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# taz.de -- Die Straße gehört nicht den Autos
> Street Art Ein Prager Kneipenbesitzer bringt Kunst in die Straßen der
> Welt. In Berlin steht jetzt auch – wie in New York, Prag, Venedig,
> Moskau, Kiew und London – ein Poesiomat, an dem man Gedichte tanken kann
Bild: Der Mann und sein Werk: Ondřej Kobza lauscht einem Gedichtvortrag
von Nina Monecke
Die vorbeilaufenden Passanten schauen irritiert. Auf dem Gehweg in der
Wilhelmstraße in Berlin-Mitte steht ein knapp zwei Meter hohes graues Rohr.
Ein Mann mit hellbraunen Locken hält sein rechtes Ohr an die gebogene
Öffnung und lauscht. Er drückt auf einen Knopf und es erklingt eine Stimme.
Sie trägt ein Gedicht vor, erst auf Deutsch, das nächste auf Tschechisch.
Das Rohr ist einem Periskop nachempfunden, eigentlich ein optisches
Instrument, um etwas aus der Deckung heraus zu beobachten. Der Mann mit
den Locken, der Prager Kneipenbesitzer Ondřej Kobza, hat es akustisch
umfunktioniert: Die tschechische Soundinstallation „Poesiomat“ spielt
Gedichte auf Knopfdruck ab.
Für Ideen wie diese ist Kobza in Tschechien bekannt. Der 37-Jährige hat in
seiner Heimat bereits mehrere Kulturprojekte umgesetzt, die den
öffentlichen Raum beleben sollen. Im Sommer 2013 gründete er die Initiative
Piána na ulici, Klaviere auf der Straße. Dafür verteilte er zunächst fünf
Pianos in der Prager Innenstadt. Jeder kann spontan darauf spielen und so
zumindest kurz den Lärm des Straßenverkehrs übertönen. Die Straße sei
schließlich nicht nur für Autos da, findet Kobza.
Seine Idee funktionierte hervorragend. Bekannt wurde das Video eines
tschechischen Verkehrspolizisten, der im Dienst auf dem Klavier vor der
philosophischen Fakultät der Prager Karls-Universität das Lied „River Flows
in You“ des koreanischen Pianisten Yiruma spielte. Der Mitschnitt wurde auf
YouTube millionenfach geklickt. Mittlerweile stehen und erklingen mehrere
Dutzend Klaviere in über 50 tschechischen Städten.
Den Klavieren folgten Schachbretttische. Für mehr Spiel und weniger Hektik,
sagt Kobza. „Ich wünsche mir, dass die Menschen den öffentlichen Raum
bewusster wahrnehmen und nicht nur die Straße entlanghetzen.“ Sein neuestes
Projekt, der Poesiomat, sei aber anders als seine bisherigen Aktionen. „Der
Poesiomat ist nicht für die Masse. Mir ist klar, dass nicht Tausende
Menschen auf den Knopf drücken werden, um sich Lyrik anzuhören. Es ist ein
subtileres, ein intimeres Projekt. Eher für den Einzelnen, der kurz stehen
bleibt und für einen Moment innehalten möchte“, so Kobza. Dafür hätte er
sich in Berlin zwar eine andere Stelle gewünscht, sagt er mit einem kurzen
Blick auf die gegenüberliegende Baustelle. Doch so hätten die Menschen den
Poesiomaten vielleicht gerade hier, beim nervigen Lärm der Bauarbeiten,
besonders nötig.
Die Auswahl der Dichter überlässt Kobza Literatureinrichtungen.
Tschechische Autoren aufzunehmen ist dabei kein Muss. Für Berlin haben
dafür das Tschechische Zentrum, die Literaturwerkstatt Berlin und die
mehrsprachige Onlineplattform Lyrikline zusammengearbeitet. „Es soll eine
gute Mischung sein aus weiblichen und männlichen, jüngeren und älteren
Stimmen“, sagt Heiko Strunk von Lyrikline. In Berlin sind Werke von zwanzig
Autoren zu hören, darunter Marcel Beyer, Nora Bossong, Pavel Novotný und
Kateřina Rudčenková.
Weltweit gibt es die Soundinstallation aus Tschechien mittlerweile zehnmal:
in Prag, Venedig, Moskau, Kiew und London. Kobzas Lieblingspoesiomat steht
allerdings in New York. „Ich liebe diese Stadt. Dort einen Poesiomat
aufzubauen war ein Traum von mir“, sagt er. Direkt hinter dem legendären
Punk-Club CBGB können Passanten zum Beispiel Allen Ginsbergs „Das Geheul“
lauschen und Gedichte anderer Beat-Generation-Autoren wie Jack Kerouac oder
der Musikerin Patti Smith anhören.
Die nächsten Stationen des Poesiomaten sind schon in Planung, sagt Kobzas
Produzentin Michaela Hečková: Buenos Aires und Jerusalem. Dann soll der
Poesiomat auch im Ausland gebaut werden. Denn eine solche Konstruktion
durch die Sicherheitsschleusen am Flughafen in Tel Aviv zu bekommen dürfte
schwierig werden, sagt Hečková lachend.
Die ersten Klaviere zahlte Kobza noch selbst. Den Poesiomat finanzierte er
über Crowdfunding. Mehr als 30.000 Euro kamen so zusammen. Seine Ideen
seien bewusst oft einfach. „Ich hoffe, dass ich Menschen anregen kann, sich
selbst Gedanken zu machen, wie sie öffentliche Plätze mitgestalten können.“
Erst kürzlich habe er eine Mail von einer Tschechin bekommen, die in ihrer
Heimatstadt Schaukeln in den Bäumen öffentlicher Parks angebracht hat. So
einfach könne es sein, die Stadt ein bisschen schöner und lebendiger zu
machen.
Der Poesiomat steht noch bis zum 9. September in der Wilhelmstraße 44 vor
dem Tschechischen Zentrum Berlin. Dann zieht er für zwei Wochen vor das
Haus für Poesie in der Kulturbrauerei
28 Jul 2016
## AUTOREN
Nina Monecke
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