| # taz.de -- Leere Schaufenster | |
| > Verelendung In vielen Kleinstädten Brandenburgs haben Gewerbetreibende | |
| > die Zentren längst verlassen. Auch in Müncheberggibt es in der Ortsmitte | |
| > kaum noch Läden. Eingekauft wird am Ortsrand oder online. Die Politik hat | |
| > das erkannt und ist doch ratlos | |
| Bild: Kirche und Käfer – viel ist nicht los im Stadtzentrum von Müncheberg | |
| aus Müncheberg Lina Schwarz | |
| An der Stadtmauer mit ihren jahrhundertealten Steinen vorbei macht die | |
| Straße einen Knick. Erst hinter der Kurve fällt der Blick auf die | |
| Hauptstraße, die an Marktplatz und Rathaus entlang hin zur Kirche führt. | |
| Links und rechts am Straßenrand parken Autos, die Gebäude sind renoviert, | |
| über den Schaufenstern stehen die Namen von Läden. Auf den ersten Blick | |
| eine ganz normale Kleinstadt. Erst beim näheren Hinsehen fällt auf: Nur | |
| wenige Menschen laufen auf den Bürgersteigen, die Schriftzüge an den | |
| Häusern sind verblasst und die Schaufenster darunter sind – leer. Wo | |
| Brötchen, Wurst, Tomaten oder Bücher liegen sollten, ist außer dem eigenen | |
| Spiegelbild nichts zu sehen. | |
| „Ich fühl mich so leer, ich fühl mich Brandenburg“, singt schon Rainald | |
| Grebe und beschreibt damit das Stadtgefühl in Brandenburger Orten, die | |
| außerhalb des Speckgürtels rund um Berlin liegen. Hinter der Stadtmauer | |
| sollte das Leben anfangen, in der Brandenburger Peripherie hört es hier | |
| auf. Müncheberg ist eine dieser Städte. Eine Kleinstadt, genau in der Mitte | |
| zwischen Berlin und der polnischen Grenze, 50 Kilometer östlich des | |
| Berliner Zentrums, 6.800 Einwohner*innen. Eine Kleinstadt mit Kirche, | |
| Rathaus und großem Marktplatz – und darüber hinaus nicht viel. Noch erkennt | |
| man die Stadt als solche, aber die Ahnung eines ausgestorbenen Geisterorts | |
| liegt bereits in der Luft. | |
| Die Entwicklung Münchebergs ist kein Einzelschicksal. „Der Gewerbeleerstand | |
| betrifft in Brandenburg insbesondere die Klein- und Mittelstädte in der | |
| Peripherie des Landes“, erklärt Steffen Streu, Sprecher des Ministeriums | |
| für Infrastruktur und Landesplanung. 75 Prozent der leerstehenden | |
| Ladenlokale verfügen über eine Verkaufsfläche von weniger als 100 | |
| Quadratmetern. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die im Auftrag der | |
| Gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg im Jahr 2010 erstellt wurde. | |
| Kleine Ladenflächen stünden leer und dies zu einem großen Teil in den | |
| Zentren. Im Vergleich mit anderen Bundesländern sei der Gewerbeleerstand in | |
| Brandenburg besonders hoch: „Die Problematik trifft das Land, angesichts | |
| der Gesamtquote von 20 Prozent Leerstand, stark“, heißt es in der Studie. | |
| Problematisch sei die Situation insbesondere für ältere Menschen. Sie | |
| können sich nicht einfach ins Auto setzen, um zum nächsten Discounter zu | |
| fahren, und sind oft auf Unterstützung von außen angewiesen. Menschen über | |
| 65 Jahren machen in Brandenburg fast ein Viertel der Bevölkerung aus. Die | |
| Studie weist darauf hin, dass die wohnortnahe Versorgung für sie oft nicht | |
| gesichert sei, wenn in vielen ländlichen Gemeinden keine oder nur noch | |
| vereinzelte Einzelhandelseinrichtungen existieren. | |
| In Müncheberg war die Welt in Ordnung, als es einen Supermarkt mitten im | |
| Zentrum gab. Dieser zog als Einkaufsmagnet die Leute an, erklärt Uta | |
| Barkusky. Die Bürgermeisterin der Stadt beobachtet seit ihrem Amtsantritt | |
| im Jahr 2009 sorgenvoll die Entwicklung. Als der Discounter in die | |
| Peripherie zog, nahm er einen großen Teil der Kund*innen mit. „Mit dem | |
| Weggang des Netto-Markts hatten auch der Bäcker- und der Schuhladen und zum | |
| Schluss auch der Schreib- und Spielwarenladen keine Kunden mehr“, erklärt | |
| Barkusky, die Mitglied der Partei Die Linke ist. | |
| Discounter stellen eine nicht zu schlagende Konkurrenz für die kleinen | |
| Läden dar. Zwischen 2004 und 2009 wurden bundesweit 1.560 Discounter | |
| eröffnet, das entspricht einem pro Tag. Im Supermarkt finden Kund*innen | |
| sowohl Gemüse und Brot als auch Fleisch und Schreibwaren, meistens | |
| günstiger als in kleinen Geschäften. In Müncheberg gibt es mittlerweile | |
| vier Supermärkte außerhalb der Innenstadt – alle genehmigt durch die | |
| Stadtverordnetenversammlung. Der Letzte eröffnete im Jahr 2012. Der Preis | |
| für das komfortable Einkaufen ist ein ausgestorbenes Stadtzentrum. | |
| „Um Gewinne zu machen, muss man mit möglichst wenig Personal möglichst viel | |
| verkaufen. Das kann Aldi besser als wir“, erklärt Wilfried Wilke. Ihm und | |
| seiner Frau Martina gehörte der Schreibwarenladen, der seit Mitte der 90er | |
| Jahre das Stadtbild prägte. Im Laufe der Jahre lohnte sich das Geschäft | |
| immer weniger, im Jahr 2008 mussten sie schließen. Wilke hatte damit | |
| gerechnet. „Hätten alle die, die BWL studieren, Marx gelesen. Das war doch | |
| klar, dass es so kommen wird,“ sagt er und zuckt mit den Schultern. | |
| Ministeriumssprecher Streu meint, dass man die Rolle einzelner Discounter | |
| in Bezug auf den Gewerbeleerstand nicht überbewerten dürfe, da durch diese | |
| fast ausschließlich der Lebensmitteleinzelhandel betroffen sei. Dagegen | |
| haben die großen Einkaufszentren in der städtischen Peripherie durchaus | |
| spürbare Auswirkungen. | |
| Doch nicht nur die Konkurrenz durch die Supermärkte und die Einkaufszentren | |
| setzt dem innerstädtischen Einzelhandel zu. Auch der Onlinehandel wird | |
| immer wichtiger, erklärt Streu. Der Onlineanteil am gesamten | |
| Einzelhandelsumsatz liegt bei 5 Prozent, in Warengruppen wie Elektronik und | |
| Bücher allerdings deutlich darüber. | |
| Die Politik hat das Problem erkannt und schreibt sich die Wiederbelebung | |
| der Stadtzentren seit einigen Jahren auf die Fahnen. Jörg Vogelsänger, | |
| damaliger Minister für Infrastruktur und Landwirtschaft, verkündete bereits | |
| 2011 auf einem Workshop: „Im Mittelpunkt des Interesses muss die Ausprägung | |
| der Innenstädte als zentraler Versorgungsbereich stehen.“ Auch heute sei | |
| die Stärkung der Innenstädte ein erklärtes Ziel des Ministeriums, erklärt | |
| Streu. | |
| An Müncheberg geht der politische Aktivismus jedoch vorbei. 2008 führte das | |
| Land Brandenburg ein dreistufiges System ein, dass Städte in Metropolen, | |
| Oberzentren und Mittelzentren einstuft. In allen Orten, die nicht in das | |
| Einstufungssystem fallen, werde ein „vorrangiger Infrastrukturrückbau | |
| angezielt“, heißt es im Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg. Dies | |
| betrifft auch Müncheberg – als Grundzentrum ist es zu klein, um in das | |
| Dreistufensystem eingeordnet zu werden. Nicht nur die finanzielle | |
| Förderung, die die Stadt seitens des Landes bis 2008 erhielt, fiel damit | |
| weg. Auch für Drogeriemärkte wie Rossmann sind Städte, die nicht mindestens | |
| Mittelzentren sind, als Standort uninteressant. Infolge dessen gelingt es | |
| Barkusky seit Jahren nicht, einen neuen Magneten im Stadtzentrum zu | |
| etablieren. | |
| Zusätzlich gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den | |
| Immobilieneigentümer*innen schwierig. Die Bürgermeisterin wünscht sich, | |
| dass diese gemeinsam mit der Stadt verschiedene, der Stadt angepasste | |
| Mietmodelle entwickelten, um bei der Wiederbelebung der Stadt mitzuhelfen. | |
| Der größte Teil der Gebäude gehört privaten Eigentümern. Nach der Wende | |
| fokussierte sich die Stadtpolitik auf einen Umbau der Immobilien, der den | |
| alten Stadtcharakter wiederherstellte. Dafür wurden Investitionen durch | |
| private Eigentümer begrüßt. | |
| Wenn träge Politik und desinteressierte Wirtschaft nichts verändern, müssen | |
| Bürger*innen selbst zur Tat schreiten. In Strausberg, einen Nachbarort | |
| Münchebergs, gründete sich 2011 die Bürgerinitiative „Strausberg Vorstadt�… | |
| Diese engagiert sich für mehr Einzelhandel im Zentrum der Vorstadt. Bruno | |
| Gerhardt, Vorsitzender der Initiative, fordert: „Dort, wo ich wohne, will | |
| ich auch einkaufen.“ 200 bis 300 Anwohner*innen kämpfen unter anderem für | |
| mehr Geschäfte in ihrem Wohnort – mit ersten Erfolgen. Mitte Mai eröffnete | |
| ein Wochenmarkt, Pläne für den Ausbau des Südcenters werden zurzeit mit den | |
| Verantwortlichen der Stadt besprochen. Das große Ziel: mehr Einzelhandel | |
| anzulocken. | |
| Barkusky wünscht sich für Müncheberg eine ähnliche Entwicklung. Sie hat | |
| sich mit der Forderung, die Grundzentren wieder einzuführen, an ihre | |
| Fraktion im Landtag gewandt. Nur so lasse sich die Entwicklung im | |
| berlinfernen Raum fördern. Im September sind Bürgermeisterwahlen. Barkusky | |
| will erneut kandidieren – die Hoffnung, Müncheberg wiederzubeleben, hat sie | |
| noch nicht aufgegeben. | |
| 6 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Lina Schwarz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |