# taz.de -- Der Videothekenbesitzer Karsten Rodemann alias Graf Haufen hat frü… | |
Bild: „Hawaiihemden mag ich einfach“, sagt Graf Haufen, „die sind sehr be… | |
Interview Andreas HartmannFotos Roman Kutzovitz | |
taz: Herr Rodemann, man kennt Sie eher unter Ihrem Künstlernamen, mit dem | |
sie selbst Ihre E-Mail-Korrespondenzen unterschreiben. Ihr Künstlername ist | |
recht speziell: Graf Haufen. | |
Karsten Rodemann alias Graf Haufen: Heute ist Graf Haufen tatsächlich mein | |
eigentlicher Name. Ich reagiere eher selten auf meinen bürgerlichen Namen. | |
Können Sie erklären, wie Sie zu dem recht ungewöhnlichen Namen gekommen | |
sind? | |
Eher zufällig. Als ich 15 war, wollte ich ein Tape-Label gründen und | |
überlegte mir einen passenden Namen. Ich wollte etwas haben, das einen Reim | |
mit dem Wörtchen „kaufen“ ergibt. Also: Wo soll man kaufen? Lösung: Bei | |
Haufen! Gerade als ich mir das überlegt hatte, bin ich an einem | |
Elektronikfachgeschäft vorbeigegangen, dort stand eine Anzeige für | |
Kassetten im Schaufenster: „Graf Sowieso empfiehlt Kassetten von BASF“ oder | |
so. Daraus wurde der Name Graf-Haufen-Tapes und mein Künstlername. Der mag | |
beknackt sein, aber man kann ihn sich wenigstens gut merken. | |
Das Interview findet im Videodrom statt. Ein Kunde betritt den Laden, weiß | |
schnell, was er will: Elia Kazans „America America“ und „Hester Stree“ … | |
Joan Micklin Silver. | |
Gut, Graf Haufen, wie ist es, eine Videothek zu betreiben? | |
Es ist ein ständiger Kampf. Wir haben immer weniger Geld dafür zur | |
Verfügung, unseren Bestand zu vergrößern. Das tut manchmal schon weh. Da | |
ist jetzt beispielsweise „Meine Cousine Rachel“ auf DVD herausgekommen, so | |
ein obskurer Film mit Olivia de Havilland, die jetzt gerade 100 Jahre alt | |
geworden und eine der letzten noch lebenden Ikonen der klassischen | |
Hollywood-Ära ist. Den Film wird sich niemand groß ausleihen, den kennt | |
kein Mensch und dann kommt man schon mal ins Grübeln, ob man den wirklich | |
braucht. Aber ich hab ihn natürlich trotzdem gekauft, da liegt er. | |
Videotheken verschwinden immer mehr aus dem Stadtbild, es gibt kaum noch | |
welche. Wenn Sie als Betreiber der größten deutschen Programmvideothek mal | |
kurz versuchen würden, objektiv zu sein: Fehlt einem da wirklich etwas? | |
Hämisch könnte man sagen, dass die Videotheken immerhin von Spielotheken | |
ersetzt wurden. Ernsthaft würde ich anfügen: Aber ja, es fehlt etwas! Und | |
das Verschwinden der Videotheken ist ja erst der Anfang. Dass es | |
beispielsweise noch so viele Buchläden gibt, liegt allein an der | |
Buchpreisbindung. Bücher sind im Laden so teuer wie bei Amazon, viele | |
Leute, die noch eine Ladenkultur in ihrer Stadt haben wollen, unterstützen | |
deswegen den kleinen Buchladen um die Ecke noch. Gäbe es die | |
Buchpreisbindung nicht, hätten die Buchläden zu kämpfen wie wir. In einer | |
negativen Zukunftsvision hat man aber sowieso nur noch Städte, in denen es | |
Restaurants und Cafeś gibt, einfach deswegen, weil man die schlecht | |
digitalisieren kann. | |
Aber gäbe es auch einen echten kulturellen Verlust ohne | |
Programmvideotheken? Wo einem doch das Internet wie eine ultimative | |
Supervideothek vorkommt? | |
Sind dann irgendwann auch die letzten Programmvideotheken aus dem Stadtbild | |
verschwunden, bleibt nur noch, was die Großen im Netz anbieten oder was man | |
illegal im Internet bekommt. Entweder man liefert sich ganz den Großen aus, | |
bekommt dann aber nicht mehr mit, was es so an den Rändern der Filmkultur | |
Spannendes gibt – oder man begibt sich in den illegalen Bereich. Vielleicht | |
reicht den Leuten aber ja auch das, was sie bei Netflix und Co. angeboten | |
bekommen. ITunes, das hab ich mal gelesen, macht mit 3 bis 5 Prozent seiner | |
angebotenen Titel 90 Prozent des Umsatzes. Obskures neben dem Mainstream | |
hat da gar keine Bedeutung mehr. Offensichtlich wollen die Leute eben auch | |
gleichgeschaltet werden, offensichtlich wollen sie diese | |
Til-Schweiger-Komödien. | |
Wenn das Videodrom morgen verschwinden würde, fände ich also nicht all das, | |
was Sie im Verleih haben, auch woanders? | |
Das würde schwierig werden. Zumindest im legalen Bereich würde es eine | |
ziemlich große Lücke geben, zumal wir viele Filme haben, die hier in | |
Deutschland nie ins Kino gekommen sind oder nie hier auf DVD veröffentlicht | |
wurden oder die einfach nur alt und obskur sind und deswegen bei den großen | |
Anbietern fehlen. | |
Junge Menschen wissen vielleicht schon gar nicht mehr, was eine DVD ist … | |
Kommt trotzdem auch mal ein anderes Publikum als über 40 Jahre alte | |
Cineasten in Ihren Laden? | |
Es wächst durchaus auch was nach bei der Kundschaft. Nicht besonders viel, | |
weil die jungen Leute eben eher mit anderen Dingen beschäftigt sind als mit | |
Filmen. Mit Computerspielen oder Pokémon Go. Für die ist das Konsumieren | |
von zehn YouTube-Videos hintereinander einfach interessanter, als sich mal | |
einen Film anzusehen. | |
Ein Kunde verlangt nach „Tribute von Panem“, dem letzten Teil. Es entspannt | |
sich ein Gespräch über „Star Trek“, „Babylon 5“, sowie die „Captain | |
America“- und „Avengers“-Filme. Graf Haufen empfiehlt dazu die Serie | |
„Agents of S.H.I.E.L.D.“. | |
In den Achtzigern hatten Videotheken nicht den besten Ruf. Dort gab es | |
angeblich all den Schund, der die Jugend verdirbt. Bei Ihnen fand sogar mal | |
eine Razzia statt, bei der Filme wie „The Texas Chainsaw Massacre“ | |
beschlagnahmt wurde, weil er auf dem Index stand, also nicht offen | |
angeboten werden durfte. Heute gilt ein Laden wie das Videodrom als ein | |
Hort der Kultur. | |
Das stimmt. Als meine Eltern sich Anfang der Achtziger einen Videorekorder | |
angeschafft haben, sagte meine Mutter klipp und klar: Es wird nicht in die | |
Videothek gegangen, so ein Scheiß kommt mir nicht ins Haus. | |
Videothekenfilme galten als Schmuddelkram und Action-Gülle. Heute denkt | |
auch meine Mutter darüber etwas anders. | |
Wie kam es überhaupt dazu, das Videodrom zu gründen, eine Kultstätte im | |
Berlin der Achtziger und bald die bekannteste und größte Videothek | |
Deutschlands? | |
Die Idee wurde 1984 geboren, das Videodrom als Ort für Filme zu eröffnen, | |
die man in den anderen Videotheken nicht bekommt. Nicht Porno und nicht | |
irgendeine Gülle sollte es bei uns geben, sondern anspruchsvolle Filmkunst | |
von Fellini bis Godard. Viele Filme in Originalfassungen und dazu noch | |
Musikvideos. Als ich dazugestoßen bin, ist es schon ein bisschen mehr in | |
Richtung Trash und Horrorfilm gegangen, aber diese Filme werden heute kaum | |
noch nachgefragt und sind bei uns nur noch Bückware. | |
Sie tragen immer Hawaiihemden. Was für ein Fashion-Statement ist das? | |
Hawaiihemden mag ich einfach. In den Achtzigern habe ich immer nur schwarz | |
getragen, irgendwann musste etwas anderes her. Jetzt trage ich halt | |
Hawaiihemden, die sind sehr bequem. | |
Sie waren Künstler und Teil der Off-Kunst-Szene der Achtziger in Berlin und | |
bekannt für ziemlich eigenwillige Kunst. | |
Ich habe als Künstler tatsächlich mal ein Set Fußnägel an ein Museum | |
verkauft. | |
Sie betrieben damals Ihr Tape-Label, auf dem Sie unter anderem Musik von | |
Die Tödliche Doris und der Vorgängerband der Ärzte, Soilent Grün, | |
veröffentlichten. Sie produzierten selbst Musik und Sie waren umtriebig in | |
der Szene rund um die sogenannten Genialen Dilletanten. Sind Sie heute denn | |
noch in irgendeiner Weise künstlerisch aktiv? | |
Ich habe in den Achtzigern mein Leben als Kunstwerk deklariert, mein Leben | |
ist eine Performance – die Performance läuft nun seit über 50 Jahren. | |
Abgesehen davon, produziere ich nicht mehr wirklich Kunst. Der Künstler und | |
Theoretiker Stewart Home hatte Ende der Achtziger einen Kunststreik | |
ausgerufen, dem hatte ich mich angeschlossen. Der Streik war eigentlich auf | |
drei Jahre angelegt, ich habe den für mich dann einfach bis heute | |
verlängert. Ich hatte damals als Künstler aber auch alles erreicht, was ich | |
erreichen wollte. Das kulminierte in einer Ausstellung, zu der ich einen | |
400 Seiten dicken Katalog gemacht habe. Die Vernissage bestand jedoch | |
darin, dass die Galerie einfach geschlossen blieb und es nur ein Schild im | |
Schaufenster gab: „Die Möglichkeit, eine Ausstellung zu machen, ist genau | |
so viel wert, wie wirklich eine Ausstellung zu machen.“ Das war’s dann. Die | |
Vermittlung von Filmen, wie ich das heute mache, sehe ich aber durchaus | |
auch als eine Art persönliches Kunstprojekt. | |
Das Videodrom ist ein Haus des Films in Berlin, wie das Arsenal oder das | |
Babylon Mitte. Ist es zu verstehen, warum es scheinbar undenkbar ist, eine | |
Videothek mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen wie diese Filmhäuser, | |
eben damit Sie auch weiterhin Filme wie diesen alten Schinken von Olivia de | |
Havilland für den Verleih erstehen können? | |
Eine Förderung würde natürlich helfen. Aber Filmförderungsinstitute | |
unterscheiden halt immer noch zwischen dem, was Kinos machen, und dem, was | |
wir machen. Die sagen: Videotheken machen eigentlich ja nichts. Die kaufen | |
Filme und stellen die in die Auslagen. Dabei kuratieren wir wie das Arsenal | |
auch Filme. Aber das ist eben nichts, wofür man eine Filmförderung | |
beantragen könnte. Das ist den Fördergremien zu obskur. | |
Sie sammeln Platten, CDs, Bücher, Kassetten, sogar alte Videos. Ihre | |
Wohnung ist wie ein Archiv. Können Sie sich nicht vorstellen, auch einmal | |
auf digitalisierte Kulturprodukte umzusteigen? | |
Das sind für mich seelenlose Terrabytes. Ich brauch einfach die Haptik. | |
Darum fand ich auch Jim Jarmuschs letzten Film „Only Lovers Left Alive“ so | |
gut, weil es da auch darum geht, was uns verloren geht durch das | |
Verschwinden dieser Haptik. | |
Sie hatten mal die Idee, eine Art Guide über das obskure Genre der | |
Frauengefängnisfilme zu verfassen. Was ist aus diesem Projekt eigentlich | |
geworden? | |
Ich habe irgendwann gemerkt, dass ein solches Buch unheimlich langweilig | |
werden würde, weil nur marginale Variationen bei den Themen dieser 150 bis | |
200 Filme, die es in diesem Bereich gibt, vorkommen. Die Idee war eine | |
Totgeburt. | |
Machen Sie denn sonst etwas mit dem enormen Filmwissen, das Sie sich über | |
die Jahre angearbeitet haben, außer dieses in ein Kundengespräch einfließen | |
zu lassen? | |
Ich gebe an der Universität Hildesheim Seminare. Mein erstes Seminar | |
behandelte Trashfilme, demnächst werde ich eines zum Vergleich zwischen | |
deutschen und amerikanischen Mumblecore-Filmen (Independentfilme mit | |
kleinem Produktionsbudget – Anm. d. Red.) geben. | |
Könnten Sie zum Schluss einfach mal drei Filme auf DVD nennen, die man in | |
letzter Zeit unbedingt gesehen haben muss? | |
Diese Frage würde ich gerne lieber nicht beantworten. Filmtipps sollten | |
individuell sein und auf die jeweilige Person zugeschnitten. | |
Ein paar exklusive Tips ausnahmsweise ganz allgemein für unsere Leser. | |
„Anomalisa“ von Charlie Kaufmann hat mich tief beeindruckt. Ein bisschen | |
älter, aber an dem Film arbeite ich mich mental immer noch ab: „It follows“ | |
von David Robert Mitchell. Ein dritter fällt mir gerade nicht ein, zwei | |
müssen genügen. | |
Whisky-Ausschank, Partys – andere Programmvideotheken versuchen sich mit | |
derartigen Konzepten ein zweites Standbein aufzubauen, weil der Verleih | |
selbst immer weniger abwirft. Wäre Derartiges nicht auch eine Überlegung | |
wert für das Videodrom? | |
Nein, das mach ich nicht, das ist nicht meine Welt. Ich will, dass die | |
Leute hierherkommen, weil sie wissen, dass es hier gute Filme gibt und sie | |
fachkompetent beraten werden. Ich kenne beispielsweise eine Videothek in | |
Berlin, in der gibt es nebenher einen Softeisverkauf, einen Paketshop, | |
gebrauchte Babyklamotten, Weine aus Portugal und Arthaus-DVDs. Das möchte | |
ich nicht haben. Für mich kommen Mischkonzepte mit Sachen, von denen ich | |
keine rechte Ahnung habe, nicht in Frage. | |
Eine Mutter mit Kind verlangt nach „Zoomania“, der aber gerade entliehen | |
ist. Graf Haufen schwärmt von dem Film, der für ihn beinahe so gut wie | |
„Alles steht Kopf“ sei. Er empfiehlt einen Film des Studio Ghibli | |
(japanisches Zeichentrickfilmstudio – Anm. d. Red.). | |
Gerade kam ein Kind in Ihre Videothek. Früher gab es das nicht. | |
Kinder im Laden gingen bei uns früher nicht, weil die indizierten Filme | |
nicht in einem separaten Raum standen. Vor allem aber, weil die Kollegen | |
Kette im Laden geraucht haben. Die indizierten Filme spielen bei uns heute | |
kaum noch eine Rolle, und zum Rauchen geht man inzwischen vor die Tür. | |
17 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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