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# taz.de -- Verkehrsübung für Europa
> Raumexperiment Das Project Space Festival stellt einen Monat lang
> Projekträume in Berlin vor und lädt seine BesucherInnen ein, ihnen bisher
> unbekannte Orte zu entdecken
Bild: Wenn jetzt noch Wind wäre, könnte man auf der Flagge die Sterne der Eur…
von Nina Monecke
Eingezäunt und mit dichtem Grün bewachsen ist der Verkehrsübungsplatz für
Kinder „Tacho“ in Kreuzberg von der Straße aus für Passanten kaum sichtba…
Obwohl zentral zwischen den U-Bahnhalte-Stellen Kottbusser Tor und
Prinzenstraße gelegen, sind die meisten Besucher heute zum ersten Mal hier.
Im angrenzenden Park mit Spielplatz sitzen Jugendliche auf den nassen
Holzbänken und spielen blecherne Musik von ihren Handys ab.
Ein älteres Trio in Trainingsanzügen hockt im zugemüllten Gebüsch und
reicht Plastik- und Papiertütchen herum. Man weiß nicht, ob man schmunzeln
oder besorgt sein soll bei dem Gedanken, dass hier nur zehn Meter weiter
sonst kleine Kinder Fahrradfahren lernen.
Tritt man durch das schwingende Stahltor von Tacho, entscheidet man sich
dann doch fürs Schmunzeln. Der Platz, der auch Oase genannt wird, wirkt wie
eine kleine Welt für sich, in der die Dimensionen und Größenverhältnisse
nicht zusammenpassen: Verkehrsschilder und Ampeln im Miniaturformat stehen
neben hohen Bäumen, Sitzbänke und Gullydeckel haben Originalgröße.
Ganz bewusst hat sich das 2015 gegründete Künstlerduo „missing icons“,
bestehend aus Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper, für diesen Ort
entschieden. Ein künstlich geschaffenes, umhegtes Gebilde, das von seiner
Umgebung völlig unberührt zu existieren scheint. Was sie dort vorfanden,
haben sie anhand der Abschottungspolitik der Europäischen Union politisch
interpretiert: Aus dem „Gehege“ soll in wenigen Minuten eine surreale
Allegorie für Europa werden.
Tacho ist einer der 31 Projekträume, die das Project Space Festival im
August im Tagesrhythmus einen Monat lang vorstellt. Erstmals sind in diesem
Jahr neben Orten in Berlin jeweils ein überregionaler Raum in Köln und
Kassel dabei sowie zwei nomadische Räume, die regelmäßig ihren Aktionsort
wechseln.
Die Auswahl sei nicht leicht gefallen, sagt Festivalleiter Heiko Pfreund.
In Berlin gebe es laut jüngsten Schätzungen etwa 150 Projekträume. 71
hätten sich davon für das dritte Project Space Festival beworben. Handfeste
Kriterien gebe es nicht. Das stünde auch dem experimentellen Wesen der
Projekträume entgegen. Während ein Raum für die meisten Menschen ein fester
Ort mit vier Wänden sei, könne ein Projektraum so ziemlich alles sein,
auch ein Verkehrsübungsplatz für Kinder.
Es ist auch ein Kind, das die künstlerische Aktion einleitet. Ein Junge
trägt ein fein säuberlich zusammengefaltetes hellblaues Tuch zum
Fahnenmast. Über den geteerten Platz hinweg ist ein leises Klingeln zu
hören: Die letzten sechzehn Takte von Beethovens 9. Sinfonie, der
„Europa-Hymne“. Die schlichte Melodie wurde etwas unbeholfen auf einem
Xylofon eingespielt.
Der Klang des Instruments erinnert an den Musikunterricht in der Schule.
Obwohl es nur wenige verschiedene Töne seien, habe sie dafür viel geübt,
erzählt Andrea Knobloch mit einem Lächeln. Wie auch Europa noch üben müsse.
Gemeinsam mit Ute Vorkoeper hisst die freischaffende Künstlerin und
Kuratorin die Flagge, auf die das Foto eines aufreißenden Himmels gedruckt
wurde. In der Mitte ist in dünnen gelben Linien der Kreis mit den zwölf
Sternen der Europaflagge abgebildet. Zumindest erzählt Knobloch das, denn
die Flagge will sich nicht entfalten. An diesem Abend fehlt schlicht der
Wind, aber eine Windmaschine wäre Theater gewesen, so Knobloch.
Der Berliner Kultursenat unterstützt in diesem Jahr zum ersten Mal das
Project Space Festival. Für Projekträume gebe es keine Basisförderung,
genauso wenig fallen sie unter die Spielstättenförderung für Betreiber von
Auftritts- und Produktionsorten, sagt Chris Benedict, Vorstandsmitglied vom
Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen. Das mache die
Finanzierung schwierig. Verdrängungsprozesse in gentrifizierten Städten
kämen hinzu.
Festivalleiter Pfreund sieht das entspannt. Kunst könne man mit viel und
wenig Geld realisieren. Man müsse eben mit dem Vorgefundenen arbeiten. Dass
das manchmal Überraschungen birgt, beweist das diesjährige Zentrum des
Festivals. Die Lage des sogenannten Center of Minimum Distance wurde per
Computer aus den Adressen aller Bewerberräume ermittelt und bildet deren
geografische Mitte: Direkt hinter dem Theaterhaus Berlin-Mitte fanden die
Leiter auf einer offenen Fläche ein großes gelb-rot gestreiftes Zirkuszelt
vor.
Die abgewandelte Europaflagge weht noch bis zum 31. August auf dem
Verkehrsübungsplatz Tacho. In den kommenden Tagen werden die Projekträume
insitu, Bruch & Dallas (je in Mitte) und Display (Schöneberg) eröffnet
4 Aug 2016
## AUTOREN
Nina Monecke
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