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# taz.de -- Behindertenproteste in Bolivien: Mindestrente verweigert
> Seit Anfang des Jahres demonstrieren landesweit Menschen mit Behinderung
> für eine monatliche Rente. Doch die Regierung stellt sich stur.
Bild: Protestaktion in La Paz
La Paz taz | Es ist ein bunter Haufen, der da durch die Hauptstraßen von La
Paz zieht. Indigene im Rollstuhl, Männer und Frauen, die einbeinig auf
Krücken humpeln, geistig behinderte Kinder, die von einem Elternteil
geschoben werden. Seit Wochen demonstrieren Boliviens Behindertenverbände
fast jeden Tag. Marcelo Vásquez aus der Hauptstadt Sucre, der seinen
Rollstuhl mit den Händen vorantreibt, führt den Marsch an. „Wir lassen uns
nicht vertreiben und nicht einschüchtern“, versichert er.
Auch wenn der Protest lebensgefährlich ist. Drei Kameraden seien seit
Beginn der Proteste bereits gestorben. An der Kälte oder an nicht
behandelten Krankheiten. Zwei wurden von einer betrunkenen Autofahrerin in
der Stadt Cochabamba überfahren.
Die Plaza Murillo, der Hauptplatz in der Metropole La Paz, ist an allen
Zugängen abgeriegelt. Dutzende Polizisten, die ihre Helme und Schilde parat
haben, verriegeln den Amtssitz des Präsidenten. Zwei Häuserblocks weiter
sind Straßen mit Igluzelten gesäumt, wie man sie auf jedem Campingplatz
sehen kann. Bereits seit dem 25. April kampieren hier etwa 200 Menschen mit
Behinderung.
Vor einem Zelt sitzt Feliza Alí in ihrem Rollstuhl. Sie ist Vorsitzende des
nationalen Behindertendachverbandes Boliviens. Die Hoffnung, dass Präsident
Evo Morales sie empfängt, hat sich schnell zerschlagen. „Wir wurden von
einem Polizeikordon und Pfefferspray empfangen“, erzählt sie. Die
Polizisten hätten den Helfern, die die Rollstühle schoben, Pfefferspray ins
Gesicht gesprüht. Die Helfer hätten dann die Rollstühle losgelassen.
„Einige von uns sind die steilen Straßen hinuntergerollt und gegen die
Schutzgitter geprallt.“ Es habe mehrere Verletzte gegeben.
Behindertenorganisationen im ganzen Land protestieren seit Jahresbeginn für
eine monatliche Rente von umgerechnet 65 Euro. Bisher bekommen Personen,
denen eine Behinderung von mehr als 50 Prozent attestiert wird, einen Bonus
von 1.000 Bolivianos im Jahr, umgerechnet etwa 130 Euro. Blinde bekommen
5.000 Bolivianos, also etwa 640 Euro im Jahr.
## Unterstützung verweigert
Weil sich die Regierung gegen die Mindestrente stur stellte, begannen 350
Menschen mit Behinderung aus allen Landesteilen am 21. März von der Stadt
Cochabamba einen Marsch ins 384 Straßenkilometer entfernte und 3.600 Meter
hoch gelegene La Paz. Unterwegs hätten sie viel Solidarität erfahren. Leute
hätten ihnen Obst und Wasser gereicht. Sie durften in Schulen und anderen
öffentlichen Einrichtungen übernachten. Von der Präsidentschaft erging
darauf eine Instruktion an die indigenen Organisationen, den Menschen mit
Behinderung Kost und Quartier zu verweigern.
Als Evo Morales 2006 die Präsidentschaft antrat, hegten alle Minderheiten
im Land große Hoffnungen. Auch Menschen mit Behinderung. Im ersten Amtsjahr
wurde auch ein Nationaler Plan für Gleichheit und Chancengleichheit
verabschiedet. Im Jahr 2008 widmete die Regierung dann 40 Millionen
Bolivianos der Umsetzung von zehn großen Programmen. Doch davon wurde kaum
etwas umgesetzt.
Die Regierung weist die Forderung einer monatlichen Rente von 500
Bolivianos mit dem Argument zurück, ihre Politik setze auf Inklusion, nicht
auf Mildtätigkeit. „Diese Rente hat mit Mildtätigkeit nichts zu tun“, weh…
sich Feliza Alí, „sie schließt gerade einmal die Kluft zur nicht
behinderten Bevölkerung.“ Menschen mit Behinderung hätten höhere Ausgaben.
Marcelo Vásquez hat einen drastischen Vergleich: „Die 1.000 Bolivianos, die
wir jährlich bekommen, reichen gerade für eine Windel täglich.“ Die meisten
Querschnittgelähmten können ihre Schließmuskeln nicht kontrollieren und
sind auf Windeln angewiesen.
22 Jun 2016
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
katholisch
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