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# taz.de -- Skinny Jeans macht falschen Körper
> Modetheorie Die Hose regiert ihren Träger. Der ist irgendwann sogar
> zufrieden damit, Diät-Cola zu trinken und Salatblätter zu essen. Eine
> Konferenz in der Volksbühne analysierte das Regime der Skinny Jeans
Bild: Rebellisch, obszön war die Skinny Jeans einst. Heute ist sie selbst zum …
von Elisabeth Wagner
Von „Nachruf“ ist die Rede, von einem Abschied also. Dabei scheint die
Sache noch gar nicht ausgemacht. Ist die Leiche wirklich tot? Neigt sich
eine Ära ihrem Ende? Die kleine und gedankenreiche Konferenz
„Inventur_Null“, die sich am Dienstag im Roten Salon der Volksbühne
anlässlich der Berliner Fashion Week dem Schicksal der Skinny Jeans
gewidmet hat, betrieb das Nachrufen jedenfalls nicht als Grabrede. Einem
intensiveres Nach-Denken war beizuwohnen. Immerhin ist bereits eine Dekade
des Skinny-Hypes zu überblicken. „Akademisch sauber, aber locker im
Umgang“, gleichermaßen offen wie intellektuell herausfordernd, so wollten
es die beiden Veranstalterinnen von „Inventur_Null“, Christiane Frohmann
und Diana Weis, halten. Die Mode schreibt keine Romane mehr, sie produziert
Spielanleitungen, sie kommentiert und fällt sich selbst ins Wort. Ihre
Lieblinge hat sie dennoch. Silhouetten, von denen sie nicht lassen will.
## Heroin macht so schön
Skinny. Das Wort zeichnet den Umriss einer Gestalt und führt, wenn man der
Verlegerin und Digitalisierungstheoretikerin Christiane Frohmanns folgen
will, an einen exakt zu bestimmenden Ort, den Bahnhof Zoo. Es ist das Jahr
1981, und die Silhouette der Christiane F. leuchtet auf der Kinoleinwand.
Es sei ein Wunder, dass sie selbst kein Heroin genommen habe, sagt
Frohmann. So dünn, so aufregend schön sei ihr, sei „uns allen“ der Look d…
Christiane F. erschienen.
Man hört noch heute den Schock, das Pathos der Unschuld und des Rauschs,
das dieser Silhouette feierlich Recht gibt und sie zur Ikone macht.
Dasselbe funktioniert mit dem Berlinbesucher David Bowie. Oder mit Kate
Moss, jenem Mädchen aus dem Süden Londons, das durch die Obsession-Kampagne
Calvin Kleins als „schöne Leiche“ (Frohmann) weltberühmt geworden ist und
das sich mit einer Jeans am nymphenhaften Leib zur „coolen Leiche“
gewandelt hat.
Wer ihn verkörpern kann, diesen Look, der scheidet aus der Zeitlichkeit
aus. Der wird alterslos wie Karl Lagerfeld, den die Inventur allerdings als
„Erbe“ zählt. Der Erbe muss hart an sich arbeiten, anders als die englische
Vorstadtprinzessin, der alles wie im Drogenrausch zugefallen ist. Er muss
dem Imperativ des Hedi Slimane folgen: weniger und weniger werden.
Im Beitrag Michael Riesers erklärt sich dieses „nouveau régime“, diese ne…
Diät im feinen Gegensatz zum „Ancien Régime“. Das ist mehr als ein
Wortspiel. Die Skinny Jeans verweist ins feudale System des Absolutismus.
Sie plaudert aus dem Nähkästchen und verrät dabei vieles über das
Verhältnis von Macht und Geschlecht. Mindestens zurück ins 16. Jahrhundert
führt der Gedanke, wo zwischen buntem Wams und den schlanken Beinen des
Herrschers die Schamkapsel das Geschlecht als die „generative Potenz des
Herrschers“ (Rieser) dramatisch stilisiert.
Später wird diese Rolle von in Seidenstrumpfhosen gekleideten, auffallend
kräftigen Herrscherbeinen übernommen. Und noch später, im 19. Jahrhundert,
wird sich die Hose selbst als Allegorie „verbuchstäblichen“ (Rieser). Nun
regiert die Hose den Körper, der seinerseits zum Diener wird, irgendwann
sogar zufrieden damit, Diät-Cola zu trinken und Salatblätter zu essen, um
der Allegorie zu genügen.
Der König ist tot, es lebe der König. Wenig überzeugt vom Ende der Skinny
Jeans zeigte sich auch die Kuratorin Mahret Kupka, die vor Jahren noch an
eine Uniform der Mageren glaubte. Heute ist ihre Interpretation ungleich
düsterer: Die Röhrenhose, sie ist ein depressiver Doublebind. Während man
nämlich, zumindest theoretisch, damit aufhören kann, schlank sein zu
wollen, ist ein Ideal, das darin besteht, den Körper in jedem Fall für
perfektionierbar zu halten, ein geschlossenes System.
## Werkzeug der Beschämung
Darin liegt die Ironie: Eine Hose, die in den 50er, 60er Jahren des 20.
Jahrhunderts als popkulturelles Zeichen der Unangepasstheit galt, ist zum
Werkzeug der Beschämung geworden. Im Sinne der Leistungsgesellschaft ist
das ein Aufstieg. Die Hose wird zum Fitnesstool, nach Elastan-Anteilen und
Schwierigkeitsgraden gestaffelt. Angeblich kann sie jeder tragen.
In Wahrheit werden unablässig „falsche Körper“ produziert. Der Hüftspeck
steht über dem Hosenrand, wie dem Hohn der Leute preisgegeben. In der
U-Bahn fragen sie sich, ob dieses Styling denn wohl sein musste. Die
Körper- und Bewegungssoziologin Melanie Haller erklärt den Zusammenhang,
das Embodiment der Mode: Auch die Skinny Jeans ist nicht einfach
Anziehsache, sondern selbst schon ein Körper, der die meisten realen Körper
zu normativen Antibildern degradiert.
Auf die Demütigung antwortet die Arbeit, oder, wie im Falle Kim
Kardashians, die schiere Investition, die sich, wie Diana Weis bemerkt,
allen demokratischen Grundsätzen entzieht. Diese Silhouette kann sich nicht
jeder leisten. Die Skinny Jeans droht zum Claqueur, zur geheimnislosen
Opportunistin an der Seite eines narzisstisch-feudalen Ichs zu werden.
30 Jun 2016
## AUTOREN
Elisabeth Wagner
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