# taz.de -- Hausbesuch Ayşe Bosse ist Trauerbegleiterin – und spielt mit Uwe… | |
Bild: Refugium: Die Sommermonate verbringt Ayşe Bosse mit Mann und Kind in ein… | |
Von Jana Petersen (Text) und Simone Scardovelli (Fotos) | |
Zu Besuch bei der Autorin Ayşe Bosse in ihrem Wohnwagen am Falkensteiner | |
Ufer in Hamburg. Sie ist 1976 geboren. | |
Draußen: Der Campingplatz liegt zwischen Pappeln und Weiden, steil ragt der | |
mit Buchen bewaldete Falkenstein hinter den Wohnwagen hervor, grau und | |
sanft gleitet die Elbe der Nordsee entgegen. Von April bis Oktober leben | |
hier 50 Dauercamper, einer der Wohnwagen gehört Ayşe Bosse und ihrer | |
Familie, den siebten Sommer verbringen sie hier. Der Wagen steht direkt an | |
der Elbe, mit Blick auf die Inseln Schweinesand und die Flugzeugwerke von | |
Airbus, drüben in Finkenwerder. | |
Drinnen: Der Wohnwagen heißt Willi. Früher hatte er mal Wilk geheißen, aber | |
das Logo neben der Tür ist abgeblättert und nun steht da: Wili. „Wir fahren | |
raus zu Willi“, sagen sie, wenn es auf den Campingplatz geht. Er ist mit | |
dunklem Holzimitat ausgekleidet, herrlich abgeschrammelt. Hier eine | |
Schlafecke für Ayşe Bosse und ihren Mann, dort eine Koje für ihre Tochter. | |
Kochplatz mit Gasherd und Waschbecken. Pfeffer und Salzstreuer mit der | |
Aufschrift Yeni Raki („Die habe ich mal irgendwo mitgenommen“). Ein Foto | |
ihres verstorbenen Vaters, ein türkisches Nazar-Amulett aus Glas, eine | |
Schachtel mit dem Konterfei der Künstlerin Frida Kahlo ( „Meine Mutter | |
liebt sie“). | |
Ayşe: Viele Leben in einem hatte sie schon. Ayşe Bosse, Tochter eines | |
türkischen Arztes und einer deutschen Kindergärtnerin, aufgewachsen in | |
Frankfurt am Main, war: Model, Schauspielerin, Regisseurin, | |
Trauerbegleiterin. Und nun ist sie Autorin. Gerade kam ihr erstes | |
Kinderbuch heraus, „Weil du mir so fehlst“, ein Buch über das | |
Abschiednehmen. Sie ist Mutter einer 10-jährigen Tochter, verheiratet mit | |
deren Vater, dem Musiker Axel „Aki“ Bosse. „Wir haben Schwein gehabt“, … | |
sie. Im Freundeskreis seien sie die Einzigen mit Kind, die noch zusammen | |
sind. Blaue Augen hat sie, Sommersprossen, ihre türkische Familie stammt | |
vom Schwarzen Meer, es sind Lazen. „Die Ostfriesen der Türkei“, sagt Bosse. | |
Trauer: Sie, damals Schauspielerin, war auf der Suche nach Sinn gewesen. | |
Und fand ihn in einem Kinderhospiz. Zwei Jahre lang arbeitete sie dort | |
ehrenamtlich, begleitete Kinder in den Tod und deren Eltern und Geschwister | |
durch die Trauer. Dann starben innerhalb von sechs Monaten ihr Vater und | |
die beiden Jungs, die sie begleitet hatte. „Da brauchte ich erst mal eine | |
Pause.“ Die Kollegen im Hospiz inspirierten sie, weiterzumachen. Die | |
Angehörigen der verstorbenen Kinder hätten sie gemocht, ihre Präsenz, ihre | |
Ruhe. „Die Ayşe kann so gut zuhören“, hätten sie gesagt. Und Bosse | |
entschied: Nun bin ich für die da, die bleiben. Sie machte eine Ausbildung | |
zur Trauerbegleiterin. Als ihre Tochter sagte: „Mama, ich habe Angst, dass | |
ich Opa vergesse“, entschied sie, ihre Abschlussarbeit über kindliche | |
Trauer zu schreiben. | |
Tod: „Angst ist ein überflüssiges Gefühl, auch die Angst vor dem Tod.“ U… | |
damit meint sie die destruktive Angst, die lähmt, die nicht beschützt. Sie | |
selbst habe keine Angst vor dem Tod. Vielleicht hat das Verhältnis mit dem | |
Tod auch damit zu tun, wie viel Verlust man selber schon erlebt hat, sagt | |
sie. Ihre erste große Liebe starb, als sie Mitte zwanzig war. In ihrer | |
Ausbildung zur Trauerbegleiterin hatte sie in einem Sarg zur Probe gelegen, | |
ein geflochtener Weidenkorb war das. Die Beerdigung ihres Vaters in dem | |
kleinen Dorf an der Schwarzmeerküste beschreibt sie mit weicher Stimme. | |
„Man spürt sehr viel Leben in solchen Momenten.“ Sie lacht, als sie | |
erzählt, dass ihr verstorbener Vater damals seinen Anschlussflug in | |
Istanbul verpasst habe. Auf seinem letzten Flug habe er wohl noch mal eine | |
Extrarunde über den Bosporus drehen wollen. | |
Das Buch: Eigentlich war sie wegen einer anderen Buchidee im Carlsen | |
Verlag, sie wollte eine Geschichte über einen Hund auf St. Pauli schreiben. | |
Beim Abschied erzählte sie dem Lektor, dass sie darüber nachdenke, ein Buch | |
über das Trauern für Kinder zu schreiben. Zwei Tage später rief er an. „Das | |
machen wir. Sofort.“ Ein Jahr lang hat sie daran gearbeitet, hier im | |
Wohnwagen, konzipiert, geschrieben. „Kinder haben mit starken | |
Schuldgefühlen zu kämpfen“, sagt sie, „und in ihrer Fantasie wird alles | |
noch schlimmer.“ Mit dem „Weil du mir so fehlst“ will sie ermutigen, in d… | |
Trauer aktiv zu werden, die Machtlosigkeit zu überwinden. Dafür hat sie | |
Übungen, Spiele, Kochrezepte, Basteltipps in ihr Buch eingebaut, der Rahmen | |
ist die Geschichte eines Bären, der selbst trauert. „Trauer muss kein | |
lähmendes Gefühl sein“, sagt sie, „es kann ein kreativer Prozess sein.“… | |
Anfassen, das physische Begreifen, sei dabei ein wichtiger Teil. | |
Spielen: In Deutschland hatte sie kleinere Rollen fürs Fernsehen gespielt, | |
doch Karriere machte sie in der Türkei. „Bei der Passkontrolle am Flughafen | |
in Istanbul werde ich sofort erkannt.“ In der türkischen Liebeskomödie | |
„Entelköy Efeköy’e Karşı“ spielt sie eine deutsche Umweltaktivistin, … | |
sich mit einer Dorfgemeinschaft anlegt. Anfang 2016, Bosse hatte das | |
Spielen fast ad acta gelegt, bekam sie einen Anruf aus Worms. Ob sie bei | |
den Nibelungen-Festspielen mitspielen wolle, in dem Stück „Gold“ von Albert | |
Ostermeier. „Türkenconnection“, sagt Bosse: Der Regisseur Nuran David Calis | |
ist türkisch-armenisch-jüdischer Abstammung. Den Sommer verbrachte sie in | |
Worms, sechs Wochen Proben an der Seite von Uwe Ochsenknecht und Dominic | |
Raacke, dann 20 Tage am Stück Vorstellungen. | |
Das Türkische: Zu 70 Prozent fühle sie sich deutsch, sagt Ayşe Bosse, zu 30 | |
Prozent türkisch. Durch die Dreharbeiten in der Türkei hätte sie die | |
Sprache viel besser gelernt. „Die Türken mögen, wie ich spreche, mein | |
Türkisch klingt wohl wie Rudi Carrells Deutsch, irgendwie nett.“ Auch der | |
türkischen Mentalität habe sie sich angenähert, manchmal, sagt sie, fühle | |
sie sich nun dramatischer, intensiver. | |
Wie findet sie Merkel? | |
„Tja, was soll ich sagen. Angela Merkel ist eine Frau. Das reicht | |
vielleicht schon.“ In der ganzen Flüchtlingsfrage habe Merkel wie eine Frau | |
gehandelt. Aus dem Herzen. | |
15 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Jana Petersen | |
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