz auf.
## Gut konservierte Stimme
Über den Abend hinaus wird zum einen die Stimme Robert Smith’ im Gedächtnis
bleiben, die sich erstaunlich gut konserviert hat. Smith, inzwischen 57,
improvisiert spielend mit den Stimmlagen – das hat man bei Künstlern, die
so lange im Geschäft sind, auch schon anders gehört. Zum anderen zeigt
Gallups großartiges Bassspiel auch, dass man The Cure zu sehr auf die
Person Smith reduziert. Mal klingt Gallup garstig, punkig, dann wieder legt
sich der archetypische, glasige Hall wie ein Tranquilizer über die Songs.
Nicht unterschlagen werden soll, dass auch Drummer Jason Cooper, Keyboarder
Roger O’Donnell und Gitarrist Reeves Gabrels routiniert zu Werke gehen.
In „Lovesong“ (1989) gibt es einige Zeilen, die das Konzert am besten auf
den Punkt bringen. „You make me feel like I’m young again“, heißt es da,
und „you make me feel like I’m fun again“. The Cure geben den meisten wohl
das zurück, was mal da war und was verloren scheint; sie kommen dabei ohne
Nostalgie und Kitsch aus. „Eine Stimmung wie im Fußballstadion“, wie sie es
so in dieser Halle noch nicht erlebt habe, meint eine Mittzwanzigerin mit
grünen Haaren und Tattoos bis zur Kehle. Bei „Close To Me“ ist noch mal die
ganze Halle auf den Beinen, es ist die inzwischen dritte Zugabe, bestehend
aus jeweils vier bis sechs Songs.
Um 23.19 Uhr ist Schluss. Smith verlässt als Letzter die Bühne. Langsam
schreitet er um die Monitorboxen herum und bedankt sich in alle Richtungen
des Saals. Was er dann noch sagt, kommt nach diesem Abend wirklich wie eine
frohe Botschaft rüber: „See you again.“
19 Oct 2016
## AUTOREN
Jens Uthoff
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