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# taz.de -- Kommentar „Adam sucht Eva“ bei RTL: Der Kaiser ist nackt
> Wenn auch Männer sich ausziehen müssen, verlieren sie ihre Überlegenheit.
> Deshalb ist die RTL-Sendung „Adam sucht Eva“ ein Fortschritt.
Bild: Aufsehen erregt bei „Adam sucht Eva“ besonders das sich sonst in der …
Nicht nur der Kaiser, auch Adam ist nackt. In der zweiten Staffel des
RTL-Trash-Formats „Adam sucht Eva“ treffen Männlein und Weiblein
splitterfasernackt aufeinander. Eine Art Verkupplungs-Big-Brother ohne
Container, statt im Dschungel tummeln sich D-Prominenz und Normalos auf
einer paradiesischen Inselgruppe, zu essen gibt es auch etwas Vernünftiges.
Die TeilnehmerInnen lernen sich nackt kennen und gegebenenfalls lieben, in
der Zwischenzeit müssen sie „Challenges“ bewältigen, also zum Beispiel
einen Stuhl zusammenbauen.
Der Unterhaltungswert der eigentlichen Sendung bemisst sich, glaubt man
einer Rezensentin, anhand des eigenen Promillewertes: Nach zwei bis drei
Bier kann man sich das ganz gut anschauen. Mag sein, der eigentliche Clou
dieser ansonsten eher öden Privatfernsehbespaßung besteht jedoch in der
Demokratisierung öffentlicher Nacktheit, wie man sie sonst nur von
FKK-Stränden und „Saunalandschaften“ kennt.
Lange genug hat es im Deutschland der Nachkriegszeit gedauert, bis man sich
auch nur ansatzweise an die Zeit der Libertinage der 20er Jahre und der
Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende herantraute: Die erste Nackte der
jungen Bundesrepublik, Hildegard Knef in „Die Sünderin“, musste sich noch
jahrzehntelang ob ihrer Unmoral beschimpfen lassen. Als der Film, in dem
die Knef für nur einige Sekunden ihre Brust entblößte, 1951 in die Kinos
kam, verließen Leute sogar aus Protest das Lokal, wenn die Schauspielerin
hereinkam.
Jahrzehnte nach der „sexuellen Revolution“ der sechziger und siebziger
Jahre kann man über derlei Prüderie nur noch lachen. Allerdings ist das nur
die halbe Wahrheit: Während üblicherweise der nackte weibliche Körper
kommerziell ausgebeutet wird – sogar auf Lkw-Planen werden nackte Frauen
spazieren gefahren, um für Produkte und Dienstleistungen zu werben –,
müssen bei RTL Frauen und Männer die Hüllen fallen lassen.
## Ist der Penis unästhetisch?
Aufsehen erregt daher bei „Adam sucht Eva“ besonders das sich sonst in der
Öffentlichkeit eher rar machende männliche Genital in sämtlichen
Aggregatzuständen, also von kältebedingter Zurückgezogenheit über
wohltemperiertes, besonntes Baumeln bis hin zu höchst erregter, von
Nachtsichtkameras eingefangener Maximaldurchblutung – was allerdings
bereits dem „Tatbestand“ der Pornografie entspricht: Penisse, die einen
Erektionswinkel über 45 Grad aufweisen, gelten als Pornografie.
Man ahnt, dass solcherlei Vorschriften von Männern erfunden worden sein
müssen, die sich von weiblicher Nacktheit keineswegs bedroht oder belästigt
fühlen, wohl aber von männlicher, die daher als unattraktiv bezeichnet
wird. Der Penis, so heißt es beim Mann der Moderne, sei unästhetisch.
Schön, so die Erzählung, kann (und darf) nur der weibliche Körper sein. Ein
Verdikt, das in augenscheinlichem Widerspruch zum Schönheitsideal der
Antike steht, in der sowohl der männliche Körper als auch der Penis
durchaus gepriesen wurden.
Im nun schon dritten Jahrtausend nach Christi Geburt ist es noch immer
nicht wirklich gut bestellt um die sexuell-körperliche Emanzipation des
abendländischen Menschen, zuvorderst um jene der Frauen, die noch immer für
ihre körperliche und sexuelle Selbstbestimmung kämpfen müssen. Und auch
nicht, was den Penis angeht: Vor gerade einmal vier Jahren musste das
Wiener Leopold-Museum Plakate überkleben, die für die Ausstellung „Nackte
Männer“ warb. Aufgrund zahlreicher Proteste bekamen die Penisse einen
schwarzen Balken verpasst.
In der Kunst gilt weiterhin, dass unbekleidete Frauen weniger Anstoß
erregen: „Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen?“, diese Frage
steht auf einem Plakat der New Yorker Künstlerinnengruppe Guerilla Girls.
Und weiter: „Weniger als drei Prozent der Künstler im Metropolitan Museum
sind Frauen, aber 83 Prozent der Aktmodelle sind weiblich.“ Auch die
Kunstgeschichte ist von Männern gemacht, und so diese nicht homosexuell
sind, sind selbige an Penissen demonstrativ nicht interessiert, es sei denn
zu Vergleichszwecken.
## Der Mann wird zum Objekt
Auch in „Adam sucht Eva“ kann man beobachten, wie Männer leicht in Panik
geraten, wenn sie miteinander allein und nackt sind („Suchst du einen Adam
oder eine Eva?“). Übertragen auf die Demokratie der Geschlechter ist die
hier ausgestellte Nacktheit des Mannes jedoch ausgesprochen erfrischend:
Auch der Mann ist schutzlos taxierenden, potenziell begehrlichen Blicken
ausgesetzt. Er wird Objekt.
Mann und Frau stehen sich in dieser künstlich geschaffenen
Paradies-Situation waffengleich gegenüber, sexistische Anmachen und Sprüche
bekommen so eine völlig neue Dimension: Männer, die hier „Pflaumen“ und
„Ballons“ bewerten, müssen damit rechnen, dass ihr „Würstchen“ oder
„Gehänge“ näherer, beziehungsweise peinlicher Prüfung unterzogen wird. G…
genug? Schief?
Allerdings sagt auch niemand, dass es bei den Begegnungen der Geschlechter
zwingend unfreundlich zugehen muss: Sind alle nackt, sind sie meist fairer
zueinander. Nacktheit ist schließlich nicht nur bei Frauen, sondern auch
bei Männern gleichbedeutend mit einer gewissen Verletzlichkeit, die selbst
finsterste „Prominente“ in einem sympathischeren, menschlicheren Licht
erscheinen lässt. „Nackt sind wir alle gleich“, so sagt es eine der Evas in
„Adam sucht Eva“, und ein bisschen ist ja etwas dran: Nacktheit birgt eine
gewisse Egalität in sich.
Würde man sich als Zuschauer nicht nur betrinken, sondern auch noch nackt
ausziehen, könnte man wahrscheinlich niemandem mehr wegen seines
besinnungslosen Gesabbels böse sein. Auch so ist ja schon viel Rührendes
von den Nackten zu hören: „Wollen wir uns mal ein wenig drücken?“, fragte
jüngst ein nordostdeutscher Hüne eine der Evas mit schamhaft gesenktem
Blick.
Am Ende ist man natürlich auch bei RTL nicht ganz so progressiv. Eher
spießig, so wie man es von Betreibern von Swingerclubs und Nudistencamps
insgeheim erwartet. Die Dramaturgie von „Adam sucht Eva“ sieht vor, dass
sich ein Paar angezogen begegnet, sobald es tatsächlich Gefühle füreinander
entwickelt haben sollte: Die Liebe, sie steht hier höher und erfordert im
Gegensatz zu den nackten Niederungen der Triebe den Einsatz von Textilien.
Und am Ende ist es die deutsche Werbewirtschaft, die dafür sorgt, dass es
nicht schmutzig wird, Erektion hin, Halbständer her: Die Ausstrahlung von
„Adam sucht Eva“ wird sowohl im Internet als auch im Fernsehen von
zahlreichen Waschmittel- und Seifespots begleitet.
Und doch bleibt es am Ende dabei: Ist der Kaiser nackt, so bedeutet dies,
dass er keine Macht hat. Oder zumindest nicht mehr Macht als die angeblich
Untergebenen.
8 Oct 2016
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Fernsehen
Nacktheit
Penis
Macht
RTL
Fernsehen
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