# taz.de -- Überraschend und ein bisschen chaotisch | |
> Neue MischungDie Künstler werden mit Freigetränken bezahlt. Zuhören, | |
> essen und trinken bei einer „Poetic Hafla“ in Kreuzberg | |
Die hohen weißen Wände lassen die kleine Galerie in der Mittenwalder Straße | |
in Kreuzberg unpersönlich wirken. Vereinzelt hängen Bilder, ein paar | |
schwarze Klappstühle stehen in der Mitte des Raums. Irgendwie so gar nicht | |
das, was man sich unter einem passenden Ort für eine Hafla vorstellt. Das | |
Wort Hafla kommt aus dem Arabischen und bedeutet Treffen oder Feier. | |
Familie und Freunde kommen dafür zusammen, es wird gesungen und getanzt, | |
gegessen und geraucht. Bei der Berliner „Poetic Hafla“ wird außerdem | |
gelesen. | |
So zumindest der Plan. Mati Shemoelof, israelischer Schriftsteller mit | |
irakischen Wurzeln und einer der drei Gründer der Poetic Hafla, wirkt | |
nervös. Eine Autorin habe kurzfristig abgesagt, ein anderer verspäte sich. | |
Auf einem kleinen Handzettel stellt er notdürftig den Ablaufplan um. Auch | |
das Mikrofon und ein Klavier fehlen. | |
„Alles unterwegs“, beschwichtigt der Gastgeber Barack Moyal mit einem | |
Lächeln. Der israelische Maler ruft seine Freunde an, bittet sie, ihm | |
kurzfristig auszuhelfen. Vor der Galerie sammeln sich die ersten Gäste. | |
Alle begrüßen sich freundschaftlich. Das Stimmengewirr aus Englisch, | |
Arabisch und Hebräisch belebt den minimalistischen Raum. | |
## Ein Raunen im Publikum | |
Mit einer Stunde Verspätung tritt der erste Autor vor das frisch verkabelte | |
Mikro. Der deutsche Journalist Norbert Kron erzählt von einer Welt in 40 | |
Jahren. Darin ist die Einstaatenlösung geglückt: Israel, Palästina und | |
Deutschland leben friedlich zusammen. Ein Raunen geht durch das Publikum. | |
Viele der Anwesenden kommen aus Israel, haben jüdische Wurzeln. „Viel Glück | |
damit“, lacht eine ältere Frau in der hinteren Reihe und schüttelt den | |
Kopf. Eine Utopie, räumt Kron ein. Den Text hat er 2015 in einem | |
deutsch-israelischen Buchprojekt veröffentlicht. Bei der fünften Poetic | |
Hafla liest er ihn zum ersten Mal vor Israelis. | |
Die Idee für die Veranstaltungsreihe kam Shemoelof vergangenen Herbst. | |
Gemeinsam mit zwei Freunden wollte er Künstler aus verschiedenen Ländern in | |
Berlin zusammenbringen. Die erste poetische Hafla fand im April im | |
Wohnzimmer eines palästinensischen Freundes statt. Seitdem wandert sie | |
durch Cafés und Bars in verschiedenen Berliner Bezirken. Der Ortswechsel | |
jeden Monat gehört zum Konzept. „Jede Hafla soll ein bisschen anders sein. | |
Ein anderer Ort bringt auch ein anderes Publikum“, sagt Shemoelof. Ganz | |
bewusst haben sich die Gründer entschieden, nicht nur in israelischen | |
Kreisen für das Event zu werben. Die Hafla sei offen für alle Gruppen in | |
Berlin: Iraker, Palästinenser, Deutsche, Syrer, Israelis. | |
Die Vielfalt steht auch diesmal auf Shemoelofs Handzettel. Ernstes und | |
Amüsantes wechseln sich dabei ab. Der irakische Gitarrenspieler Duri | |
besingt schwermütig seine Heimat auf Arabisch. Die israelische Performerin | |
Nitsan Bernstein bringt die Gäste mit einem Lied über vorgeschobenen | |
Antisemitismus zum Lachen. Nicht jeder im Raum versteht auch jede Sprache, | |
aber einer der Sitznachbarn kann meist aushelfen. | |
Bisher läuft alles über Mundpropaganda und soziale Medien. Die Künstler | |
werden mit Freigetränken bezahlt. Wer auftreten möchte, kann sich bei den | |
Veranstaltern melden. Shemoelof trifft nur eine Vorauswahl. Was genau | |
gezeigt wird, davon will auch er sich überraschen lassen. Nicht zu wissen, | |
was einen erwartet, mache den Charme der Poetic Hafla aus: überraschend und | |
ein bisschen chaotisch. | |
Und während man den Gesprächen im Raum auf Englisch und Hebräisch lauscht, | |
zu arabischen Liedern mit dem Fuß wippt und deutschen Gedichten zuhört, | |
scheint die Einstaatenlösung zumindest in dieser Runde gar nicht so | |
utopisch. | |
Nina Monecke | |
21 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Nina Monecke | |
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