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# taz.de -- Musikfestival im HKW: Das Labor der Popkultur
> „Wassermusik“ durchquert die popkulturelle Vielstimmigkeit der
> karibischen Inseln – von Calypso über Reggae bis Merengue.
Bild: Die Marlene Dietrich des Calypso: die in Trinidad aufgewachsene Calypso R…
In der Karibik, einem der größten Kreativlabore der Popkultur, haben
insbesondere die beiden großen Inseln Kuba und Jamaika Musikgeschichte
geschrieben. Das Festival „Wassermusik“ will in diesem Jahr den Blick nun
auf jene Regionen der Karibik lenken, die im Schatten dieser popkulturellen
Supermächte stehen. Ein Highlight ist dabei der Auftritt von Calypso Rose,
der unbestrittenen Königin des Calypso. Die heute 76-jährige hat sich früh
in dieser Männerdomäne durchgesetzt und dem Genre seit den 1950er Jahren
ihren Stempel aufgedrückt.
Geboren 1940 als eines von elf Geschwistern auf der Insel Tobago und auf
den Namen Martha Linda Sandy-Lewis getauft, wuchs sie in einer Zeit auf,
die als die goldene Ära des Calypso gilt. Auch wenn ihr Vater als Anführer
einer Baptistengemeinde diese Musik für Teufelszeug hielt: Verhindern
konnte er nicht, dass seine Tochter ihr verfiel. Im Alter von neun Jahren
war sie zu einem Onkel und einer Tante auf die Nachbarinsel Trinidad
gezogen.
Die musikalischen Wettkämpfe, bei denen Calyspo-Sänger in zunächst nur für
den Straßenkarneval errichteten Zelten gegeneinander antraten, faszinierten
sie früh. Mit 15 schrieb sie ihren ersten Calypso-Song – nachdem sie
beobachtet hatte, wie ein Dieb einer Frau die Brille von der Nase gestohlen
hatte.
Der Calypso gründet auf launigen Liedern mit oft doppelbödigen Texten.
Musikalisch ist er eine Promenadenmischung aus den Gesangstraditionen
afrikanischer Sklaven und europäischer Salonmusik. Der Name geht wohl auf
das Wort „Kaiso“ zurück, das aus der Sprache der westafrikanischen Hausa
stammt und so viel wie „Bravo!“ bedeutet: Mit diesem Ruf wurden die frühen
Calypso-Sänger angespornt.
Sie sahen sich nicht bloß als Unterhalter, sondern ersetzten für ihr oft
des Lesens unkundiges Publikum die Zeitung, indem sie aktuelle Ereignisse
aufgriffen und in Versform brachten. Der Calypso war in seiner Anfangszeit
das alternative Medium, als das HipHop in den USA mit der Metapher vom
„schwarzen CNN“ erst viele Jahre später bezeichnet werden sollte.
Während des Zweiten Weltkriegs war Trinidad der größte Militärstützpunkt in
der Karibik und spielte eine zentrale Rolle im U-Boot-Krieg der Alliierten.
Über die dort stationierten Matrosen sprang der Calypso-Funke auf die USA
über und sorgte für einen Hype. Anfang 1945, zum Ende des Krieges, landeten
die Andrews Sisters mit „Rum and Coca-Cola“, einem Plagiat zweier
Calypso-Hits von Lord Infamer, einen Millionenseller.
Ein weiterer Welterfolg gelang später dem Sänger und Schauspieler Harry
Belafonte 1956 mit dem Album „Calypso“, das sich als erster Longplayer mehr
als eine Million Mal verkaufte und seinen „Banana Boat Song“ enthielt.
Später nahm der Schauspieler Robert Mitchum das Album „Calypso – is like so
. . .“ als Hommage an das Genre auf.
Trinidad und Tobago erlangten 1958 die Unabhängigkeit von der britischen
Krone, was auch zu einer Politisierung des Calypso führte. Als Troubadoure
und Moritatensänger fassten die Calypso-Sänger auch heiße Eisen wie
Korruption, Ausbeutung und Prostitution an.
Dem unverblümten Sexismus manch ihrer Kollegen setzte Calypso Queen eine
weibliche Sichtweise entgegen. Mit Erfolg: Sie war die erste Frau, die 1977
beim „Trinidad Road March“ gewann, dem wichtigsten der Wettbewerb der
Insel; der Ehrentitel des Calypso-Kings wurde ihretwegen in den
genderneutralen „Calypso Monarch“ umbenannt.
In den 70ern bewirkte sie sogar eine Gesetzesänderung: Weil sie in ihrem
Song „No Madame“ den Hungerlohn für Hausangestellte anprangerte, wurde auf
Trinidad und Tobago ein Mindestlohn eingeführt. In den 1980er Jahren zog
Calypso Rose nach New York. In ihrer Heimat wird sie bis heute als
Nationalheldin verehrt. Über 800 Songs und mehr als 20 Alben hat sie
aufgenommen.
Zuletzt erschien „Far from Home“, auf dem sie die üblichen Themen besingt:
Im Song „Abatina“ wendet sie sich gegen häusliche Gewalt, und in dem Stück
„I Am African“ feiert sie ihre Abstammung vom afrikanischen Kontinent. Als
Produzent stand ihr nicht zuletzt Manu Chao zur Seite, der einige Lieder
mit seinem typischen Reggae-Flow unterlegt hat; auf drei Songs begleitet er
sie sogar im Duett.
Das Wassermusik-Festival schlägt einen künstlerischen Bogen quer durch das
Archipel, von Trinidad über Guadeloupe bis St. Lucia und Providencia zu den
Küsten von Venezuela, Kolumbien und Mexiko, zu Merengue und Mambo, Rapso
und Reggaeton. Neben der Königin des Calypso treten weitere Koryphäen der
Karibik auf, darunter gleich zur Eröffnung der Ska-Pionier Ernest Ranglin
mit fantastischen Begleitern.
Beim Open-Air-Filmprogramm auf der Dachterasse werden Klassiker wie „The
Harder They Come“ (1972) gezeigt, der erste in Jamaika produzierte
Spielfilm mit einem von Hauptdarsteller Jimmy Cliff und Desmond Dekker
geprägten Soundtrack, und Dokumentationen wie „The Lioness of the Jungle“
über Calypso Rose, die 2011 in Cannes Premiere feierte.
Zwei Literaturabende runden den Cocktail ab: Sie widmen sich den
französischsprachigen Inseln Haiti und Martinique und dem, was der
Philosoph Edouard Glissant als „Creolité“ bezeichnete: eine Poetik der
Vielstimmigkeit, die auch die Musikstile dieser Region auszeichnet.
6 Jul 2016
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Karibik
Musikfestival
Schwerpunkt Ostdeutschland
Hannover
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