# taz.de -- Humanitärer Weltgipfel in Istanbul: Irgendwie doch mehr als Blabla | |
> Die Erwartungen an den humanitären Weltgipfel in Istanbul waren gering. | |
> Nun sind viele Teilnehmer positiv überrascht. | |
Bild: So sieht das aus, wenn der türkische Präsident einlädt | |
Istanbul taz | Auf einer Terrasse mit Blick auf den Bosporus nippen drei | |
junge Frauen unter weißen Sonnensegeln an Kaltgetränken. Es sind | |
Syrerinnen, die sich auf dem humanitären Weltgipfel in Istanbul für die 2,7 | |
Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei einsetzen. Wie die meisten | |
Delegierten auf dem Mammutgipfel, der Vertreter von 177 Staaten und rund | |
600 NGOs zusammengeführt hat, kamen sie mit geringen Erwartungen. Dann | |
wurden sie positiv überrascht. | |
„Wir finden, dass die Leute für die syrische Sache sehr aufgeschlossen | |
sind“, sagt Lina Sergie Attar, deren „Karam-Stiftung“ sogenannte innovati… | |
Bildung für Flüchtlinge zur Verfügung stellt. Sie ist begeistert über den | |
neuen globalen Bildungsfonds „Education Cannot Wait“, der Bildung für die | |
weltweit 37 Millionen Kinder ermöglichen will, die kriegs- und | |
krisenbedingt nicht zur Schule gehen. Großbritanniens Expremierminister | |
Gordon Brown hat den Fonds soeben auf dem Gipfel lanciert, mit einer | |
Anschubfinanzierung der britischen Regierung von 30 Millionen Pfund sowie | |
100 Millionen Dollar privaten Spendengeldern. | |
Für 200.000 syrische Flüchtlingskinder in der Türkei, Libanon und Jordanien | |
soll es nun Schulunterricht für zwölf Monate geben. „Wenn die Zusagen | |
eingehalten werden und wirklich der Schulbildung von Kindern auf der ganzen | |
Welt dienen, wäre das eine gigantische Leistung“, lobt Attar. „Wenn aus | |
Worten Taten werden, ist dieser Gipfel ein großer Erfolg.“ | |
„Wenn“ – das ist das Schlüsselwort. Eines der bekanntesten Hilfswerke der | |
Welt, Ärzte ohne Grenzen (MSF), boykottiert den Gipfel. Der, begründet das | |
die britische MSF-Direktorin Vickie Hawkins, würde zwar „viele gute | |
Vorsätze, aber auch leere Rhetorik“ bringen. Auch Mark Goldring, britischer | |
Direktor von Oxfam, zeigte sich skeptisch und warnte vor „teurem Blabla“. | |
## Angriffe auf Helfer | |
Wie findet Goldring den Gipfel jetzt? Doch mehr als Blabla? „Irgendwie | |
schon“, konzediert der Brite. „Aber er ist kein großer Durchbruch. Wir | |
sehen nicht, dass die Großmächte etwas tun, um die Durchsetzung des | |
humanitären Völkerrechts Wirklichkeit werden zu lassen.“ | |
Ein wichtiges Thema nämlich ist neben neuen ganzheitlichen | |
Förderinstrumenten die Problematik der Angriffe auf Helfer. Immer mehr | |
humanitäre Hilfe findet in Kriegsgebieten statt, das ist eine neue | |
Herausforderung. 1,5 Milliarden Menschen leben in Krisengebieten, 92 | |
Prozent von Kriegsopfern sind Zivilisten, erklärt Gipfelsprecher Hervé | |
Verhoosel. | |
„Wir müssen das Verhalten der Kriegführenden verändern“, sagt Peter Maur… | |
Leiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Leider gebe es | |
dafür keine Zwangsmittel. „Es gibt nur Druck.“ Niemand weiß so gut wie die | |
diskreten Diplomaten des IKRK, wie man sich auch mit Kriegsverbrechern | |
arrangiert. In Afghanistan haben die Rotkreuzler Zugang zu Gegenden, die | |
anderen verschlossen bleiben. Sie führen in Konfliktgebieten sogar | |
Impfprogramme durch. „Das bedeutet nicht, dass es keine Übergriffe gibt. | |
Aber wir sehen konkrete Verbesserungen.“ | |
Denn auch die bestkonzipierte humanitäre Hilfe bringt nichts, wenn sie | |
nicht ankommt. „Millionen von Menschen erreichen wir nicht“, sagt Jan | |
Egeland, der ehemalige UN-Untergeneralsekretär, der jetzt den Norwegischen | |
Flüchtlingsrat NRC leitet. Dessen Mitarbeiter befinden sich in der Nähe der | |
vom „Islamischen Staat“ (IS) kontrollierten irakischen Stadt Falludscha, | |
kommen aber ebenso wenig an die 50.000 Menschen dort heran wie andere | |
Hilfswerke. Verhandlungen mit dem IS über einen Zugang seien gescheitert, | |
so Egeland. Aber das Prinzip sei richtig: „Wir müssen auch dort sein, wo | |
sogenannte Terrorgruppen die Kontrolle haben.“ | |
Um humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten zu verbessern, wünscht sich der | |
Norweger Strafverfahren gegen Länder, die Kriegsparteien unterstützen, die | |
die Genfer Konventionen verletzen. „Es ist keine Kunst, herauszufinden, wer | |
ein Krankenhaus bombardiert hat. Und wenn man das herausfindet, setzt man | |
die Sponsoren der Täter auf eine schwarze Liste.“ | |
## Relevanten Entscheidungsträger nicht da | |
Aber daraus wird in Istanbul nichts, denn die relevanten | |
Entscheidungsträger sind nicht da. Keine einzige Vetomacht des | |
UN-Sicherheitsrats ist hochrangig vertreten. Höchste US-Vertreterin ist die | |
Chefin der Hilfsbehörde USAID, Gayle Smith. Höchstrangiger Russe ist der | |
Vizeminister für Katastrophen, Wladimir Artamonow. „Dass die Staatschefs | |
nicht kommen, zeigt, wie unwichtig diese Länder humanitäre Belange finden“, | |
kommentiert İlnur Çevik in der regierungstreuen türkischen Zeitung Sabah. | |
Aber viele Gipfelteilnehmer sehen das anders. Es sei sehr anregend, sagt | |
Shipra Narang Suri, ein Stadtplaner aus Indien. Zwar gebe es zu viele | |
vorbereitete Reden und zu wenig spontane Interaktion. Aber: „Man kann viel | |
lernen und viele neue Leute treffen. Es ist spannend.“ | |
24 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Jasper Mortimer | |
## TAGS | |
Vereinte Nationen | |
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