| # taz.de -- Die Kunst im Spiel | |
| > Aktionskunst Großformatige Mikadostäbe, glückverheißende | |
| > Stempelbotschaften: Rirkrit Tiravanija mit interaktiven Arbeiten bei der | |
| > Helga Maria Klosterfelde Edition | |
| Bild: Besucher bei der künstlerischen Arbeit: im Spiel mit Rirkrit Tiravanijas… | |
| von Ronny Müller | |
| Mit einem angenehmen Rauschen fallen die bunten Holzstäbe auf die | |
| dunkelbraunen Holzdielen, fächern sich auf. Jetzt noch einen der Stäbe | |
| herausheben und dabei bloß nicht an den anderen wackeln. Das neue Werk von | |
| Rirkrit Tiravanija kann man leicht für ein Spiel halten. „Es ist auf jeden | |
| Fall ein Kunstwerk“, wirft Galerist Alfons Klosterfelde hektisch ein. Bloß | |
| keine Missverständnisse aufkommen lassen. Denn die eine Frage drängt sich | |
| bei Rirkrit Tiravanija immer auf: Ist das noch Kunst? | |
| Seit den frühen neunziger Jahren kennen viele den 1961 in Buenos Aires | |
| geborenen Thailänder als den „Koch-Künstler“. Um die Situation bei einer | |
| Ausstellung zu entspannen, hatte er für die BesucherInnen thailändische | |
| Mahlzeiten zubereitet. Die ursprünglich eher spontane Aktion hat Tiravanija | |
| seither häufig wiederholt, zuletzt Ende März bei der Art Basel in Hongkong. | |
| Bei anderen Arbeiten hat der Künstler in Museen ein Marionettentheater | |
| oder Tischtennisplatten aufgebaut, einmal auch einen Supermarkt. Dabei geht | |
| es Tiravanija weniger um Gastfreundlichkeit oder kulinarische Freuden. | |
| Vielmehr will er die Kluft zwischen dem Besucher als Subjekt und einem | |
| Kunstwerk als reines Objekt überwinden, wie er einmal in einem Interview | |
| mit dem Spike Art Magazine dargestellt hat. BesucherInnen werden von | |
| Kunstkonsumenten zu -produzenten, die althergebrachte Ausstellungspraxis | |
| wird damit konterkariert. | |
| In diesem Sinn ist auch seine aktuelle Arbeit „untitled 2016 (unfortunes | |
| fortunes)“ in der Galerie Helga Maria Klosterfelde Edition – wo Tiravanija | |
| mit seiner Kunst bereits mehrfach präsentiert wurde – zu verstehen. Bereits | |
| die Weigerung, den Dingen einen festen Namen zu geben, scheint zu sagen: | |
| Mach dir daraus, was du willst! Die 90 Zentimeter langen Stäbe eines | |
| handelsüblichen Mikadospiels hat Tiravanija in chinesischer Schrift von 1 | |
| bis 24 durchnummeriert. An einer Wand dahinter hängt in Brusthöhe ein | |
| Holzkasten, in dem sich zu jedem der Nummern ein Stempel findet. Die Idee: | |
| BesucherInnen suchen zu dem von ihnen gezogenen Stab den passenden Stempel | |
| und drücken diesen auf ein bereitliegendes Stück Papier. Zu lesen gibt es | |
| anschließend entweder eine von zwölf Wahrsagungen oder Anleitungen zu | |
| eigenen Kunstperformances. | |
| „Du wirst nicht deine erste große Liebe heiraten, aber alles wird sich zum | |
| Besten wenden“, ist in blauer Tinte zu lesen, als sich der Stempel von dem | |
| Papierkärtchen hebt. Glückskeksromantik trifft Hochkultur. Wer die | |
| Ausstellung allein besucht, für den ist an dieser Stelle Schluss. Aber die | |
| Arbeit ist laut Galerist Alfons Klosterfelde ohnehin als | |
| Gemeinschaftsaktion für größere Gruppen gedacht. Wer mit keinem der 24 | |
| Sprüche etwas anfangen kann, den fordert ein Jokerstempel zum Essen | |
| scharfer Chilischoten oder würzig eingelegter Speisen auf. Klar, das hilft | |
| ja quasi immer. Die Kärtchen kann sich anschließend jedeR mit nach Hause | |
| nehmen, die Kunst wirkt haptisch nach. | |
| „Die Arbeit schließt an die Glücksspielkultur Asiens an, in der Aberglaube | |
| und Symbolik eine große Rolle spielen“, sagt Klosterfelde. Er sei auch auf | |
| die Idee mit dem Mikado gekommen. Im New Yorker Museum of Modern Art sei | |
| ihm in den siebziger Jahren so ein Spiel begegnet. Tiravanija habe die Idee | |
| in seiner Arbeit aufgegriffen und ausgebaut. So sei der Stempelkasten an | |
| Beispiele aus chinesischen Tempeln angelehnt, die aufgedruckten Anweisungen | |
| entstammen Büchern für Fluxuskunst. | |
| „Fluxus“ steht seit den sechziger Jahren für eine experimentelle | |
| KünstlerInnenbewegung, die sich gegen elitäre Hochkunst richtet. Der | |
| Übergang zwischen Kunst und Leben ist fließend. „Das Leben ist ein | |
| Kunstwerk, und das Kunstwerk ist Leben“, fasste der Performancekünstler | |
| Emmett Williams die Philosophie der Bewegung zusammen. | |
| Wie sehr die Grenze zwischen Alltäglichem und Kunst verschwimmt, zeigen | |
| auch einige Ausstellungsstücke Tiravanijas im Hinterzimmer der Galerie. An | |
| einer Wand hängt ein tannengrüner Regenmantel, in den auf der Rückseite | |
| eine Tasche mit einem Zelt eingearbeitet ist. Darunter zeigt eine Karte | |
| eine Landschaft im Norden Thailands. Schnell kann man als Besucher auf den | |
| Gedanken kommen: „Das kann ich auch“. | |
| Dahinter steht jedoch ein weiteres Projekt Tiravanijas – „The Land“. Seit | |
| 1998 bewirtschaftet eine von ihm mitbegründete Kommune ein Gebiet in der | |
| Großstadt Chiang Mai, auf dem ökologische Landwirtschaft betrieben und | |
| Platz zur persönlichen Entfaltung geboten werden soll. Wem der Weg dorthin | |
| zu weit ist, der bleibt halt erst mal beim Mikadospiel in Berlin. | |
| „untitled 2016 (unfortunes fortunes)“: H. M. Klosterfelde Edition, | |
| Potsdamer Straße 97, bis 29. Juli, Mi.–Sa. 11–18 Uhr | |
| 21 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ronny Müller | |
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