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# taz.de -- Hausbesuch Juwelia Soraya tanzt, komponiert, singt und lacht. Davon…
Bild: „Plüschig-poppig-flauschig-trashig“: Juwelia Soraya in ihrer Galerie…
Von Luciana Ferrando (Text)und Piero Chiussi (Fotos)
Zwei Namen, eine Person, zu Besuch bei Juwelia Soraya oder auch Stefan
Stricker. 53 Jahre ist sie alt und lebt dort, wo die Berliner Stadtteile
Neukölln und Kreuzberg ineinanderfließen.
Draußen: Stadtmöwen, Fußballspiel, Rollkoffer, türkischsprechende Männer
als Tonkulisse eines sommerlichen Nachmittags in der Sanderstraße,
Nordneukölln, Gentrifizierungsgebiet. Versteckt zwischen Antiquariaten,
Reparaturläden und Hipstercafés befindet sich Juwelias Kunstraum. „Galerie
Studio St. St.“ steht in silbernen Buchstaben über dem schmalen
Schaufenster.
Drinnen: „Plüschig-poppig-flau-schig-trashig“, sagt Juwelia sei es hier.
„Und elegant!“ Eine Verlängerung ihrer Persönlichkeit. Es gibt keinen Fle…
ohne Kunstwerke: Gemälde, Skulpturen, Postkarten. Tüll, Plastik, Keramik.
Rosa, Hellblau, Gold. Sofas und Sessel, ein Saloonpiano. Juwelia ist
omnipräsent, als Fotomodell, als Selbstporträt, als Titelseite
verschiedener Magazine. Auf den ersten Blick sind ihre Bilder fröhlich und
naiv, auf den zweiten nicht nur: Sex, Blut, Polizist mit Hakenkreuz, Rosen
und geschlossene Augen.
Leben und überleben: „St. St.“ steht nicht für St. Tropez oder einen
anderen glamourösen Küstenort, sondern für Stefan Stricker. Mit diesem
Namen wurde Juwelia Soraya in Korbach geboren, einer hessischen Kleinstadt.
Vor 30 Jahren kam er nach Berlin, fand eine Wohnung in der Graefestraße in
Kreuzberg, „wo damals niemand wohnen wollte“, und fing an, in
Transvestieshows aufzutreten. Zuerst in Kellern und leeren Häusern, seit
2006 jedes Wochenende in der eigenen Galerie. Juwelia singt und tanzt
(„Schönheitstanz, Burlesque, Stangentanz“), komponiert Lieder und malt.
Ihre Bilder verkaufen sich gut, im Januar hatte sie ihre erste Ausstellung
in New York. Als Figur der Berliner Nacht wurde Juwelia Protagonistin eines
Dokumentarfilms von Rosa von Praunheim.
Im Film geht es ums Überleben in Neukölln, aber auch um ihr Leben. „Tante
Rosa fragt mich viel über Sexualität und wann ich Stefan oder Juwelia bin.“
Das wollen viele erfahren, die Leute streben nach Definitionen. „Für mich
sind Juwelia und Stefan die gleiche Person“, sagt sie. „Ich bin keine Frau,
kein Mann, ich bin nicht transsexuell und auch keine Dragqueen. Ich bin nur
ein komischer Vogel.“
Gendertyp:Juwelia spült Stielgläser im Nachtkleid, im Hintergrund schallt
eines der Lieder, das sie komponiert hat. Eine Szene wie aus einem
Almodóvar-Film. Als Kind war es Stefan unangenehm, in der Schule „Steffi“
genannt zu werden, als Erwachsene spielt Juwelia gern mit
Geschlechterrollen und Klischees. Wäre Stefan als Frau geboren worden,
würde sie mit Bart als Mann herumlaufen. Ob sie als Stefan oder Juwelia
einkaufen geht, hängt von ihrer momentanen Lust ab. Manchmal, wenn Leute
sie mit „Hallo Juwelia“ begrüßen, ist sie plötzlich Stefan. Sie mag das
Durcheinander. „Immer Frau zu sein, wäre mir zu anstrengend“, sagt sie „…
bin eher so ein Gendertyp.“
Schön wie ein Weihnachtsbaum: In seiner Kindheit fing Stefan an, alles zu
verschönern. „Ich malte meine Fenster mit Pferden und Gardinen an.“ Seine
Eltern: Bloß nicht! Mama war Buchhalterin, Papa arbeitete beim Finanzamt.
„Sie erwarteten, dass ich einen ähnlichen Beruf wie sie lerne, eine Frau
und Kinder kriege.“ Aus der Perspektive der Eltern hatten seine
künstlerischen Inspirationen keine Zukunft. Erst viel später haben sie dann
widerwillig Juwelia akzeptiert. Stefan besuchte eine Grafikschule, und als
Juwelia lebt er heute von seiner Kunst. „Meine Transe ist entstanden, indem
ich immer das Schöne suche. Es ist schön, sich zu schminken und zu kleiden,
alles verändern zu können“, sagt Juwelia und trocknet die Gläser, bis sie
glänzen. „Ich bin schön wie ein Weihnachtsbaum.“
Rau wie Berlin: Juwelia findet nicht, dass früher alles besser war. Sie
glaubt, dass Berlin in den 1980ern genauso verrückt war wie 2016. Nur ihr
eigenes Leben ist anders. „Weniger ausgehen, weniger trinken, Bock auf
Gartenanlagen.“ Älter zu werden, findet Juwelia lustig – „vor allem, wenn
man einen 30 Jahre jüngeren Liebhaber hat“ –, und doch: Wie die Zeit
vergeht, beschäftigt sie immer stärker. Vor drei Monaten ist ihre Mutter
gestorben, sie war 82, wurde dement und hat sich umgebracht. Diesen Schritt
kann Juwelia nicht begreifen. Ihr Vater ist schon seit zwölf Jahren tot,
das Haus der Familie in Korbach hat ihre Schwester verkauft.
Die letzten Ersten: Freunde helfen auch gegen Traurigkeit, doch in der
Nachbarschaft werden sie immer weniger. Bis zu 200 Prozent mehr Miete
sollen manche für ihre Ateliers bezahlen. „Ich habe Glück, dass ich nur 50
Prozent Erhöhung bekomme!“ Juwelia sagt, sie sei eine der „letzten Ersten�…
Wie lange sie sich Neukölln noch leisten kann, weiß sie nicht. Und dann
aufs Land? Oder nach Leipzig, wo sie sich sicherheitshalber schon
umgeschaut hat? „Dank meiner Schönheit darf ich erst mal bleiben“, sagt
sie.
Kontakt: Sie möchten ebenfalls besucht werden? Schreiben Sie an
[email protected]
16 Jul 2016
## AUTOREN
Luciana Ferrando
Piero Chiussi
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