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# taz.de -- Die Stärke, etwas hinauszuschleudern
> Junge Dramatik Weiterleben nach einem Flugzeugabsturz? Trotz Krebs oder
> Suizid des Vaters? Sozialneurosen und radikale Entscheidungen umkreisen
> die Stücke bei der Langen Nacht der Autoren am Deutschen Theater
Bild: Maren Eggert und Natali Seelig spielen in „Gespräch wegen der Kürbiss…
von Simone Kaempf
Früher sagte man Monolog. Heute nennt man es Wutrede, wenn eine Figur auf
der Bühne ihrer Verzweiflung Luft macht. Wenn sich ein innerer
Gedankenstrom Bann bricht, rhetorisch gegen die Welt ankämpft und heiß
läuft angesichts derer Unveränderbarkeit. Dieser Trend sorgt in der
jüngeren Zeit immer wieder für starke Theatermomente und erzählt von einer
veränderten Weltwahrnehmung: Das Tragische stößt dem Menschen zu; Welt
geschieht ihnen. Das ist eine veränderte Haltung des Menschen als Wesen,
das ja eigentlich handelt, adressiert, agiert– und durch Gegenrede
verändert werden könnte.
Wo die Dynamik der Veränderung nicht greift, zählt die innere Stärke, der
Moment, sich zu erklären und etwas hinauszuschleudern. In neuen
Theatertexten junger Autoren lässt sich das beobachten, auch in den drei
Stücken, die von der Jury der Autorentheatertage als Siegerstücke
ausgewählt und für die Lange Nacht am Deutschen Theater inszeniert wurden.
In seinem Stück „Das Gelübde“ lässt etwa der Schweizer Autor Dominik Bus…
Jahrgang 1979, seine Hauptfigur die Bindungen zum bisherigen Leben lösen:
Der junge Arzt Tim hat während eines Flugzeugabsturzes das Versprechen
abgelegt, die Leitung einer Krankenstation in Afrika zu übernehmen. Nach
dem Überleben der Katastrophe hält er an dem Gelübde fest. Was auch heißt,
andere Versprechen zu lösen und sich zu rechtfertigen – weniger wütend als
in stiller Verzweiflung.
Ordnet sich die Hauptfigur in „Das Gelübde“ auf fast religiöse Weise einer
irrationalen Kraft unter, lässt Jakob Nolte in „Gespräch wegen der
Kürbisse“ zwei Freundinnen bei eskalierenden Unterstellungen aufeinander
los. Und Stefan Hornbach schickt in „Über meine Leiche“ wiederum zwei
Heranwachsende in einen Lern- und Emanzipationsprozess nach der Diagnose
Krebs. Die großen Themen werden nicht gescheut.
Aus 175 Einsendungen wählte die Jury der Autorentheatertage in diesem Jahr
diese drei Texte aus. Jury-Vorsitzende Barbara Behrendt warb in ihrer
Eröffnungsrede (veröffentlicht in der taz vom 20. Juni) für ein Theater,
das nicht nur den omnipräsenten Nachrichten hinterherhechelt, sondern „uns
mit unseren Ängsten und uneingestandenen Widersprüchen“ konfrontiere und
nicht mit einfachen Antworten abspeise.
Die ausgewählten Texte zum Abschluss der Autorentheatertage auf die Bühne
zu bringen gehört mittlerweile zur guten Tradition. Bereits vor zwanzig
Jahren fand die Lange Nacht der Autoren erstmals statt, als Ulrich Khuon
noch in Hannover Intendant war. Sie wanderten mit ans Thalia Theater
Hamburg: vier neue Stücke in Werkstattinszenierungen anzutesten war ein
lockerer, sportiver Marathon-Saisonabschluss-Spaß und behielt auch am
Berliner Deutschen Theater erst mal diesen Charakter. Vor zwei Jahren
entschied man, einen Schritt ins Gewichtige zu gehen. Der
Improvisationsgeist hatte den Texten nicht immer gutgetan. Statt
Werkstatt-Inszenierungen gibt es längere Probenzeit und Kooperationen mit
großen Bühnen in Zürich und Wien.
Ein richtiger Weg, an dem man mit Recht festhalten will. Das Ergebnis
spricht dafür. Regisseur Nicolas Charaux gelingt mit „Über meine Leiche“
die mutigste und auf jeden Fall verspielteste Inszenierung. Die beiden
Figuren Jana und Friedrich repräsentieren unterschiedliche Prinzipien: Ihre
lebenssatte Todessehnsucht prallt auf seinen glimmenden Lebensdrang. Just
im Moment seiner Erkrankung taucht sie wieder in seinem Leben auf. „Ich
zeige dir, wie man lebt. Und du zeigst mir dann, wie man nicht mehr lebt.
Geht das?“ Diese Asymmetrie nutzt Charaux als Spielmaterial. Bälle kullern
aus Wandklappen, Film-Dialoge werden pantomimisch nachgestellt; das
Spielerische bleibt dicht am Ernst der Situation.
## Spiel zielt aneinander vorbei
Regisseurin Lily Sykes nimmt „Das Gelübde“ musikalischer, als es der Text
vermuten lässt. An der Orgel stimmen die vier Schauspieler Choral-Silben
an, spielen ansonsten auf einem Flugzeugflügel, um von der Radikalisierung
des jungen Arztes Tim zu erzählen. Den großen Raum füllt die Arbeit
hervorragend. Was man über die Inszenierung, die am Deutschen Theater im
Repertoire verbleibt, nicht sagen kann. Mit Maren Eggert und Natali Seelig
schlüpfen in „Gespräch wegen der Kürbisse“ zwar zwei klasse
Schauspielerinnen in die Rollen von Freundinnen, die sich nach dem Urlaub
im Café treffen. Seelig ist streng, aufbrausend und ein wenig gekünstelt.
Eggert beobachtend, moralisch, dünnhäutig. Doch ihr Spiel zielt aneinander
vorbei. Mal sprechen sie ins Mikrofon, oder Discokugelatmosphäre wird
hochgeregelt – Verlegenheitslügen von Regisseur Tom Kühlen. Doch damit
werden Fans der Schauspielerinnen wohl ganz gut leben können. Die
Hinterbühnen-Inszenierung mag ihnen als Liebhaberprojekt genügen.
Am Gesamteindruck ändert es denn auch nichts: Die Idee der Langen Nacht der
Autoren geht in dieser Form auf jeden Fall ganz gut auf.
„Gespräch wegen der Kürbisse“ läuft wieder am 30. 6., 5. 7., 14. 7.,
Deutsches Theater, Schumannstraße 13a
27 Jun 2016
## AUTOREN
Simone Kaempf
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