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# taz.de -- Beton tropft von der Decke
> LADEN Ein als schickes Coffee-Table Book aufgemachter Fotoband widmet
> sich der wechselvollen Geschichte des Musikclubs Molotow im Hamburger
> Stadtteil Sankt Pauli
Bild: Peaches live im Molotow, Hamburg, Januar 2000
„Finally a fucking Rock ’n’ Roll Club in Germany!“ Der Kommentar von
Merrill Beth Nisker ist als erleichterter Seufzer zu verstehen. Im Januar
2000 stand die Kanadierin, weltberühmt unter ihrem Künstlernamen Peaches,
zum ersten Mal auf der Bühne des Hamburger Clubs Molotow, der damals im
Untergeschoss eines Hauses an der Reeperbahn untergebracht war. Jener Abend
wurde festgehalten durch Fotos eines Konzertbesuchers. Die beiden
überblitzten Schnappschüsse und 300 weitere Schwarz-Weiß-Bilder versammelt
das Buch „Molotow“, neben amüsanten Anekdoten und gründlich recherchierten
Hintergrundinformationen.
Aus Anlass des 25-jährigen Club-Jubiläums der beliebten Kellerkaschemme St.
Paulis widmet der Kulturwissenschaftler Sebastian Meißner ihr einen
Bildband. Amateurfotos sind die Ausnahme: Meißner bekam etwa Zugang zum
Archiv des Hamburger Konzertfotografen Stefan Malzkorn. Vom ersten Konzert
in dem ehemaligen Flamenco-Café sind keine Bilder überliefert: Die Briten
Teenage Fanclub spielten am 4. Juni 1990 vor gerade mal zwölf zahlenden
Zuschauern. Eines der ältesten Fotos zeigt die Toten Hosen im Vorraum beim
Kickern.
Wenn es noch heißer wäre, würde der Beton von der Decke tropfen, beschreibt
Deniz Tek, Gitarrist bei den australischen Rock-’n’-Roll-Urviechern Radio
Birdman, die Atmosphäre in dem Laden. Europaweit bekannt wurde das Molotow
durch die fehlende Distanz zwischen Musikern und Zuschauern, die niedrige
Bühne hatte keine Absperrung. Bands wie The White Stripes, The Hives und
Mando Diao gaben hier ihre ersten Deutschlandkonzerte überhaupt und
wunderten sich über das Set-up.
Jahrzehntelang war das Molotow in der Schmuddelecke zwischen Sexshop und
Wachsfigurenkabinett am Spielbudenplatz zu Hause. Bis Dezember 2013: Damals
wurde der Musikclub nach einem Gig der Band Madsen wegen angeblicher
Einsturzgefahr geräumt und geschlossen. Die Indierocker seien für Risse im
Fundament verantwortlich, behauptete die lokale Boulevard-Presse. Einige
Monate später wurden das Ensemble der sogenannten „Esso-Häuser“, zu denen
auch das Gebäude des Clubs gehörte, abgerissen. Die Zukunft des Molotow
schien ungewiss. Nach zwei Umzügen fand man im September 2014 eine
langfristige Heimat in den Räumen eines ehemaligen R&B-Clubs am anderen
Ende der Reeperbahn.
Nachzulesen ist dies in einem Interview, das Meißner mit dem langjährigen
Betreiber Andi Schmidt geführt hat. Auch die Molotow-Booker geben Auskunft
über den harten Konkurrenzkampf um die Gunst der Hamburger Zuschauer.
Kurze Zitate von einigen der Künstlern, die im Molotow gastiert haben,
lesen sich ungeschminkt. Rick McPhail, Gitarrist von Tocotronic, sagt, wie
es ist: „Ich habe ein Konzert der Band The Killers gesehen, die vor
vielleicht 20 Leuten gespielt hat. Ich fand die Band komplett scheiße. Ich
finde sie noch immer scheiße.“
Wie die Beatles auf Reeperbahn-Erkundungstour hätten sie sich gefühlt,
berichtet Sune Rose Wagner von den dänischen Raveonettes von ihrem Auftritt
im Molotow im April 2003. „I felt that Rock ’n’ Roll was still dangerous
and alive.“ Gefährlich war vor allem die niedrige Decke: Auf der Bühne
traten einige Bands mit Helm auf, so groß war die Gefahr, sich den Kopf
anzustoßen.
Meißners „Molotow“ ist ein Coffee-Table Book für Rocker: schick aufgemach…
aber trotzdem ohne jede falsche Kiezromantik oder
Vergangenheitsverklärung. Jan Paersch
Sebastian Meißner: „Molotow – das Buch“. Junius Verlag, Hamburg, 2016, 1…
Seiten, über 300 Fotos, 22,90 Euro
25 Jul 2016
## AUTOREN
Jan Paersch
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