# taz.de -- Idol Der Pianist Karlrobert Kreiten wurde von den Nazis getötet. E… | |
Bild: Florian Heinisch, 1990 geboren, am Klavier. Er will das Konzert nachholen… | |
von Carolin Pirich | |
Florian Heinisch setzt behutsame Schritte, als könnten sie jemanden | |
aufschrecken. Dabei steht niemand außer uns an diesem Vormittag auf dem | |
Innenhof der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee. Der Platz ist karg, die Mauer | |
um ihn herum so rau, dass man sich die Haut aufschrammte, striche man an | |
ihr entlang. Draußen stehen ein paar Bäume, sie geben an mit ihrem Grün, | |
demonstrieren ihr Ich-war-ich-bin-ich-werde. | |
„7. August 1943 | |
Man verliert jedes Zeitgefühl, und tausend Tage könnten für einen gelten. | |
Leider ist hier jeder Tag für mich unwiederbringlich verloren. Aber ich bin | |
jung und glaube, aus diesen harten Monaten viel, ja sogar sehr viel für | |
mein späteres Fortkommen gelernt zu haben.“ Karlrobert Kreiten, Brief an | |
Eltern und Schwester | |
Klamm ist es im ehemaligen Hinrichtungsschuppen. Die Hände werden kalt. | |
Florian Heinisch schiebt sie in die Manteltaschen. Trotz der Frühlingswärme | |
draußen trägt er einen, lang und dunkel. Unter den Fleischerhaken liegen | |
trockene Kränze, hinter Glas kleben die Todesurteile ehemaliger Insassen. | |
Lieselotte Hermann, Herrmann Stöhr, Erich Deibel. Karlrobert Kreiten. 186 | |
Ermordete allein in der Nacht vom 7. auf den 8. September 1943. Eine der | |
„Blutnächte von Plötzensee“. | |
Der Pianist Florian Heinisch will ein Konzert nachholen, das der Pianist | |
Karlrobert Kreiten nicht mehr geben konnte. Deshalb ist er an den Ort | |
gekommen, an dem Kreiten ermordet wurde. Kreiten war 27 Jahre alt, als er | |
in seiner Zelle auf sein Urteil wartete, nur zwei Jahre älter als Heinisch. | |
Er glaubte fest an seine Begnadigung. Im Urteil schreibt Roland Freisler, | |
der Präsident des Volksgerichtshofs, von „Wehrkraftzersetzung“. | |
„So sagte er, der Führer sei krank und einem solchen ,Wahnsinnigen' sei nun | |
das deutsche Volk ausgeliefert!!! … In zwei bis drei Jahren werde | |
Revolution sein, und dann der Führer, Göring, Goebbels und Frick einen Kopf | |
kürzer gemacht.“ Aus dem Urteil vom 3. Sepember 1943 | |
Karlrobert Kreiten räumt ein, dass er das oder Ähnliches gesagt habe, als | |
er in Berlin eine neue Wohnung bezog und vorübergehend auf dem Flügel der | |
Jugendfreundin seiner Mutter üben durfte. Die war so erzürnt, dass sie den | |
Sohn ihrer Freundin bei der Gestapo denunzierte. Als keine Reaktion folgte, | |
ging sie ein zweites Mal hin. Und noch einmal. | |
„Nein, was er getan hat, ist ein schmutziger Angriff auf die Gläubigkeit | |
einer deutschen Volksgenossin. Wer so wie Kreiten handelt, macht sich zum | |
Handlanger unserer Feinde, in ihrem Nervenkrieg gegen die Haltung unseres | |
Volkes.“ Aus dem Urteil | |
Es dauert einen Moment, bis Florian Heinischs Stimme wieder fest ist. „Das | |
ist alles Unfug, wenn man das durchliest“, sagt er. „Das kann man doch | |
nicht ernsthaft geglaubt haben, dass das nach Stalingrad noch wird!“ Die | |
Mutter fleht, die Schwester, der Dirigent Wilhelm Furtwängler setzt sich | |
für Karlrobert Kreiten ein, aber da ist das Urteil schon vollstreckt. | |
47 Jahre war Karlrobert Kreiten begraben, als Florian Heinisch 1990 in | |
Eisenach geboren wurde. Wie Kreiten stammt auch Heinisch aus einer | |
musikalischen Familie. Bei beiden sieht man früh Talent. Beide treten bei | |
Wettbewerben an, beide haben Erfolg. Beide sind der Stolz ihrer Lehrer. Man | |
erwartet etwas, Ruhm vielleicht. | |
## Dasselbe Werk, Jahr für Jahr | |
Die Hände von Florian Heinisch hängen an den Seiten herab, auffallend | |
kleine Hände für einen Pianisten. Heinisch hält sie seltsam ruhig, wenn er | |
spricht. Kleine Hände machten flexibel, sagt er. Er müsse sich immer wieder | |
etwas einfallen lassen, um die Musik greifen zu können. | |
Als Florian Heinisch mit dem Sieg des ersten wichtigen Wettbewerbs in die | |
Maschinerie der Pianistenproduktion gerät, ist er elf Jahre alt: Noch einen | |
Wettbewerb gewinnen, und noch einen, wer spielt schneller, wer ist jünger, | |
wer überrascht die Jury und spielt dabei präzise, was sie will? Dasselbe | |
Werk, Monat für Monat, Jahr für Jahr, noch sicherer werden, das hat doch | |
schon mal geklappt, lass das doch besser, ein neues Stück stört den Lauf, | |
den er doch gerade hat, der Florian, oder? | |
„Da wollte ich kein Pianist mehr werden“, sagt Heinisch. | |
Im Jahr, in dem Karlrobert Kreiten den Höhepunkt seiner Karriere erreicht, | |
ist er 17 und Adolf Hitler wird Reichskanzler. Studenten verbrennen Bücher | |
auf dem Berliner Opernplatz. Kreiten gewinnt zwei wichtige | |
Klavierwettbewerbe. | |
Und wie er aussieht. Klare Züge unterm welligen Haar, der Scheitel wie mit | |
einem Lineal gezogen. Karlrobert trägt Brille, und auf den Fotos lächelt er | |
oft ein Mona-Lisa-Lächeln: leicht, unergründlich, aber vielleicht wirkt das | |
auch nur so aus der Entfernung. | |
Im Haus der Eltern Kreiten in Düsseldorf gehen Künstler ein und aus. | |
Musiker. Pianisten, Dirigenten, Komponisten. Gieseking, Furtwängler, | |
Backhaus. Es wird gern parliert. Nein, nicht gerade über Politik, das lässt | |
man lieber. Nur in engstem Kreis. Die Entwicklung nach 1933? Ja, | |
grobschlächtig, nicht passend, unangenehm. Man wird es überstehen. Vater | |
Kreiten raucht Zigarre, fragt sich, warum wird sie kürzer, nicht länger? | |
Ein Leiden ist das doch. Die künstlerische Gesellschaft im Hause lacht. Der | |
Junge mit Schillerkragen und Knabenanzug mittendrin lächelt, er spricht | |
nicht viel. Er malt gern. Und spielt Klavier. | |
Studium in Berlin und Wien, 1938 kommt per Brief die Einladung, in die USA | |
zu reisen und dort die Karriere aufzubauen. Deutschland wäre weit weg, die | |
Nationalsozialisten so gut wie unwichtig. | |
„Wäre das Buch des Lebens vor ihm aufgeschlagen gewesen, würde Karlrobert | |
sicher keinen Augenblick gezögert haben, diesem Ruf übers Meer zu folgen.“ | |
Theo Kreiten, der Vater | |
Aber Furtwängler, der Dirigent, drängt ihn, zu bleiben. Wer ließe sich auch | |
nicht gern drängen vom mächtigsten Musiker im Lande? Oder waren es die | |
Eltern? Oder doch eine Liebe? Karlrobert Kreiten bleibt und zieht nach | |
Berlin. | |
Ein Windstoß trägt die von Blütenduft schwere Luft durch die Tür in den | |
Raum. Heinisch zögert, er will rausgehen. Er setzt sich auf eine Bank. Von | |
überall erinnert ein Schriftzug an die Opfer der Hitlerdiktatur. Heinisch | |
erzählt, wie er nach seinen Erfolgen bei Wettbewerben dann zweite Plätze | |
einfährt, dann dritte, dann gar keine mehr. Mit 19 beginnt er ein | |
Schulmusikstudium. | |
„Das ist erst mal ein Knick“, sagt Heinisch. „Da war dann ein Loch da. Ich | |
bin quasi von der Bildfläche verschwunden.“ | |
Zwei, drei Jahre später holt Heinisch der Traum von der Bühne wieder ein. | |
Er legt noch einmal die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule ab. Aber | |
gegen die Wettbewerbsmaschinerie sperrt er sich. Er will mehr von der Musik | |
als, wie er sagt, schön gestaltete Phrasen. | |
Vielleicht ist Florian Heinisch auch deshalb im Februar in den Irak | |
geflogen. Das Jahr war noch jung, aber sie zählten schon 900 Tote durch | |
terroristische Anschläge. In Bagdad wollte er ein Konzert geben, | |
ausgerechnet an dem Ort, an dem Musiker auf offener Straße angegriffen oder | |
getötet wurden, nur weil sie ein Instrument auf den Rücken geschnallt | |
hatten. Als ihn ein Konvoi zur Deutschen Botschaft brachte, erzählten sie | |
ihm von den neuen Haftminen, die fünf, sechs Sekunden am Auto kleben | |
bleiben, bevor sie es in die Luft jagten. Ja, sagten sie, auch gepanzerte | |
Fahrzeuge wie das, in dem er saß. Kann man nix machen. Das Konzert war | |
eines der intensivsten, die Heinisch erlebt hat. Endlich habe er gespürt, | |
dass es in der Musik darum gegangen sei, Menschen zu berühren, sagt er. | |
Dass die Musik etwas mit ihnen gemacht habe. | |
Wahrscheinlich will Heinisch auch deshalb ein Konzert nachholen, das | |
Karlrobert Kreiten ungespielt lassen musste. Werke von Komponisten spielen | |
bedeutet: die technischen Schwierigkeiten bezwingen, die Musik erforschen, | |
vermuten: Was hat der gewollt, warum hat er das geschrieben? Das ist eine | |
Sache. Das gehört immer dazu. | |
Etwas völlig anderes ist es aber, das Konzert eines toten Interpreten | |
nachzuholen. Wie geht man das an? | |
Heimisch erzählt, was Kreiten für ein Typ gewesen sein mochte: einer, der | |
seinem Publikum im Mai 1943 ein hochvirtuoses Programm kredenzt, als wolle | |
er angeben, dann aber so risikoreich spielt, als würde sonst die Welt | |
untergehen. Die Stimme bricht ihm immer wieder weg, was im Kontrast steht | |
zu der Kontrolliertheit, mit der er die Worte setzt. Ein virtuoses | |
Programm, sagt Heinisch, schweißtreibend. Bach/Busoni, Mozart, Beethovens | |
„Appassionata“, sechs Chopin-Etüden, ein Liszt. In den Konzertsälen häng… | |
Banner: „Unsere Mauern zerbrechen, aber unsere Herzen nicht.“ | |
„Er ist – trotz aller beruflichen Leistungen als Künstler – eine Gefahr … | |
unseren Sieg.“ Aus dem Urteil | |
Am 3. Mai 1943 wird der Pianist Karlrobert Kreiten im Künstlerzimmer der | |
Heidelberger Universität von Gestapo-Beamten verhaftet. Es sind noch 45 | |
Minuten bis Konzertbeginn. Er hat die schwarzen Lackschuhe schon angezogen. | |
Am 3. September schreibt der Richter das Urteil, am 7. September wird | |
Karlrobert Kreiten gehängt. Wenig später erhält seine Mutter ein Päckchen. | |
Darin ein Paar Konzertschuhe und die Rechnung über die Hinrichtung. | |
Am 26. Juni 2016 wäre Karlrobert Kreiten hundert geworden. An diesem Tag | |
wird Florian Heinisch im Künstlerzimmer der Heidelberger Universität seine | |
Konzertschuhe zubinden. Vielleicht streift er die Handflächen an der | |
dunklen Hose ab, schlägt dann noch einmal das Notenheft mit der „Spanischen | |
Rhapsodie“ von Liszt auf, um lieber doch nicht hineinzusehen. Bestimmt aber | |
steigt er auf die Bühne, und der Scheinwerfer blendet. | |
25 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Carolin Pirich | |
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